Faeser pfeift Wahlkampfvideo zurück – SPD in Hessen rückte CDU in AfD-Nähe

Die SPD hat auf Geheiß ihrer eigenen Spitzenkandidatin Nancy Faeser ein Video über Rechtsaußen-Tendenzen in Hessens CDU zurückgezogen. Dass es überhaupt veröffentlicht wurde, deutet auf große Nervosität in der Partei hin. Eine Analyse.
Wahlplakate der Spitzenkandidaten Boris Rhein (CDU), Nancy Faeser (SPD) und Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen): Wer macht in Hessen das Rennen?
Wahlplakate der Spitzenkandidaten Boris Rhein (CDU), Nancy Faeser (SPD) und Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen): Wer macht in Hessen das Rennen?Foto: Arne Dedert/dpa
Von 1. Oktober 2023

Für Ärger bis in die eigene Partei sorgte ein Wahlkampfvideo, das die SPD in Hessen etwas mehr als eine Woche vor der Landtagswahl produziert hatte. Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, hat deren Generalsekretär Christoph Degen bestätigt, dass Spitzenkandidatin Nancy Faeser die Partei zum Zurückziehen des Videos angewiesen hatte.

In dem Video, das noch bis Samstagmorgen auf dem Instagram-Account der hessischen Sozialdemokraten zu sehen war, wird die CDU in AfD-Nähe gerückt. Die Botschaft, die aus den 90 Sekunden hervorgeht, lautet, die Union im Bundesland habe ein unklares Verhältnis zum rechten Rand. Es sei damit zu rechnen, dass es – wie in Thüringen – auch in Hessen zumindest zu Kooperationen mit der AfD kommen könne.

SPD weist auf Herkunft von AfD-Granden aus CDU Hessen hin

Zur Begründung verweist die SPD unter anderem auf die langjährige Vergangenheit namhafter AfD-Größen in der hessischen CDU. Diese weist der Mitgründer und Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, auf – ebenso wie die Leiterin deren parteinaher Stiftung, Erika Steinbach. Diese war im Vorjahr auch der AfD beigetreten.

Weiter nimmt die SPD auf den Inhalt abgehörter Gespräche des Rockerklubs „Hells Angels“ Bezug. Darin sollen Angehörige der Vereinigung den damaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Boris Rhein für dessen „Kooperation“ gelobt haben. Zwar wird der Zusammenhang der Äußerung nicht deutlich und sind die Motorradrocker weithin eher für Verwicklung in Kriminalität als in politischen Extremismus bekannt, jedoch mussten für die SPD Hessen auch sie als Indiz für die behauptete Rechtsoffenheit der Hessen-CDU herhalten.

Zuletzt hieß es, der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz sei Rheins „Chef“ – und habe in dieser Funktion im Sommer eine „Marschrichtung“ vorgegeben.

Video schießt sich auf Politiker ohne verbliebene Funktionen ein

Ebenfalls eine Rolle in dem Video spielte der langjährige Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer, der seit den 2000er-Jahren unter anderem durch islamophobe Äußerungen aufgefallen war. Obwohl er auch in der Zeit der schwarz-grünen Koalition seine publizistische Tätigkeit fortgesetzt hatte, fiel Irmer nicht durch Illoyalität auf.

Im Jahr 2017 schied Irmer aus dem Landtag aus, danach saß er für eine Legislaturperiode im Bundestag. Zudem blieb er Kreisvorsitzender der CDU Lahn-Dill und Fraktionschef im Kreistag. Beide Funktionen legte er im vergangenen August nieder. Eine einflussreiche Position übt er in der Partei nicht mehr aus.

Bemerkenswert ist, dass das SPD-Video die Aktivitäten der CDU Dietzenbach während der 2010er-Jahre nicht zum Thema gemacht hat. Diese hatte sich phasenweise durch massive islamfeindliche Agitation zu profilieren versucht. Allerdings griff sie in diesem Zusammenhang auch auf Schützenhilfe aus der SPD zurück: Unter anderem stellte sich Neuköllns Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky in Dietzenbach mehrfach als Gastredner zur Verfügung.

Islamfeindlichkeitsproblem auch in der SPD

Darüber hinaus pflegt auch die der SPD angehörende Bloggerin Sigrid Herrmann-Marschall nicht nur ein enges Einvernehmen mit der Dietzenbacher CDU. Die selbst ernannte „Islamismus-Expertin“ hatte sich unter anderem auch der AfD-Fraktion im Landtag von NRW als Sachverständige zur Verfügung gestellt.

Der „Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ des Bundesinnenministeriums attestierte Herrmann-Marschall, über Kontaktschuldkonstrukte willkürlich Personen in die Nähe des „Islamismus“ zu rücken. Dies löste im Zusammenhang mit dem auf Deradikalisierung spezialisierten Verein Violence Prevention Network (VPN) sogar Überprüfungen mehrerer Mitarbeiter durch Hessens Innenministerium aus. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos.

Herrmann-Marschalls fachliche Expertise zog das Gremium in Zweifel, dazu attestierte man ihren Nachforschungen „Mutmaßungscharakter“ und „häufig bruchstückhaft und kontextlos“ zu sein. In Hessens SPD ist der programmatische Einfluss der Bloggerin insgesamt offenbar gering. So ist die Linie der Landtagsfraktion beispielsweise eindeutig gegen Kopftuchverbote an Schulen gerichtet. Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass die SPD Hessen in ihrem Video über fehlende ideologische Distanz von CDU-Politikern zur AfD einige heikle Punkte in eigener Sache ausgelassen hat.

Faeser in Hessen mit dem Rücken zur Wand?

Auch wenn sich Faeser vom „Stil“ des Videos distanziert hat, halten sie und Generalsekretär Degen eine klare Abgrenzung der CDU in Hessen zur AfD für dringlich. Anlass dafür ist die „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ des aus NRW stammenden Publizisten Klaus Kelle. Diese hatte Ende August in der Irmer-Heimat Wetzlar stattgefunden.

Neben parteilosen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hatten auch Mitglieder von CDU und AfD an den Treffen teilgenommen. Vonseiten der Union waren etwa Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und Polizeigewerkschafter Rainer Wendt mit dabei. Führende Politiker der Hessen-CDU waren jedoch nicht anwesend. Dennoch erklärt Faeser, es wäre „schön, wenn Herr Rhein sich dazu äußert, dass führende CDU-Leute in Wetzlar sich mit der AfD getroffen haben vor Kurzem“.

Dass Hessens SPD sich zumindest bis zu Faesers Intervention genötigt fühlte, die Rechtsextremismus-Karte gegenüber der CDU zu spielen, könnte auch Ausdruck hoher Nervosität sein. Jüngste Umfragen sehen die Partei im Sinkflug. Sie droht mit 16,8 Prozent nicht nur hinter die Grünen zurückzufallen, sondern sogar hinter die AfD.

Ob Nancy Faeser eine empfindliche Schlappe als Bundesministerin überleben würde, ist ungewiss. In der CDU war der Umgang mit Bundespolitikern, die in Landtagswahlkämpfen gescheitert waren, höchst unterschiedlich. So blieb Norbert Blüm trotz einer deutlichen Niederlage 1990 in NRW gegen Johannes Rau noch bis zuletzt Bundesminister. Demgegenüber war die Ministerkarriere von Norbert Röttgen nach dessen erfolglosem Bemühen, Ministerpräsident zu werden, zeitnah beendet.



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