„Irreführend und gefährlich“: Kritik an Notaufnahmegebühr

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen fordert eine Gebühr für Patienten, die ohne vorherige Ersteinschätzung die Notaufnahme aufsuchen. Nun äußerte sich Karl Lauterbach dazu.
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).Foto: Kay Nietfeld/dpa
Epoch Times13. April 2023

„Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall.“ Das sagt Kassenärzte-Chef Andreas Gassen. Und fordert eine Gebühr für Patienten, die künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung die Notaufnahme aufsuchen.

Den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland gegenüber sagte er: „Wer weiterhin direkt in die Notaufnahme geht, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, muss gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten, denn das kostet die Solidargemeinschaft unterm Strich mehr Geld und bindet unnötig medizinische Ressourcen.“

Es werde immer argumentiert, derartige Gebühren seien unsozial, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. „Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden“, sagte Gassen.

Lauterbach lehnt ab

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt den Vorschlag von Gassen ab. Es gebe aktuell intensive Beratungen über die Neustrukturierung der Notfallversorgung in Deutschland, sagte der Politiker am Mittwoch in Berlin. Über eine Gebühr werde aber nicht diskutiert. „Daher wird der Vorschlag, der hier von der kassenärztlichen Bundesvereinigung, von Herrn Gassen, vorgetragen wird, keine Umsetzung finden“, so Lauterbach.

Im Gesundheitsministerium wird auch beraten, den Rettungsdienst unter der Nummer 112 und den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117 virtuell zusammenzuschalten, um dort eine Ersteinschätzung vorzunehmen und den Anrufer anschließend richtig zu leiten. Dieses Vorhaben begrüßte Gassen.

Grüne: Notaufnahme-Gebühr ist irreführend und gefährlich

Als „irreführend und gefährlich“ hat der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen den Vorstoß für eine Notaufnahme-Gebühr unter bestimmten Voraussetzungen zurückgewiesen. „Menschen mit einem akuten medizinischen Problem müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen unabhängig vom Geldbeutel in der Notaufnahme jederzeit geholfen wird“, sagte Dahmen gegenüber der dpa.

Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Arztpraxis. „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden.“

Statt den Kliniken Vorschläge für Notaufnahme-Strafgebühren zu machen, sollten die Versorgung durch Haus- und Kinderärzte gestärkt und Angebote wie Rund-um-die-Uhr-Hausbesuchsdienste und telemedizinische Notfallbehandlungen durch die Kassenärzte ausgebaut werden.

Und für Menschen in Not dürfe es keine Rolle spielen, welche Nummer man wählt oder wo man sich im Gesundheitswesen hinbegebe, man müsse Hilfe zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort bekommen.

„Notaufnahmen nicht überfordern“

Für Tino Sorge gesundheitspolitischen Sprecher der Union im Bundestag, gibt es durchaus Verbesserungsbedarf. „Klar ist: Wer einen medizinischen Notfall hat, kann und soll jederzeit in die Notaufnahme gehen.“ Dazu gehöre aber auch, dass diejenigen Rücksicht nehmen müssen, bei denen es offensichtlich kein Notfall sei.

Es schade anderen Patienten, wenn man die Notaufnahme leichtfertig in Anspruch nehme. Dahinter stecke oft eine Flatrate-Mentalität, die man sich im Gesundheitswesen aber nicht leisten könne.

„Dass man nach einer Woche mit Rückenschmerzen am Sonntag ins Krankenhaus fährt, nur weil die Praxen geschlossen sind, kann nicht zur Selbstverständlichkeit werden.“ Daher sollte man über eine Eigenbeteiligung sprechen – für Fälle, in denen allen Beteiligten klar sei, dass es offensichtlich kein Notfall sei. „Ansonsten zahlen die Mitmenschen für das bewusste Fehlverhalten Einzelner.“ Man dürfe die Notaufnahmen nicht überfordern. Sie wären kein Ersatz für den Arztbesuch.

Stiftung Patientenschutz ist gegen Strafgebühr

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz lehnt eine Strafgebühr für Notaufnahme-Besuche ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung ab. Die entsprechende Forderung des Chefs der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sei unberechtigt, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Denn von massenhaftem Missbrauch der Notaufnahmen kann keine Rede sein. Schließlich würde sich fast jeder Zweite bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden.“

Patientinnen und Patienten könnten die Schwere ihrer Symptome oft nicht deuten. Auch für Mediziner sei es nicht selten schwierig, eine fachfremde Diagnose zu stellen. „Deshalb müssen zunächst die Verbände der Kassenärzte ihre Hausaufgaben machen“, verlangte Brysch.

Das gelte neben dem Ausbau und der Spezialisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes auch für ausreichende Öffnungszeiten der niedergelassenen Arztpraxen sowie das Angebot von Hausbesuchen. (afp/dpa/er)



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