Jiddisch in der deutschen Alltagssprache

Reden Sie manchmal Klartext, „Tacheles“? Oder nennen Sie aufgebracht jemanden einen „Ganoven“, wenn Sie „Zoff“ mit ihm haben? Oder sprechen Sie von Ihren Verwandten als „Mischpoke“, wenn das unliebsame Familientreffen bevorsteht? Oder kommen Sie nach einem langen Arbeitstag von der „Maloche“?
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Lebendige Kultur und Sprache: Die Neue Synagoge in Berlin.Foto: iStock
Von 19. Juli 2023

Dann sprechen Sie Jiddisch, zumindest in dem Moment und einige Worte. Rund 200 Wörter aus unserer Umgangssprache haben ihre Wurzeln im Jiddischen, der Sprache der osteuropäischen oder aus Osteuropa stammenden Juden. Jiddisch ist eine Mischung aus Hebräisch, Schlesisch, Bayerisch und Deutsch. Die Sprache wird mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben.

Die Anzahl der Menschen, die heute noch Jiddisch sprechen, ist vergleichsweise gering. Es wird geschätzt, dass weltweit etwa 1,5 bis 2,5 Millionen Menschen Jiddisch als Muttersprache haben oder zumindest Jiddisch verstehen können. Die meisten davon sind in den Vereinigten Staaten, Israel und osteuropäischen Ländern, insbesondere in Polen, Russland und in der Ukraine. In Israel wird Jiddisch von einigen Einwanderern aus osteuropäischen Ländern sowie von ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaften gesprochen.

Von Osteuropa in die Welt

Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es noch mehr als zwölf Millionen Juden, die sich auf Jiddisch verständigten, vor allem im osteuropäischen Schtedl. Das Wort „Schtedl“ stammt auch aus dem Jiddischen und bedeutet wörtlich „Städtchen“ oder „kleine Stadt“ und bezeichnet die traditionellen jüdischen Gemeinden in Osteuropa, oft umgeben von einer Stadtmauer mit eigener Infrastruktur, Synagogen, jüdischen Schulen und anderen Einrichtungen, in der Traditionen, Bräuche und auch die eigene Sprache Jiddisch eine wichtige Rolle spielten.

Mit dem Völkermord an den Juden wurde auch das Jiddische fast ausgerottet. „Von sechs Millionen Juden, die während der Shoah ermordet wurden, sprachen fünf Millionen Jiddisch“, erklärt Tal Hever-Chybowski, Direktor des Jiddischen Kulturhauses, des „Maison de la culture yiddish – Bibliothèque Medem“, in Paris.

Laut Hever-Chybowski steige das Interesse am Jiddischen, spätestens seit der preisgekrönten Netflix-Serie „Unorthodox“, die berückend-verstörend von der Flucht einer chassidischen Jüdin aus ihrer ultraorthodoxen Gemeinde in Williamsburg, New York, erzählt. Seitdem ist die einst beinahe ausgerottete Sprache wieder mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt.

2020 ist mit „Harry Potter un der Filosofisher Shteyn“ der Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“ sogar eine jiddische Übersetzung von Joanne K. Rowlings weltberühmter siebenteiliger Fantasy-Romanreihe erschienen. Die erste, auf 1.000 Exemplare limitierte Auflage war innerhalb von zwei Tagen ausverkauft.

Jiddisch lernen von Paris bis Berlin

Tal Hever-Chybowski vom Jiddischen Kulturhaus in Paris ist Hauptorganisator von „Jiddisch in Berlin: Sommeruniversität für jiddische Sprache und Literatur“ am Institut für Osteuropastudien der Freien Universität Berlin, wo zuletzt im Sommer 2022 circa 100 Studenten Jiddisch lernen konnten. Das nächste wird im August 2024 in Paris und danach, 2025, wieder in Berlin stattfinden.

Während in Frankreich geschätzt noch 10.000 Menschen Jiddisch sprechen, werden diese in Deutschland, wo die Sprache vor circa 1.000 Jahren entstanden ist, auf circa 1.000 geschätzt. Es werden deutschlandweit zahlreiche Jiddischkurse auch an Universitäten angeboten. Zwei Lehrstühle für Jiddisch gibt es, einen in Düsseldorf und einen in Trier.

Das Jiddische ist eine germanische Sprache mit Ursprung in den deutschen Dialekten. Als das Jiddische im Mittelalter in den jüdischen Gemeinden Mitteleuropas entstand, war Deutsch die vorherrschende Sprache in der Region.

Das Jiddische enthält viele deutsche Elemente, dadurch hört es sich trotz der zahlreichen hebräischen und slawischen Einflüsse manchmal fast wie ein starker deutscher Dialekt an. „Sheyn meydele“ ist schnell als „schönes Mädchen“ identifiziert oder „arbeyter“ als „Arbeiter“, um nur zwei zu nennen.

„Schachern“ kommt von „sachern“, handeln, mit Bedeutung „unlauteren Handel treiben“

Das Deutsche hat aber auch zahlreiche Wörter aus dem Jiddischen übernommen oder entlehnt, und zwar nicht nur die umgangssprachlichen wie Chuzpe, meschugge, Schlamassel und Co. Viele Wörter, die typisch Deutsch erscheinen, kommen aber tatsächlich aus dem Hebräischen und gelangten über das Jiddische ins Deutsche. Dazu gehören, nur um ein paar Beispiele zu nennen, „betucht“ vom jiddischen „betuch“, was „sicher, vertrauenswürdig“ bedeutet, oder das negativ konnotierte „Einschleimen“, das sich nicht etwa auf die sprichwörtliche Schleimspur bezieht, die man hinterlassen kann bei dem Versuch, sich einzuschmeicheln. Nein, es kommt vom jiddischen „schelem“, was „Dank“ bedeutet.

„Zocken“ heißt tatsächlich „spielen“, wenn man es aus dem Jiddischen übersetzt. Dazu passend kommt das Wort „pleite“ vom jiddischen „pleto“ und bedeutet nicht nur Bankrott, sondern auch „Flucht“ – vor Gläubigern. Dann noch der „Knast“, der kommt vom jiddischen „Knas“ und heißt „Geldbuße, Strafe“.

Fast wie Deutsch, speziell im Berliner Jargon

Gerade der Berliner Dialekt ist gespickt mit jiddischen Lehnwörtern von Daffke („Trotz“, von jiddisch davko, „Trotz“) bis dufte („toll“, von jiddisch tov, „gut“), und das kommt nicht von ungefähr:

Im Jahr 1671 gewährte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm 50 aus Wien vertriebenen jüdischen Familien die Ansiedlung in seinem Herrschaftsgebiet – aber nur gegen eine Zahlung von Schutzgeld und unter der Auflage, dass sie Handel betrieben und kein Gotteshaus errichteten. Ungeachtet dieser Einschränkungen wurde Brandenburg-Preußen ab dem 17. Jahrhundert zu einem Zufluchtsort vieler Juden.

Berlin entwickelte sich zu einem Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, in dem auch viele Ausdrücke der wachsenden jüdischen Gemeinde in den allgemeinen Sprachgebrauch übergingen und den Berliner Jargon, die berühmte Berliner Schnauze, bis heute prägen.

Klezmer-Musik geht um die Welt

Aber der eigentliche Botschafter der Sprache ist die Musik. Denn während die Sprache Jiddisch fast ausgestorben war, erlebte Klezmer eine Renaissance, insbesondere in der jüdischen Diaspora und der Weltmusikszene.

Klezmer ist eine traditionelle jüdische Musikform, die ihren Ursprung in den osteuropäischen jüdischen Gemeinden des 19. Jahrhunderts hat. Die Musik war schon fast in Vergessenheit geraten, wurde dann aber in den 1970er Jahren von der dritten Generation in Amerika lebender Juden wieder aufgenommen und verbreitete sich auf der ganzen Welt.

Besonders in Europa wurde Klezmer, lebhafte Melodien mit dem typischen „schluchzenden“ Klang, der an eine menschliche Stimme erinnert, beliebt. Der Begriff „Klezmer“ stammt von dem hebräischen Wort „kley zemer“ ab, was so viel wie „Gefäß der Musik“ bedeutet. Dieses Gefäß der Musik ist zum Gefäß für Jiddisch geworden, in dem die Sprache konserviert und erhalten wird.



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