Kampf um die Narrative: Ideologische Differenzen behindern Bedeutungszuwachs der Ostermärsche

Die traditionellen Ostermärsche der Friedensbewegung finden wieder statt. Die Organisation erfolgt dezentral, wobei der thematische Schwerpunkt auf dem Krieg in der Ukraine liegt. Die ideologische Differenzen und gegensätzliche Narrative sowie Vorbehalte gegen eine Teilnahme von Anhängern der AfD könnten einem Bedeutungszuwachs der Ostermärsche entgegenstehen.
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Der Krieg in der Ukraine ist auch in diesem Jahr zentrales Thema der Ostermärsche der Friedensbewegung.Foto: Boris Roessler/dpa
Von 6. April 2023

Am Gründonnerstag, 6. April, finden die ersten der traditionellen Ostermärsche der Friedensbewegung statt. Um 16 Uhr macht Erfurt den Anfang mit einer Kundgebung am Angerdreieck, zu der das örtliche Friedensbündnis aufgerufen hat.

In Freiburg beginnt um 17 Uhr der Ostermarsch des „Freiburger Friedensforums“ unter dem Motto „Die Waffen nieder! Kriege beenden! Den Frieden gewinnen!“. Es sprechen unter anderem Jürgen Grässlin von der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V.) und Verdi-Jugendsekretärin Franziska Pfab. Zur gleichen Zeit hat die „Initiative für Frieden und Abrüstung Dahme-Spreewald“ zur Teilnahme an einem Ostermarsch in Königs Wusterhausen aufgerufen. Dieser beginnt am Bahnhofsvorplatz.

Organisation der Ostermärsche erfolgt dezentral

Insgesamt hat das Netzwerk „Friedenskooperative“ für das kommende Wochenende bislang 125 Veranstaltungen aufgeführt. Regionale Schwerpunkte bilden dabei Hessen, das Ruhrgebiet und Thüringen.

Die Ostermärsche finden bis einschließlich Ostermontag statt. Geplant sind Demonstrationen und Umzüge, aber auch Fahrradtouren, Wanderungen und Friedensfeste. Die Organisation erfolgt jeweils dezentral in regionaler oder lokaler Verantwortung.

Thematischer Schwerpunkt ist der Krieg in der Ukraine. Das überregionale Veranstalterbündnis aus Friedensinitiativen fordert einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensgesprächen. Von der Bundesregierung fordern die Initiatoren diplomatische Schritte, um diese auf den Weg zu bringen. Kritik gibt es auch an der Erhöhung der Rüstungsausgaben und der drohenden atomaren Eskalation.

Sozialdemokraten und Gewerkschafter wollen Brandts Entspannungspolitik neu beleben

Mit dem Historiker Peter Brandt, Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, hat mittlerweile eine weitere prominente Persönlichkeit einen Friedensaufruf veröffentlicht. Der Aufruf „Frieden schaffen!“ bezeichnet sich selbst als „Friedensinitiative aus der Mitte der Gesellschaft“.

Die Initiatoren des Appells sorgen sich um eine „Gewaltspirale ohne Ende“. Sie wollen stattdessen an die Friedens- und Entspannungspolitik Willy Brandts in den 1960er- und 1970er-Jahren anknüpfen. Frieden könne „nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden“.

Bundeskanzler Olaf Scholz wird ermutigt, „zusammen mit Frankreich insbesondere Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen“. Das wäre „ein notwendiger Schritt, um das Töten zu beenden und Friedensmöglichkeiten auszuloten“. In weiterer Folge soll der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa geebnet werden.

Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderem der frühere DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und der ehemalige SPD-Bundessprecher Norbert Walter-Borjans. Neben einer Vielzahl gewerkschaftlicher Funktionsträger und Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin haben sich auch Wissenschaftler und Künstler dem Appell angeschlossen. Dazu gehören der Politikwissenschaftler Hajo Funke, der Pianist Justus Franz und der Liedermacher Konstantin Wecker.

Ostermärsche der 1980er-Jahre hatten mehrere Hunderttausend Teilnehmer

Die bis dato größten Ostermärsche der Friedensbewegung fanden in Deutschland in den Jahren 1983 und 1984 statt. Am Osterwochenende 1983 nahmen etwa 700.000 Menschen an den Protestmärschen gegen den NATO-Doppelbeschluss teil, der eine Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen vorsah. Ein Jahr später, 1984, demonstrierten noch einmal rund 500.000 Menschen gegen die atomare Aufrüstung. Diese Ostermärsche gelten bis heute als die größten Massendemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die Ostermärsche hingegen erheblich an Bedeutung verloren. Die Zahl der Veranstaltungen sank deutlich, ebenso die Teilnehmerzahl. Von der Friedenspolitik verlagerten sich die Kampagnenthemen zudem auch in andere Bereiche wie Klimapolitik, Kernkraft oder die Aufnahme von Flüchtlingen.

Im vergangenen Jahr verzeichneten die Initiatoren im Zeichen des Ukraine-Krieges immerhin einen „moderaten“ Aufschwung bei der Teilnehmerzahl. Ob der andauernde bewaffnete Konflikt und die Gefahr einer atomaren Eskalation diesmal zu einer stärkeren Mobilisierung führen, ist jedoch ungewiss. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass ideologische Differenzen und gegensätzliche Narrative einem signifikanten Bedeutungszuwachs der Ostermärsche entgegenstehen.

Bereits im Zusammenhang mit dem „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer hatte sich Uneinigkeit auch im Lager der Unterstützer gezeigt. Zum einen teilen nicht alle Befürworter sofortiger Friedensverhandlungen das westliche Narrativ vom „russischen Angriffskrieg“ auf die Ukraine. Dieses zieht sich allerdings auch durch die Aufrufe der Friedensbewegung. Zum anderen gibt es Vorbehalte gegen eine Teilnahme von Anhängern der AfD oder der sogenannten Querdenken-Bewegung an Friedensdemonstrationen. Diese Differenzen dürften auch im Zusammenhang mit den Ostermärschen zum Tragen kommen.

Gegner werfen der Friedensbewegung „Instrumentalisierung“ durch Russland vor

Befürworter einer militärischen Lösung des Ukrainekonflikts wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) verweisen zudem auf eine behauptete „russische Instrumentalisierung“ der Friedensbewegung. Bereits in den 1980er-Jahren hatten Befürworter des NATO-Doppelbeschlusses erklärt, die Ostermärsche seien durch die Sowjetunion beeinflusst oder gesteuert.

Klare Beweise für die Richtigkeit dieser Behauptung gibt es nicht. Sozialistische Staaten hatten zwar vereinzelt Abordnungen der Friedensbewegung empfangen – beispielsweise Politiker der Grünen, die sich damals noch mit deren Anliegen identifizierten. Auch wurden deren Bemühungen in den offiziellen Medien der sozialistischen Staaten positiv bewertet. Auch beteiligten sich Parteien wie DKP oder SEW an Friedenskundgebungen, riefen zur Teilnahme auf oder organisierten sie mit. Sie und ihre Nebenorganisationen erhielten tatsächlich umfangreiche finanzielle und propagandistische Unterstützung aus UdSSR oder DDR.

Die Ostermärsche hatten jedoch Rückhalt aus einer breiten Palette von Gruppen, die sich mit der Friedensbewegung verbunden fühlten. Dazu gehörten unter anderem Gewerkschaften, Kirchen und Parteien, die sich gegen die nukleare Aufrüstung und den Kalten Krieg aussprachen. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass die sozialistischen Staaten des Ostblocks eine entscheidende Rolle bei der Organisation oder Finanzierung dieser Proteste spielten.

(Mit Material von dpa)



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