Meinungsfreiheit: Reichelt setzt sich gegen Bundesregierung vor Bundesverfassungsgericht durch

Die Bundesregierung versucht, der Bevölkerung in Afghanistan „regierungsfern“ Hilfe zu leisten. Dass 371 Millionen Euro Entwicklungshilfe an den Taliban vorbeigehen, hält „NiUS“-Chef Julian Reichelt für ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht gab nun seiner Verfassungsbeschwerde statt.
Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen Ex-«Bild»-Chef Julian Reichelt ein.
Im Zusammenhang mit einem Afghanistan-Tweet gibt das Bundesverfassungsgericht „NiUS“-Chef Julian Reichelt recht.Foto: Jörg Carstensen/dpa
Von 16. April 2024

Am Donnerstag, 11. April, hat sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit einer Verfassungsbeschwerde des „NiUS“-Betreibers beschäftigt. Er hatte sich gegen eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin gewandt. Dieses hatte ihm im Eilverfahren auf Antrag der Bundesregierung untersagt, dieser zu attestieren, „Entwicklungshilfe an die Taliban“ zu leisten. Die entsprechende Behauptung hatte Reichelt auf X erhoben.

Reichelt richtete Kritik gegen Wiederaufnahme von Hilfslieferungen

Der mittlerweile gelöschte Tweet stammt vom 25. August 2023. In diesem hatte Reichelt einen Beitrag des „Spiegel“ verlinkt, in dem dieser berichtete, dass seit der Machtübernahme der radikalen Taliban-Milizen über 371 Millionen an Entwicklungshilfe nach Afghanistan geflossen seien.

Eine Sprecherin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hatte dies gegenüber dem Magazin erklärt. Allerdings fügte diese hinzu, dass das Geld der „Aufrechterhaltung der Grundversorgung sowie der Stärkung der Widerstandskraft der Bevölkerung“ diene.

Die Hilfen würden „regierungsfern umgesetzt“. Es flössen keine Mittel über „die Ministerien und Behörden der de-facto-Autoritäten“. Es seien vorrangig internationale Organisationen wie Vereinte Nationen und Weltbank sowie „Nichtregierungsorganisationen“, die mit den Hilfsmaßnahmen betraut seien. Zudem würde man nur mit Organisationen arbeiten, bei denen Frauen tätig sind und die auch Frauen und Mädchen erreichten.

Landgericht sah Wertung – Kammergericht hingegen Tatsachenbehauptung

Reichelt hielt es offenbar für faktisch ausgeschlossen, dass humanitäre Hilfe in Afghanistan an den Taliban vorbei organisiert werden könne – erst recht in dieser Größenordnung. Deswegen schrieb Reichelt auf X, Deutschland habe „in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“ gezahlt“.

Das BMZ wollte Reichelt diese Äußerung untersagen lassen. Es scheiterte zu Beginn noch mit einem Eilantrag an das Landgericht Berlin, das Kammergericht gab der Bundesregierung recht. Das Landgericht betrachtete die Äußerung in erster Linie als eine für den Leser erkennbare, überspitzte Meinungsbekundung.

Demgegenüber folgte das Kammergericht der Argumentation der Bundesregierung. Diese qualifizierte die Aussage als unwahre Tatsachenbehauptung, die noch dazu geeignet sei, „das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesrepublik zu gefährden“. Es erging eine einstweilige Verfügung, die Reichelt die weitere Verbreitung seiner Aussage untersagte.

Text von Reichelt zu Unrecht isoliert betrachtet

Das Bundesverfassungsgericht bescheinigt dem Kammergericht nun, Reichelt in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt zu haben. In seiner Entscheidung zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung heißt es, das Kammergericht habe „erkennbar den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung“ verfehlt.

Der Staat, so heißt es in der Entscheidung, habe „grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten“. Das Kammergericht habe in seiner Beurteilung auch die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile ausgeblendet. Damit habe es seine Sinndeutung auf eine „isolierte Betrachtung des Kurznachrichtentextes“ beschränkt.

Für die Beurteilung, ob bei einer Äußerung schwerpunktmäßig eine – bei Unwahrheit nicht hinzunehmende – Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vorliege, sei deren Gesamtkontext jedoch entscheidend. Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung sei „nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird“.

Tatsachenkern von Bundesregierung selbst nicht bestritten

In Reichelts Tweet seien Tatsachen und Meinungen vermengt. Allerdings habe das Kammergericht auch hier beachtenswerte Elemente zur Gesamtbeurteilung nicht in Erwägung gezogen. Demzufolge habe selbst die klagende Bundesregierung nicht in Abrede gestellt, dass Entwicklungshilfe „für Afghanistan“ bezahlt werde – und die Gefahr bestehe, dass diese mittelbar auch dessen Machthabern zugutekommen könnte. Dies sei jedoch auch der Kern der Kritik von Reichelt gewesen.

Dies sei auch für den Durchschnittsleser so erkennbar gewesen. Immerhin sei es angesichts der Verknüpfung zwischen Tweet-Text und verlinktem Artikel naheliegend gewesen, einen inhaltlichen Bezug darzustellen.

Mit dem Urteil knüpft das Bundesverfassungsgericht an die Kernlinie einer früheren Rechtsprechung an. Dieser zufolge dürften Gerichte im Fall der Mehrdeutigkeit einer Äußerung „nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben“.

„Besonderes Schutzbedürfnis der Meinungsfreiheit“

Auch dort, wo sich der Staat durch eine möglicherweise verfehlt erscheinende Polemik herabgewürdigt sehe, sei der Sinn der Meinungsfreiheit zu bedenken. Demnach, so hieß es im Urteil zu 1 BvR 287/93, sei Art. 5 Abs. 1 GG „gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen“ und finde darin unverändert seine Bedeutung. Die Abwägung habe entsprechend besonders sorgfältig vonstattenzugehen.

Der damalige Anlassfall bezog sich auf ein Flugblatt, in dem der Bundesrepublik Deutschland der Ära Strauß und dem „aggressiven Großdeutschland“ nach der Wiedervereinigung vorgeworfen wurde, rechtsextreme Gewalt bereitwillig hinzunehmen.



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