Persilschein für EZB im Schnellverfahren: Wird der Bundestag so dem Auftrag des BVerfG gerecht?

Am heutigen Donnerstag will der Bundestag dem Anleihekaufprogramm der EZB Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit attestieren und so dem Kontrollauftrag des BVerfG-Urteil vom Mai nachkommen. Kritiker monieren, dass diese Kontrolle gerade nicht stattgefunden habe.
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Der Bundestag in Deutschland.Foto: iStock
Von 2. Juli 2020

Der Kelch der innerstaatlichen Demontage des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) oder gar eines EU-Verfahren gegen Deutschland, wie es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem EZB-Urteil aus Karlsruhe angedroht hatte, wird an Deutschland vorübergehen.

Der Bundestag wird dem Urteil formal entsprechen, inhaltlich aber eine klare Botschaft aussenden – jene des uneingeschränkten Vertrauens in die europäische Notenbank.

BVerfG wollte Bundestag Kontrolle über Budgethoheit bewahren

Das 2015 von der EZB beschlossene Anleihekaufprogramm hatte beim Höchstgericht Bedenken ausgelöst. Während der Europäische Gerichtshof (EuGH) dem „Public Sector Purchase Program“ (PSPP) einen Persilschein ausgestellt hatte, pochte das BVerfG auf Verhältnismäßigkeit und demokratische Legitimation einer Vorgehensweise, die potenziell erhebliche Auswirkungen auf die haushaltspolitische Handlungsfähigkeit des deutschen Gesetzgebers haben könnte.

Die EZB sei nicht gewählt und agiere unabhängig, führte Karlsruhe aus. Dennoch trügen die Nationalbanken das Risiko für mögliche Verluste infolge von Schritten der EZB, die sie nachvollziehen müssten – und am Ende die Regierung, die im schlimmsten Fall dafür mit Budgetmittel geradestehen müsste.

Darüber hätte der Bundestag entscheiden müssen, um der Praxis die Legitimation durch die Wähler zu verleihen. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Karlsruhe trug der EZB deshalb auf, binnen dreier Monate zu begründen, warum ihre Anleihekäufe „verhältnismäßig“ seien. Bundesregierung und Bundestag hätten die Angemessenheit der Maßnahmen zu prüfen und abzusegnen, widrigenfalls eine weitere Beteiligung der Deutschen Bundesbank an dem Programm der „Quantitativen Lockerung“ nicht mehr verfassungsgemäß wäre.

Karlsruhe ging es vor allem darum, zu verhindern, dass Euro-Rettungsmaßnahmen an den Parlamenten vorbei betrieben würden, obwohl ihre Wirkungen potenziell deren Budgethoheit berührten.

Fraktionen wollen EZB-Programm Unbedenklichkeit attestieren

Nun will der Deutsche Bundestag deutlich machen, dass er auf diese Betonung der Parlamentsrechte, die im Gegenzug mit der Verantwortung einhergeht, sich intensiv mit Begriffen wie ABSPP, Option 2-type oder „Hybrid stock-flow formulation“, nicht wirklich Wert legt – und dass das Bundesverfassungsgericht zwar solche Hausaufgaben aufzutragen vermöge, aber nicht verhindern könne, dass diese im Wege des Dienstes nach Vorschrift erledigt würden.

Wie die „Welt“ berichtet, wollen Union, SPD, FDP und Grüne am heutigen Donnerstag mittels eines fraktionsübergreifenden Antrags dem EZB-Anleihenkaufprogramm die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen. Im Antragstext wird explizit auf das Urteil des BVerfG Bezug genommen, wenn es heißt:

„Der Deutsche Bundestag kommt auf Grundlage des Beschlusses des EZB-Rates und der erhaltenen Dokumente der EZB zu dem Ergebnis, dass den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 enthaltenen Anforderungen an das Durchführen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Zusammenhang mit dem PSPP entsprochen wird.“

Material erst seit Montag zugänglich

Zudem attestiert man der EZB, diese habe bezüglich der Anleihekäufe eine Prüfung „der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit der geldpolitischen Maßnahmen“ vorgenommen.

Man möchte glauben, dass die Abgeordneten kurz vor der Sommerpause ein ungeahntes Pensum an Fleißarbeit geleistet haben, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Wie die „Welt“ berichtet, sind die sensiblen Unterlagen der EZB nämlich erst am Montag den Abgeordneten zur Einsichtnahme in der Geheimschutzstelle des Bundestages aufgelegt worden.

In dem Konvolut sollen Zahlen, Daten und Kalkulationen enthalten gewesen sein, aber auch Präsentationen in englischer Sprache und ein Fragenkatalog. Die Sichtung und Auswertung des in Fachvokabular abgefassten Materials sollte nach Art und Umfang auch für Experten in der Materie in der kurzen Zeit nicht zu bewältigen sein.

Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, fühlt sich dennoch „recht gut informiert“, als er sah, „wie viele Unterlagen die EZB dann zur Verfügung gestellt hat“. Selbst hat er sich, wie er gegenüber dem Blatt einräumt, nicht durch die Unterlagen gekämpft.

Wie alle anderen Abgeordneten, die keine Experten für Haushalt und Finanzen sind, verlasse er sich jedoch auch auf die Expertise jener Kollegen, die vom Fach seien.

Dienst nach Vorschrift?

Kritik übte hingegen der parteilose Abgeordnete Uwe Kamann, der das Schnellverfahren, in dem der Bundestag formal dem BVerfG-Urteil entsprechen will, für einen Akt der Arbeitsverweigerung hält. In einem Brief an den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble erklärt er:

„Bei einer so weitreichenden Angelegenheit ohne profunde Prüfung der Unterlagen wieder einmal eine Abstimmung im Schweinsgalopp durchzuziehen, ist nichts anderes, als eine bewusste Missachtung der parlamentarischen Kontrollpflichten der Bundestagsabgeordneten.“

In seinem Brief äußerte er nicht nur Zweifel daran, dass es etwa 700 Abgeordneten in der kurzen Zeit gelungen sein konnte, sich ausreichend in die Materie einzuarbeiten, um ihren Kontrollpflichten adäquat nachkommen zu können. Er wolle auch, sollte Schäuble die geplante Vorgehensweise bezüglich der Abstimmung noch vor der Sommerpause tolerieren, selbst noch einmal eine Beschwerde in der Sache vor dem Bundesverfassungsgericht einbringen.

Kontrollverpflichtung bleibt „fortwährend“

Gänzlich erledigt ist die Angelegenheit für die Abgeordneten allerdings mit der heutigen Abstimmung ohnehin nicht. Das BVerfG hat dem Bundestag in seinem Urteil aufgetragen, die geldpolitische Tätigkeit der EZB „fortwährend“ zu beobachten.

Dies bedeutet, dass das Parlament darauf achten muss, dass künftige Entscheidungen des EZB-Rats auf Grund einer „methodisch nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung“ erfolgten und dass die Geldpolitik der EZB das Verbot der monetären Staatsfinanzierung wahre.

Die FDP-Fraktion will in diesem Zusammenhang einen eigenen Antrag einbringen, der diesbezüglich ein verbessertes und transparenteres Kontrollverfahren ermöglichen soll. Die Kontrolle solle sich demnach nicht nur auf das PSPP-Programm beziehen, das Gegenstand des BVerfG-Urteil war, sondern auch auf das im März beschlossene Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP.

Erfolg des PSPP lässt auf sich warten

Die Liberalen wollen die Überprüfung des Gebarens der EZB unter anderem mithilfe eines mit Sachverständigen besetzten Unterausschusses im Bundestag sowie mit regelmäßigen Plenardebatten zum EZB-Jahresbericht und Befragungen der EZB gewährleisten. Zudem sollten neue Definitionen zur Preisstabilität eine Obergrenze bezüglich der Anleihenkäufe das Handeln der Zentralbank berechenbarer machen.

Die Erfolge des PSPP gemessen an den Zielen, die dem Programm zugrunde lagen, lassen bislang noch auf sich warten. Man wollte unter anderem durch Kauf von Anleihen im Volumen von 2,3 Billionen Euro eine Inflationsrate von zwei Prozent sicherstellen. Derzeit liegt diese aber immer noch bei 0,3 Prozent. Nur die Bilanzsumme der EZB ist auf mehr als sechs Billionen Euro angewachsen.



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