Sachsen-Anhalt: Lehrer verzweifelt gesucht – Auch Nichtakademiker

Aspiranten müssen allerdings eine Qualifizierung wie Meister oder Fachwirt nachweisen. Geplant ist ein Einsatz in den Bereichen Technik, Wirtschaft, Musik und Kunst.
«Die Lücken in Mathe, Deutsch und Fremdsprachen könnten einer ganzen Generation von Schülern ihr Leben lang auf die Füße fallen.»
Lehrermangel ist seit Langem ein Thema an deutschen Schulen.Foto: Marcel Kusch/dpa
Von 17. Juni 2023

Auf der Suche nach neuen Lehrkräften setzt das Land seine Qualifikationsbedingungen herab. Daher können sich erstmals auch Nichtakademiker bewerben, teilte eine Sprecherin des Bildungsministeriums der „Deutschen Presse-Agentur“ (DPA) mit. Ausgeschrieben sind 568 Stellen.

Ministerin sieht praxisorientierte Vorbereitung der Kinder

Nichtakademiker müssen eine Qualifizierung auf Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens – wie Meister oder Fachwirt – vorweisen. Damit könnten diese Lehrerinnen und Lehrer – so die Sprecherin weiter – in Sekundarschulen in Fächern wie Technik, Wirtschaft oder der musisch-künstlerischen Fächergruppe eingesetzt werden. „Mit dem Anwerben von Seiteneinsteigenden, zu denen nun auch bestimmte Nichtakademiker gehören, fördern wir aktiv eine praxis- und lebensweltorientierte Vorbereitung der Kinder auf ihr Leben nach der Schule“, glaubt Bildungsministerin Eva Feußner (CDU). Und sie verspricht, dass allen Lehrkräften ein „maßgeschneiderter, gut bezahlter und sicherer Job im Landesdienst angeboten werden kann“.

2022 fast 50 Prozent Quereinsteiger

Wie andere Bundesländer auch kämpft Sachsen-Anhalt mit einem massiven Unterrichtsausfall. Nach Angaben der Landesregierung vom Jahresbeginn fehlen an den Schulen rund 1.000 Lehrerinnen und Lehrer. Daher setzt das Land bei der Bekämpfung des Mangels auf mehrere Maßnahmen. Dazu gehören Zusatzstunden für Lehrer sowie Neueinstellungen.

Im vergangenen Jahr waren fast die Hälfte der Neulehrer in Sachsen-Anhalt Seiteneinsteiger. 459 der 979 neu eingestellten Lehrer kamen ohne klassische Ausbildung in den Beruf, schreibt die „Volksstimme“ unter Berufung auf das Bildungsministerium. Ein Drittel schied allerdings nach kurzer Zeit wieder aus.

Für Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, ist die Entwicklung „sowohl ein Offenbarungseid als auch eine Panikreaktion. Man schleift damit alle bislang von der Kultusministerkonferenz und Ländern getroffenen Vereinbarungen über die unabdingbar notwendigen Qualitätsstandards in der Lehrerbildung, wozu als Mindestvoraussetzungen ein Masterabschluss oder ein Staatsexamen zählen“, sagte er auf Anfrage von Epoch Times. Dass für eine Lehrtätigkeit an Schulen in Sachsen-Anhalt zukünftig nicht einmal mehr ein Abitur benötigt werde, hat seiner Ansicht nach „massive Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität und den Lernerfolg von Kindern“. Die Politik gestehe damit ein, dass ihre bisherigen Konzepte zur Bekämpfung des Lehrermangels gescheitert seien – also beispielsweise die Attraktivität des Lehramts zu steigern bzw. mehr Quereinsteiger nachzuqualifizieren.

Sachsen-Anhalt könnte nur der Anfang sein, anderen Bundesländer könnten folgen. „In der Tat befürchten wir da einen Dammbruch“, so Meidinger. Ein Vorreiter sei bereits das Land Brandenburg gewesen, wo ab sofort Bachelorlehrkräfte und Studienabbrecher ausgebildet und verbeamtet werden können. Dies natürlich mit geringerer Bezahlung: „Die Politik schafft sich so auch Billiglehrkräfte“, kritisiert er. Während sich die Lehrkräfte an Grundschulen in einigen Bundesländern über eine Höherstufung freuen, „haben wir demnächst staatliche Billiglehrkräfte an Schulen, die wahrscheinlich die gleiche Arbeit wie die Bestandslehrkräfte machen müssen“. Es sei höchste Zeit, „diese Abwärtsspirale bei der Lehrerbildung, diese Absenkung der Standards, diese Deprofessionalisierung und Dequalifizierung bei der Ausbildung junger Lehrkräfte zu stoppen“. Die Bekenntnisse der Bundesländer zu einer hochwertigen Ausbildung von Lehrern seien oft das Papier nicht mehr wert, auf dem sie stünden.

Nach eigenen Schätzungen fehlten laut Meidinger zum Schuljahresanfang 2022/23 bis zu 40.000 Lehrkräfte bundesweit. Die eigenen Recherchen seien „erheblich näher an der Realität als die Behauptung der KMK, es seien nur 12.000 bis 14.000“. Schließlich hätten sich nicht alle Bundesländer an dieser KMK-Zählung beteiligt. Dazu komme, dass immer mehr Unterricht durch nicht pädagogisch entsprechend nachqualifiziertes Personal erteilt werden. „Die zählen nicht als fehlendes Lehrpersonal, obwohl es sich dabei eigentlich auch um verdeckten Lehrkräftemangel handelt“, erläutert der Vorsitzende.

Für die Zukunft des deutschen Bildungssystem bedeute diese Entwicklung nichts Gutes. „Angesichts so vieler offener Stellen und eines immer größeren Anteils schlecht oder ungenügend ausgebildeter Quereinsteiger bin ich wenig optimistisch, dass wir die Hauptherausforderungen des Schulsystems meistern werden: Unterrichtsausfall, sinkende Schülerleistungen, mangelnde Integration, Inklusion, Corona-Aufholprogramm usw. Wenn die Ständige Wissenschaftliche Kommission davon ausgeht, dass der Lehrermangel eher noch weitere 20 statt zehn Jahre dauern wird, dann kann einem nur angst und bange werden“, so Meidinger weiter. Letztendlich gehe es nicht nur um die Zukunft einer Generation, sondern der gesamten Gesellschaft.



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