Staatsrechtler Dr. Vosgerau: EU-Klimaschutz ist ein Trojanisches Pferd

Alle Grundrechte stehen laut dem Ersten Senat unter einem umfassenden Vorbehalt des „Klimaschutzes“. Das ist eine bedenkliche Tendenz, warnt der Rechtsgelehrte Dr. Ulrich Vosgerau.
Titelbild
Dr. Ulrich Vosgerau.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 30. Oktober 2023

Zum Thema „Kippunkte für die Offene Gesellschaft – Gefahren für Wohlstand, Freiheit und Rechtsstaat“ veranstaltete die Friedrich August von Hayek-Gesellschaft am 26. Oktober in Berlin ein „Forum Freiheit“ mit Teilnehmern aus der liberal-konservativen Szene.

An der Podiumsdiskussion nahm auch der in Berlin lebende Anwalt und Publizist Dr. Ulrich Vosgerau teil. Er ist Privatdozent für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Köln.

Herr Vosgerau, Sie sprachen heute über den Karlsruher „Klimaschutz“-Beschluss und seine weitreichenden Folgen. Was hat es damit auf sich?

Damals im „Klimaschutz“-Beschluss vom April 2021 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die herkömmliche liberale Grundrechtsdogmatik, wie wir sie im Verfassungsstaat eigentlich kennen, gestürzt.

Der Erste Senat geht davon aus, dass alle Grundrechte unter einem umfassenden Vorbehalt des „Klimaschutzes“ stehen. Ein bisschen ähnlich, wie wir das ja auch schon in der Rechtsprechung zu Corona gesehen haben. Da sollten alle Grundrechte im Vorbehalt der Ungefährlichkeit ihrer Ausübung stehen. Dies ist sicherlich eine bedenkliche Tendenz.

Ein Thema war heute, wie man diesen Beschluss wieder losbekommt. Solange dieser Beschluss besteht, ist es schwierig, andere Gesetze oder eine andere Politik zu machen.

Solange der Beschluss besteht, sitzen wir gewissermaßen in der Falle. Das „Klimaschutzgesetz“ ist im Sinne der Karlsruher Entscheidung abzuändern und auch auszulegen. Um von der Entscheidung loszukommen, gibt es eigentlich nur zwei denkbare Wege.

Der erste wäre eine Änderung von Artikel 20a des Grundgesetzes, auf den das Gericht sich ja gestützt hat. Das heißt, mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat müsste Artikel 20a in seiner Neufassung klarstellen, dass dieser radikale Grundrechtsvorbehalt, von dem Karlsruhe jetzt ausgeht, nicht gelten soll.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass der einfache Gesetzgeber das „Klimaschutzgesetz“ abändert – und das gerade in eine andere Richtung, als Karlsruhe es verlangt hat. Dagegen würden dann dieselben Beschwerdeführer oder vergleichbare Beschwerdeführer wieder die Verfassungsbeschwerde erheben und der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts würde diese Verfassungsbeschwerden dann abweisen und sagen: „Der Gesetzgeber ist gar nicht zu so viel Klimaschutz verpflichtet.“ Hierzu müsste der Erste Senat natürlich mitspielen.

Allerdings wurde die Karlsruher Entscheidung auf mir unbegreifliche Weise völlig einstimmig getroffen – ohne Minderheitenvotum, was beim Bundesverfassungsgericht möglich wäre. Das heißt, der zweite Weg ist eher unwahrscheinlich und der erste bräuchte eine Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat.

Sie haben davon gesprochen, wie der Beschluss zustande kam. Das war auch ein bisschen ungewöhnlich, oder?

Er kam ohne mündliche Verhandlung zustande, deswegen ist es ja ein Beschluss und kein Urteil. Das ist ohnehin die ständige Praxis des Ersten Senats, des Grundrechtssenats. Das war wiederum bei den Corona-Entscheidungen nicht anders.

Es fand daher keine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der dann auch unterschiedliche Experten angehört werden und die Öffentlichkeit über die Presseberichterstattung dann nachvollziehen kann, ob alle Seiten gleichermaßen angehört und alle wissenschaftlichen Richtungen berücksichtigt wurden.

Nach einer mündlichen Verhandlung, wenn sie durchgeführt worden wäre, hätten sich möglicherweise andere Wissenschaftler zu Wort gemeldet, die aus den Zeitungen darüber erfahren hätten. Die hätten dann sagen können, dass da manches nicht ganz sachgerecht war. Zum Beispiel die Vorstellung vom linearen Ansteigen des CO₂-Anteils in der Atemluft, die in der Form unhaltbar ist. Diese Vorstellung wurde beispielsweise beim Karlsruher Beschluss als Grundlage anerkannt.

Das alles hat nicht stattgefunden. Das Gericht hat nur für sich selbst beraten und hat interessanterweise für den „Klimaschutz“-Beschluss anders als bei Corona noch nicht einmal eigene Gutachten bestellt, die es dann eben sozusagen heimlich im Senat vorgelesen hätte. Es hat sich auf teilweise populärwissenschaftliche, allgemein zugängliche Literatur wie beispielsweise ein Buch von Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber gestützt und dann einfach gesagt: „Daraus haben wir dann abgeleitet, wie die Sachverhalte sind.“

Gleichzeitig wurden ja, so haben Sie das zumindest auf dem Podium ausgeführt, Aussagen mit hereingebracht, die von einer Website eines Grünen-Politikers entnommen worden sind. Ist das richtig?

Ja, das ist eine Entdeckung von Prof. Dr. Fritz Vahrenholt. Der hat ja ein ganzes Büchlein darüber geschrieben. In der Tat, es ist herausgekommen, dass tragende Teile der Tatsachenfeststellung des Karlsruher Gerichts, auf die sich die Rechtsfolgenseite stützt, von der Homepage eines Frankfurter Grünen-Politikers übernommen wurde.

Dieser Politiker ist mit der Berichterstatterin der Karlsruher Entscheidung, Gabriele Britz, verheiratet, was der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt war. Denn sie tragen nicht denselben Familiennamen.

Dadurch tauchte die Frage auf: „Hat möglicherweise der Ehepartner das Urteil mitgeschrieben oder ist das im Copy-and-paste Verfahren entstanden?“ Das Bundesverfassungsgericht scheint sich trotz der Enthüllungen von Fritz Vahrenholt nie zu diesen Sachverhalten geäußert zu haben.

Wie bewerten Sie das als Staatsrechtler? Also dass man ein so schwer wiegendes Thema, welches so große Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft und insbesondere die deutsche Wirtschaft hat, in so einem Verfahren abhandelt?

Das geht bei theoretischer Betrachtungsweise sicherlich nicht. Bei praktischer Betrachtungsweise muss man nachreichen, dass die wichtigsten Kompetenzen in Sachen „Klimaschutzrecht“ längst auf die europäische Ebene übergegangen sind.

Hingegen lässt der Karlsruher „Klimaschutz“-Beschluss vom Wortlaut vermuten, dass Deutschland offenbar eine Universalzuständigkeit für den „Klimaschutz hat“. Sie wird von der europäischen Ebene ausgeübt – über den sogenannten „Green Deal“ und dann das nachgereichte „Fit for Fifty Five“-Programm –, das eben CO₂-Freiheit und auch beispielsweise ein Verbrennerverbot vorsieht.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat im Grunde nur die Grundrechtsdogmatik nachgeliefert, mit der politische Entscheidungen, die bereits von der europäischen Ebene kommen, jetzt besser umgesetzt werden können.

Was steckt hinter der EU-Klimaschutzpolitik und der Forcierung einer CO₂-Neutralität?

Meiner Meinung nach glauben die Akteure auf deutscher Seite wie zum Beispiel Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und wahrscheinlich auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts, dass „Klimaschutz“ durch CO₂-Einsparung ein so wichtiges Ziel ist, dass sich die Staatsgewalt dem ganz und gar verschreiben muss – in Verantwortung für künftige Generationen.

Dabei fällt auf, dass durch die CO₂ -Einsparungspolitik in Deutschland keine CO₂-Minderung bewirkt wird. Denn das CO₂, was bei uns nicht mehr ausgestoßen wird, beispielsweise weil deutsche Produzenten sich die CO₂-Zertifikate nicht mehr leisten können, wird dann eben in Asien freigesetzt. Der deutsche Unternehmer produziert dann einfach in Asien, denn dort gibt es keine entsprechenden „Klimaschutz“-Vorgaben.

Auf europäischer Ebene denke ich nicht, dass man an den „Klimaschutz“ durch CO₂-Verbindungen glaubt. Die ganze Sache – also der „Green Deal“ und das „Fit for Fifty Five“-Programm – sollen dem Umbau der gesamten Industrie dienen. Es scheint der EU darum zu gehen, sich mit der Eigenschaft auszustatten, sich selber zu verschulden und diese Verschuldung durch Inflationierung auch wieder beseitigen zu können. Das war der EU schon immer am wichtigsten.

Das heißt, als EU Staatlichkeit zu erlangen, scheint das eigentliche Ziel von Brüssel zu sein, was jetzt auch weitestgehend erreicht wurde. Nach der klaren Vertragslage zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, also nach der Lage des Primärrechts, darf sie dieses Ziel aber gar nicht verfolgen.

Was passiert, wenn die EU das Ziel ganz erreicht hat?

Wenn das Ziel vollends erreicht ist – es also keine nationalen Staatsschulden mehr gibt, sondern allenfalls ein nationales Kontingent an der europäischen Gesamtverschuldung – dann wird man vom Trojanischen Pferd „Klimaschutz“ vielleicht gar nichts mehr hören.

Vielleicht wird Brüssel dann auf einmal feststellen, dass andere Industriestaaten keinen „Klimaschutz“ betreiben und sich auch nicht deindustrialisieren, sondern in den nächsten Jahren 368 neue Kohlekraftwerke bauen, wohingegen wir 130 stilllegen, die teilweise die besten und effizientesten der Welt sind.

Dann wird man sagen: „Nein, dann machen wir es auch nicht, wir brauchen das auch nicht mehr.“ Denn das eigentliche Ziel, eine staatsähnliche Architektur aufzubauen, ist dann vollendet.

Wir Deutschen müssen dann beispielsweise die italienischen Schulden mittragen. Doch die deutschen Akteure – seien es Bundesverfassungsrichter oder seien es Mitglieder der Ampelregierung – die durchschauen das nicht.

Sehen Sie auch unseren Videobeitrag zu dem Hayek-Treffen bei EpochTV.



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