Triage: Bundestag billigt Gesetz über Leben und Tod

Zwei Patienten, ein Intensivbett: Wer wird behandelt? Lange gab es dafür keine gesetzliche Regulierung. Nun hat der Bundestag über ein Gesetz entschieden, bei dem die allermeisten hoffen, dass es nie zur Anwendung kommen wird.
Eine Intensivpflegerin versorgt auf der Intensivstation einen an Covid-19 erkrankten Patienten.
Eine Intensivpflegerin versorgt auf der Intensivstation einen an Covid-19 erkrankten Patienten.Foto: Ole Spata/dpa
Von 11. November 2022

Der Bundestag hat am Donnerstagabend dem umstrittenen Triage-Gesetz der Ampel-Koalition zugestimmt – nach großer Verwirrung bei der Abstimmung. Gleich mehrfach musste die Entscheidung per Handzeichen wiederholt werden. Neben der Opposition haben auch einige aus den Koalitionsparteien dagegen gestimmt. Da es nach einem knappen Ergebnis aussah, gingen die Abgeordneten zur namentlichen Abstimmung über. Nach einer dritten Abstimmungsrunde machte der Bundestag schließlich den Weg frei für ein Gesetz, das im Zweifelsfall über Leben und Tod entscheiden soll.

Sprengstoff in öffentlichen Debatten

Die neue Triage-Regelung ist Teil des Infektionsschutzgesetzes und regelt, wer bei knappen Behandlungskapazitäten zuerst medizinisch versorgt wird. Demnach dürfen Ärzte nur anhand der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patienten“ entscheiden.

Es spielt also keine Rolle, ob es sich dabei um ein Kind, Senior oder jemanden mit einer Vorerkrankung oder Behinderung handelt. Denn niemand dürfe bei einem solchen Selektionsverfahren wegen einer Behinderung, des Alters oder der ethnischen Herkunft benachteiligt werden, heißt es im Gesetzentwurf der Ampel-Koalition.

Die Regelung gilt jedoch nur, wenn es aufgrund einer „übertragbaren Krankheit“ zu medizinischen Engpässen kommt. Naturkatastrophen, Kriege oder andere Krisen, bei denen es auch zu knappen Ressourcen kommen könnte, werden im neuen Gesetz nicht berücksichtigt.

Mit der Regelung reagiert die Bundesregierung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021. Die Karlsruher Richter hatten der Regierung auferlegt, „unverzüglich“ Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung im Fall einer Triage benachteiligt werde. Geklagt hatten damals vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie mehrere Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen. Seither bietet das Thema immer wieder Sprengstoff in öffentlichen Debatten.

Die „Fittesten“ überleben?

Über das „schwierige Gesetz“ sei „intensiv“ beraten worden, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens. „Mit dem Ergebnis können wir sehr zufrieden sein, weil wir die notwendigen Schutzvorkehrungen, die Karlsruhe angemahnt hat, ausgewogen und zielgerichtet treffen und deren Wirkungen evaluieren werden.“

Das sehen einige Politiker aus der Koalition anders. So bezeichnet Corinna Rüffer von Bündnis 90/Grünen das im Gesetz gewählte Kriterium der Überlebenswahrscheinlichkeit als „immanent diskriminierend“. Es sei darauf gerichtet, die „fittesten“ zu retten, sagte sie.

Die Grünen-Politikerin schlug vor, das Zufallsprinzip anzuwenden. „Im Fall knapper Ressourcen sollte das Losverfahren oder die Reihenfolge der Einlieferung in der Klinik darüber entscheiden, wer zuerst intensivmedizinisch behandelt wird“, erklärte Rüffer gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.

CSU-Politiker: Wir sind nicht Herrscher über Leben und Tod

Auch die Opposition lehnte das Gesetz ab. Union und Linke kritisierten, dass betroffene Behindertenverbände und Organisationen nicht genügend miteinbezogen wurden. CDU-Politiker Huber Hüppe bemängelte außerdem, dass die Regelungen nicht für Naturkatastrophen, Krieg oder Terroranschläge gelten. Ein „zentraler Fehler dieses Gesetzesentwurfs“.

CSU-Politiker Erich Irlstorfer rief vor der Abstimmung im Bundestag zu „Demut“ auf, im Wissen, „dass wir nicht Herrscher über Leben und Tod sind“. Medizin und Pflege seien nur Werkzeuge. Man solle nicht vergessen, „dass wir natürlich nicht immer alle Dinge in der Hand haben, sondern der Herr Gott hier auch mitentscheidet“.

Die AfD abermals holte im Bundestag zum Rundumschlag gegen die Regierung und ihren „Kontrollwahn“ aus. Es gehe bei dem Gesetz nicht um Menschenleben, sondern um die „Durchsetzung bürokratischer Kontrolle“, rügte der AfD-Abgeordnete Martin Sichert. Auch kritisierte er das Verbot der sogenannten Ex-Post-Triage. Es handelt sich dabei um die Möglichkeit, Behandlungen von Patienten mit geringeren Überlebenschancen auszusetzen.

„First-come-first-serve“-Prinzip

Konkret heißt das, ein Patient, der sich bereits in einer intensivmedizinischen Behandlung befindet, müsse diese abbrechen zugunsten eines anderen Patienten mit besseren Überlebenschancen. Im ersten Entwurf des Gesetzes war diese Regelung mit eingeschlossen.

Nach heftiger Kritik auch innerhalb der Koalition ruderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zurück. Er stellte auch am Donnerstag klar: „Wir werden keine Ex-Post-Triage zulassen“. Wer sich bereits in einer Behandlung befindet, „kann sich auf die weitere Versorgung verlassen“, sagte der Minister bei der Debatte.

Ärzte- und Klinikvertreter kritisieren wiederum diese Entscheidung als „First-come-first-serve“-Prinzip, bei dem derjenige behandelt wird, der zuerst kommt.

Prof. Georg Marckmann von den medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hält die Überlebenswahrscheinlichkeit zwar für ein gutes Kriterium bei der Patientenzuteilung. „Der Ausschluss der Ex-Post-Triage macht es eigentlich unmöglich, dieses Kriterium wirklich verlässlich anzuwenden“, sagte der Mediziner im „Ärzteblatt“.

Und da die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patienten sich während der Behandlung ändern könne, sei eine ständige Re-Evaluierung seines Zustandes notwendig, erklärte Dr. Johannes Albert Gehle von der Bundesärztekammer (BÄK). So könne sichergestellt werden, dass die ärztliche Indikation für die Weiterbehandlung und der Patientenwille mitberücksichtigt werden. Es gehe also nicht darum, ein Patient im „Nachhinein“ von der Behandlung auszuschließen. Deshalb sei er der Meinung, dass „Ex-Post“ möglich gemacht werden sollte.

Wie weit die Meinungen auch auseinander gehen mögen, so sind sich die meisten doch über eines einig: die Hoffnung, dass dieses Gesetz nie zur Anwendung kommen müsse.

(Mit Material von Nachrichtenagenturen)



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