Wagenknecht fordert Linkspartei zu Reform auf – andernfalls plant sie eigene Partei

Die Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fordert die Linkspartei zur kompletten Neuaufstellung auf. Derweil steht sie selbst im Visier von Verschwörungstheorien.
Titelbild
Sahra Wagenknecht.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 3. Mai 2023

Die in den 2000ern populär gewordene Gießener Deutschpop-Band Juli hat dieser Tage ein neues Album herausgebracht. Der Titel der dazugehörigen aktuellen Single – „Gehen oder bleiben“ – weckt im politischen Kontext derzeit Assoziationen eigener Art. Die frühere Fraktionschefin der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, will bis zum Jahresende entscheiden, ob sie eine eigene politische Formation gründet.

Jüngst hat Wagenknecht erklärt, dass sie unter einer Bedingung von diesem Vorhaben Abstand nehmen würde: „Die Linke“ müsse sich grundlegend erneuern. Wörtlich hatte die Politikerin geäußert:

Wenn die Linke sich völlig neu aufstellen würde, mit attraktiven Köpfen an der Parteispitze und einem vernünftigen Kurs, würde ich alle Überlegungen zu einer Neugründung sofort einstellen.“

Umfrageergebnisse der Linkspartei bestätigen Einschätzung durch Wagenknecht

Gegenüber der „Welt“ äußerte sich Wagenknecht jedoch auch skeptisch über die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens. Die Zusammensetzung der Mitglieder habe sich verändert, aber auch die politische Ausrichtung der Partei.

Bereits in ihrem 2021 erschienenen Buch „Die Selbstgerechten“ hatte Wagenknecht diese Entwicklung scharf kritisiert. Das Hauptproblem, so wiederholte sie auch jetzt, sei, dass die Linke „grüner als die Grünen sein will und sich mit woken Lifestyle-Themen beschäftigt“. Dafür gebe es allerdings keine Wählerbasis.

Aktuelle Zahlen widerlegen Wagenknechts Einschätzung jedenfalls nicht: Kein Umfrageinstitut sieht die Linkspartei derzeit deutlich über fünf Prozent – einige sehen sie sogar deutlich darunter. Stärke zeigt sie nur noch auf kommunaler Ebene, so etwa in anhaltischen Kleinstädten wie Bernburg oder Köthen. Dort konnte sie zuletzt Oberbürgermeisterposten erringen.

Bei der Bundestagswahl 2021 retteten drei Direktmandate der Partei bei 4,9 Prozent der Zweitstimmen den Verbleib im Parlament. Nach dem neuen Wahlrecht der Ampelkoalition würde dieser Rettungsanker 2025 wegfallen. Für die Linkspartei werde sie nicht mehr kandidieren, hatte die Politikerin bereits vor mehreren Monaten angekündigt.

Wissler wirft Ex-Fraktionschefin Diskursverweigerung vor

Die amtierende Parteisprecherin Janine Wissler reagiert unterdessen pikiert auf das Ultimatum, das Wagenknecht der Linken setzt. Gegenüber den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“ vom Mittwoch, 3. Mai, äußerte sie:

Eine einzelne Person kann sich nicht das Recht herausnehmen, den Kurs einer demokratischen Partei diktieren zu wollen.“

Es sei „selbstverständlich, dass eine demokratisch verfasste Partei auf solche Erpressungsversuche nicht eingehen“ werde. Allen programmatischen und inhaltlichen Weichenstellungen lägen Beschlüsse von Parteitagen und gewählten Gremien zugrunde. Wagenknecht, so Wissler, habe ihre Thesen lieber in Interviews als dort artikuliert.

Meinungsforscher bescheinigen höheres zweistelliges Potenzial

Bereits im vergangenen Jahr war eine mögliche Wagenknecht-Partei Gegenstand von Spekulationen. Umfrageinstitute hatten einer solchen ein zum Teil erhebliches Wählerpotenzial im zweistelligen Bereich zugebilligt. Dieses Potenzial entstamme nicht nur den Anhängern der Linkspartei.

Vor allem in Ostdeutschland, unter AfD- und FDP-Wählern, aber auch Nichtwählern könnten sich zahlreiche Bürger vorstellen, eine solche Partei zu wählen. Allerdings war das 2018 von Wagenknecht initiierte Projekt „Aufstehen“ erfolglos geblieben.

Auch im politischen und medialen Establishment scheint eine mögliche Wagenknecht-Partei jedoch für Nervosität zu sorgen. Unter Berufung auf angebliche „Kreml-Berichte“ verbreitete sich von der „Washington Post“ aus eine Verschwörungserzählung auch in deutschen Medien.

Wagenknecht soll bei „Kreml-Putsch“ in der ersten Reihe stehen

Die Zeitung konnte eigenen Angaben zufolge „Dokumente einsehen, die zwischen Juli und November entstanden und sich in Besitz eines europäischen Nachrichtendienstes befinden“. Russlands Präsident Wladimir Putin wolle demnach „mit einem Putsch“ Deutschland „zurückerobern“. Angeführt werde dieser von Sahra Wagenknecht und der AfD.

„Kreml-Strategen“ würden sich demnach eine Vereinigung dieser Kräfte erhoffen. Dadurch könnte, so die Erzählung weiter, „eine Mehrheit bei Wahlen auf allen Ebenen gewonnen werden“. Reale Erkenntnisse über tatsächliche Kontakte zwischen dem Kreml und Wagenknecht beziehungsweise der AfD gibt es jedoch keine. Allenfalls haben einzelne Funktionäre der AfD wie Thüringens Landeschef Björn Höcke Wagenknecht in der Vergangenheit zum Eintritt in ihre Partei aufgefordert.

„Querfront“ bleibt eine Chimäre

Tatsächlich erschöpfen sich – was auch dem Kreml bekannt sein dürfte – die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Lagern in der Ablehnung bestimmter politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. Darüber hinaus bleiben nur wenige gemeinsame Nenner.

Die vermeintlich drohende „Querfront“ von Linken und Rechten scheint vielmehr ein Zufallsprodukt ideologischer Projektionen zu sein. In Teilen der Anhängerschaft Wagenknechts dürfte eine traditionelle Verbundenheit mit Russland zwar bestehen. Im Vordergrund steht jedoch eher das gegen die USA gerichtete Narrativ der „antiimperialistischen Linken“.

Demgegenüber hatten Teile der extremen Rechten noch zu Beginn der 2010er-Jahre enge Kontakte zu ukrainischen Ultranationalisten gezeigt. Erst deren Verbrüderung mit proeuropäischen Kräften im Rahmen des „Euromaidan“ hat Teile der deutschen Rechten in eine Solidaritätsposition mit Russland gebracht.

(Mit Material von dts)



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