Wer nicht wählt, wählt grün

Bei der Bundestagswahl 2021 waren sie ebenso die stärkste Kraft wie bei der EU-Wahl 2019: Die Nichtwähler in Deutschland entscheiden Wahlen, indem sie an diesen nicht teilnehmen. Motive, die sie zur Stimmabgabe mobilisieren können, sind höchst unterschiedlich.
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Die Nichtwähler sind seit Längerem stärkste Kraft im Land – und sie können Wahlen entscheiden.Foto: Ole Spata/dpa
Von 9. April 2024

Bei der Bundestagswahl 2021 hatten knapp 14,5 Millionen Wahlberechtigte von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch gemacht. Die SPD als stimmenstärkste Kraft nach abgegebenen Zweitstimmen kam demgegenüber nur auf 11,9 Millionen. Bei der EU-Wahl 2019 war der Unterschied noch größer. Die CDU kam als stimmenstärkste Partei auf etwas mehr als 8,4 Millionen Stimmen – die Zahl der Nichtwähler lag bei knapp 23,8 Millionen. Das, obwohl zeitgleich in acht Bundesländern auch Kommunalwahlen stattfanden.

Kaum Nichtwähler in reichen und formal hoch gebildeten Bevölkerungsschichten

Traditionell ist die Wahlbeteiligung in Deutschland bei Bundestagswahlen am höchsten. Nachdem sie 2009 auf den historischen Tiefststand von 70,8 Prozent gesunken war, hat sie sich 2017 und 2021 bei 76,2 beziehungsweise 76,4 Prozent eingependelt.

Das Interesse an der Wahlteilnahme war jedoch nicht überall gleich hoch. Im Landkreis München-Land lag die Wahlbeteiligung bei 84,8 Prozent, in Starnberg bei 84,3. In beiden Fällen handelt es sich um Regionen, die seit Jahr und Tag ganz oben an der Spitze des bundesdeutschen Einkommensrankings liegen. Eine weitere Gemeinsamkeit: Die großen Sieger der Wahl waren die Grünen.

Mit einem Plus von jeweils mehr als fünf Prozentpunkten überholte die Partei sogar die SPD in der Wählergunst und wurde zweitstärkste Kraft hinter der CSU. Auch im Wahlkreis Köln II lag die Wahlbeteiligung bei stolzen 84,5 Prozent. Dort steigerten die Grünen ihren Zweitstimmenanteil von 15,5 auf 31,9 Prozent und holten außerdem das Direktmandat. Zwar sind dort die Durchschnittseinkommen nicht so hoch wie im Münchner Umland, dafür leben dort zahlreiche Studenten und Akademiker.

Zufriedene gehen wählen – davon profitieren vor allem die Grünen

Demgegenüber hatten im Wahlkreis Altmark in Sachsen-Anhalt nur 68,1 Prozent der Wahlberechtigten Ambitionen, ihre Stimme abzugeben. In den NRW-Wahlkreisen Gelsenkirchen und Duisburg II waren es gar nur 66,7 beziehungsweise 63,3 Prozent. Die Grünen erzielten in all diesen Stimmkreisen, in denen Einkommen und Akademikerquote gering sind, weit unterdurchschnittliche Ergebnisse.

Die enorme Macht, die den Grünen in der täglichen politischen Realität in Deutschland zukommt, ist nicht nur einer Medienlandschaft zu verdanken, die der Partei überwiegend wohlgesonnen ist. Vor allem verfügt sie über ein Stammwählerpotenzial, das eine hohe Disziplin aufweist, wenn es darum geht, sich an Wahlen zu beteiligen.

Wähler der Grünen sehen auch einen guten Grund, zur Wahl zu gehen und ihre Partei zu stärken. Sie sind – zum Teil als Einzige – mit der Leistung der Ampelkoalition überwiegend zufrieden. Sie sind am meisten mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zufrieden und auch generell mit der Richtung, in die sich das Land bewegt.

Elitäre Selbstwahrnehmung erhöht Bereitschaft zur Wahlbeteiligung

Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass nicht nur die eigenen Wähler, sondern auch die Gesamtbevölkerung die Grünen als wirksam einschätzt. Einer Allensbach-Umfrage vom März zufolge ist der Anteil der Befragten, die meinen, vor allem diese drückten der Ampelpolitik ihren Stempel auf, von 35 Prozent im Jahr 2022 auf 43 Prozent gestiegen.

Grüne Stammwähler verbindet nicht nur ein weithin geschlossenes Weltbild, das jederzeit genau zuordnen kann, wo aus ihrer Sicht Gut und Böse zu verorten sind. Auch das Selbstverständnis verbindet grüne Politik und ihre Wähler: Man sieht sich selbst als die aufgeklärte, gebildete Avantgarde, die vor allen anderen die Zeichen der Zeit und die tatsächlich wichtigen Themen erkannt habe – und von diesen angefeindet werde, weil man nicht davor zurückscheue, diese unbequemen Wahrheiten auszusprechen.

Wachsender Anteil an Überzeugungswählern bei AfD – Nichtwähler jedoch schwanken

Ein geschlossenes Weltbild und die Überzeugung, einer „wissenden“ Gruppe anzugehören, die anderen den Sinn für das Erforderliche voraus habe, findet sich auch auf der entgegengesetzten Seite. Dies hat für die AfD den Vorteil, dass auch sie auf einen stabilen Wähleranteil bauen kann, der sie nicht nur aus Protest, sondern aus weltanschaulicher Überzeugung wählt.

Die AfD hat dadurch vor allem 2017 eine Vielzahl vorheriger Nichtwähler an die Urne gebracht. Allerdings hat sie bereits 2021 wieder eine erhebliche Zahl davon eingebüßt. Sie verlor netto sogar mehr Wähler ins Lager der Nichtwähler als sie dazugewann. Seit Herbst 2022 hat sich dieser Trend wieder umgekehrt.

Auch bezüglich der AfD scheint eine gewisse Wirksamkeitswahrnehmung eine Rolle zu spielen. In den vergangenen Jahren wurde sie als sichtbarer Ausdruck des Protests gegen die grün dominierte Politik der Ampel gesehen. Gleiches konnte weder die FDP, die mit den Grünen koaliert, noch die Union, bei der viele noch vor Kurzem ein schwarz-grünes Bündnis favorisierten, bieten.

Hoher AfD-Anteil steigert auch Establishment-Interesse an Mobilisierung von Nichtwählern

Die Union profitiert wie die Grünen von der hohen Bereitschaft ihrer Wähler, sich an der Wahl zu beteiligen. Aus dem Lager der Nichtwähler vermag sie verhältnismäßig wenige Stimmen für sich gewinnen. In der Ära Merkel war die Demobilisierung sogar eine Kernstrategie der Union. Durch die Übernahme von Themen der SPD und der Grünen machte sie es diesen Parteien schwierig, potenzielle Wähler zu gewinnen.

Auf Demobilisierung setzen nun auch die Massendemonstrationen gegen die AfD. Die Teilnehmer gehen nicht davon aus, AfD-Wähler von der Politik der Ampel oder der Union überzeugen zu können. Sie wollen jedoch die Wirksamkeitswahrnehmung der Partei verringern. Die Botschaft dahinter richtet sich an Protest- und Nichtwähler – und besagt: „Die AfD wird nicht regieren und deshalb auch nichts erreichen.“ Ihre Sympathisanten könnten also auch zu Hause bleiben.

In geringerem Umfang setzt man auch darauf, Nichtwähler durch das Angstmotiv zu mobilisieren. Vor allem dort, wo AfD-Kandidaten kommunal mit Vorsprung in Stichwahlen gingen, sollte die Furcht vor extremer Politik Menschen an die Urne holen. Im Saale-Orla-Kreis war die Strategie Anfang 2024 erfolgreich, im Vorjahr in Sonneberg nicht.

Kriegsangst als mögliches Mobilisierungsthema?

Die Motive der Nichtwähler sind vielfältig, entsprechend müssten auch Mobilisierungsstrategien unterschiedlich ausfallen. Untersuchungen zufolge sind nur die wenigsten Nichtwähler grundsätzliche Wahlverweigerer. Die meisten sind politikverdrossen und finden sich in keinem Angebot wieder.

Am ehesten stellen Protest, Angst und in wenigen Fällen auch Hoffnung Motive dar, die Menschen aus der Wahlenthaltung zurück an die Urne bringen. Derzeit könnten Krisen- und Kriegsangst Möglichkeiten darstellen, die Wahlenthaltung zu senken.

Allensbach zufolge sind nur 20 Prozent der Nichtwähler politisch stark interessiert. Die Hälfte von ihnen ist aber der Überzeugung, dass der Staat sich nicht um ihre Anliegen kümmere. Entsprechend sehen Wahlforscher ein Mobilisierungspotenzial eher zugunsten von Parteien, die gegen den breiten Konsens wirken. Neben der AfD könnten davon auch Sahra Wagenknechts BSW und – in mittlerweile eher eingeschränkter Form – die Linkspartei profitieren.



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