Wie die Corona-Zeit den Aufschwung der AfD beflügelte

Vor vier Jahren stand das Land am Vorabend eines faktischen Notstandsregimes im Zeichen von Corona. Obwohl Umfragen durchgehend Mehrheiten für Einschränkungen des öffentlichen Lebens zeigten, stiegen Zweifel – und die Entfremdung von der Politik.
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AfD-Parlamentarier im Bundestag halten Plakate mit der Aufschrift „Freiheit statt Spaltung“ als Protest gegen die Covid-Regeln in Berlin, 12. Januar 2022.Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Von 5. März 2024

Die Erinnerungsfunktion auf Facebook wartet dieser Tage mit brisanten Inhalten auf. Noch am 4. März des Jahres 2020 hatten italienische Adria-Urlaubsorte stolz mit dem Hashtag #WeAreOpen geworben. Die Botschaft: Corona habe die Touristengegenden nicht erreicht und sei unter Kontrolle. Fünf Tage später verkündete die Regierung in Rom einen vollständigen Lockdown. Wenig später folgte Österreich. In Deutschland stand ab dem 22. März das öffentliche Leben still. Erst am 7. April 2023, nach mehr als drei Jahren, endete die letzte Maßnahme.

Zu Beginn forderte Weidel selbst „Maßnahmen vieler europäischer Länder“

Knapp ein Jahr nach dem Wegfall der Maskenpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen stellt Volker Rekittke im „Cicero“ eine eigenwillige These auf. Der Gesundheitsredakteur des „Schwäbischen Tagblatts“ äußert dort seine Einschätzung, dass die Corona-Maßnahmen einen entscheidenden Beitrag zum Aufschwung der AfD geleistet hätten.

Er bescheinigt der Partei in seinem Beitrag, eine „solide, kritische Oppositionsarbeit“ gemacht zu haben und dies bis heute zu tun. Bereits seit zweieinhalb Jahren rechne er damit, dass die AfD „für ihre konsequente Linie in Sachen Corona irgendwann die Ernte einfahren wird“.

Gänzlich einheitlich war die Politik der Partei in der Coronakrise nicht immer. Noch am 12. März 2020 hatte Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel der Bundesregierung vorgeworfen, durch ihr „Nichtstun Leib und Leben der Menschen in unserem Land“ zu gefährden. Sie forderte diese dazu auf, „dem Beispiel vieler europäischer Länder zu folgen und endlich die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einzuleiten“.

Unmittelbar hatte Maßnahmenkritik politisch sogar geschadet

Erst später wurde die Partei – ähnlich wie die FPÖ in Österreich – zur Stimme der Maßnahmengegner. Zwar entbrannten teilweise innerparteiliche Konflikte, inwieweit man sich die Narrative der sogenannten Querdenker zu eigen machen solle. Am Ende hatte der damalige Bundessprecher Jörg Meuthen mit seinem Appell, zu diesen auf Distanz zu bleiben, wenig Erfolg.

Lange Zeit hatte es den Anschein, als würde die fundamentale Ablehnung aller Corona-Maßnahmen von der Maske bis zur Impfkampagne der AfD politisch schaden. In den Jahren 2021 und 2022 verlor sie bei mehreren Landtagswahlen und der Bundestagswahl Stimmen. In Schleswig-Holstein flog sie sogar aus dem Landtag.

Auch die den Querdenkenden nahestehende Anti-Maßnahmen-Partei „Die Basis“ konnte – anders als die gleich gesinnte MFG in Österreich – keine Erfolge feiern. Erst Niedersachsen im Herbst 2022 wurde zumindest für die AfD zum Wendepunkt – im Zeichen der Energiekrise.

Mehr als 70 Prozent hatten sich subjektiv mit den Maßnahmen arrangiert

Inwieweit die Corona-Politik auch nach ihrem Ende noch Wahlentscheidungen beeinflusst, ist ungewiss. In der Corona-Zeit selbst war eine Mehrheit der Bevölkerung mit den Maßnahmen einverstanden – einigen gingen sie sogar nicht weit genug. Im Dezember 2021, als die Inzidenz erstmals den bis dahin ermittelten Höchstwert erreicht hatte, forderten sogar 60 Prozent noch weitreichendere Beschränkungen.

Infografik: 44 Prozent finden Maßnahmen angemessen | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Deren Anteil ging anschließend rapide zurück. Gleichzeitig wuchs langsamer, aber stetig der Prozentsatz der Befragten, die eine Lockerung von Maßnahmen forderten. Zu Beginn des Jahres 2023 war der Anteil der Bürger, die mit der Corona-Politik unzufrieden waren, in Deutschland bereits im EU-Durchschnitt hoch.

Gleichzeitig hatten während der Pandemie selbst die meisten Bürger in Umfragen angegeben, sich mit der Situation arrangiert zu haben. Durch die gesamte Corona-Zeit hindurch äußerten mehr als 70 Prozent der Befragten, sie kämen „mittlerweile mit der Situation durch Corona sehr gut zurecht“.

Corona kein Thema mehr – „Politikverdruss“ aber immer häufiger

Als entscheidendes Thema, das Wahlen gewinnt, eignet sich die Corona-Aufarbeitung kaum. Seit Beginn des Ukrainekrieges wird Corona generell kaum noch in der Liste der Themen genannt, die das Land bewegen. Seit die Pandemie aus den Medien verschwunden ist, nehmen die Menschen generell an Gesundheitsthemen weniger Anteil.

Trotz der vielfach erfolgreichen Strategien von Bürgern, mit der Situation individuell gut umgehen zu können, scheint jedoch unterschwellig im Gemeinwesen etwas ins Rutschen gekommen zu sein. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass der „Politikverdruss“ als Thema, das die Bürger bewegt, häufiger genannt wird. Es zeigt sich auch im Absturz der Ampel, am Aufschwung der AfD und am Entstehen neuer Parteien, die auf Distanz zum etablierten Spektrum gehen.

Zu diesen gehören insbesondere das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) und die WerteUnion. Beide verbindet miteinander, dass auch ihre führenden Exponenten Sahra Wagenknecht und Hans-Georg Maaßen in der Corona-Zeit maßnahmenkritisch aufgetreten waren. Zudem nehmen Personen wie Friedrich Pürner oder Dr. Gunter Frank in den jeweiligen Formationen eine wichtige Rolle ein.

Wahrnehmung der Maßnahmen von zahlreichen Faktoren abhängig

Viele Faktoren beeinflussten die Wahrnehmung der Corona-Politik, von Medienberichterstattung über politische Einstellungen bis hin zum Vertrauen in die Regierung oder die Meinungen des Umfelds. Studien zeigen auch, dass die Erinnerung an die Zeit und deren Erleben vielfach von persönlichen Erfahrungen geprägt sind. Häufig beeinflussen auch eigene Motivationen die historischen Narrative.

Sogar das Stadt-Land-Gefälle spielte eine Rolle. Neben grundsätzlichen Unterschieden in vielen Grundüberzeugungen war in den Städten die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen größer – vor allem in Anbetracht der dichteren Besiedelung. Auf dem Land hingegen wurden primär die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns als traumatisierend wahrgenommen.

Als Gesellschaft in einen derartigen Ausnahmezustand hineingeworfen zu werden, war jedoch für die meisten Beteiligten eine neuartige Erfahrung. Die Lage und die Reaktionen von Politik und Verwaltung stellten auch das Vertrauen in Staat und Gemeinwesen auf die Probe.

Auch 20 Prozent der Geimpften überzeugt: „Politiker hielten Maßnahmen länger als nötig aufrecht“

Wie die „Zeit“ unter Berufung auf eine Befragung durch ein Psychologenteam Ende 2022 und Anfang 2023 schreibt, ist dieses nicht gleichmäßig verteilt. Das Vertrauensproblem reiche demnach noch deutlich über die fast 15 Prozent Erwachsenen in Deutschland hinaus, die sich nie impfen ließen.

Von den Ungeimpften sind 54 Prozent davon überzeugt, dass die Corona-Maßnahmen nur ein Vorwand vonseiten der politischen Klasse gewesen wären, um bürgerliche Freiheiten einzuschränken. Sie sind zudem davon überzeugt, dass die Maßnahmen grundsätzlich willkürlich gewesen wären und keinen Effekt gehabt hätten. Vielmehr hätten sie der „Gewöhnung an Unfreiheit“ gedient oder seien ein Test gewesen, wie weit man als Staat gehen könne. Von den Geimpften ist nur jeder Zehnte dieser Überzeugung.

Ganze 68 Prozent der Ungeimpften, aber auch 20 Prozent der Geimpften glauben jedoch, dass die Politik die Corona-Maßnahmen länger als erforderlich aufrechterhalten hätte. Demnach wäre das aus Sicht der Politik erforderlich gewesen, um nach einer anfänglichen Überreaktion mit enormen ökonomischen Schäden nicht das Gesicht zu verlieren.

Impfdurchbrüche und Fälle starker Nebenwirkungen waren lange ein Tabuthema

Volker Rekittke spricht im „Cicero“ zudem Faktoren für die Wahrnehmung der Corona-Politik an, die er als Redakteur aus erster Hand wahrgenommen habe. Nicht nur seinem privaten Freundeskreis, auch ihm selbst fiel das Ausmaß der sozialen Isolation auf, der Personen ohne 3G-Nachweis ausgesetzt waren.

Er nahm wahr, wie sogenannte alternative Informationsquellen an Lesern gewannen, je häufiger Menschen von „Impfdurchbrüchen“ oder nicht nur unwesentlichen Nebenwirkungen berichteten. Lange Zeit war darüber in etablierten Formaten kaum etwas zu lesen. Dazu kamen einzelne kritische Berichte in öffentlich-rechtlichen Medien, die nach kurzer Zeit nicht mehr auffindbar gewesen seien.

Auch sei von Initiativen wie der „Great Barrington Declaration“ nie etwas in großen deutschen Medien zu lesen gewesen. Dieses von tausenden Wissenschaftlern unterzeichnete Dokument warnte vor sozialen Folgeschäden von Corona-Maßnahmen. Es plädierte für einen gezielten Schutz von Risikogruppen. In der deutschen Medienöffentlichkeit wurde dieser Ansatz der Corona-Bekämpfung jedoch als „unsolidarisch“ und vermeintliche Isolation Gefährdeter geframt.

Nur Grüne mehrheitlich noch von Redefreiheit in Deutschland überzeugt

Das hohe Maß an Konformität und der Umgang mit kritischen Stimmen habe bei vielen den Glauben an die Demokratie untergraben, deutet Rekittke an. Er verweist auf eine Umfrage von Allensbach und dem „Media Tenor“ aus dem Jahr 2023. In dieser äußerten nur noch 40 Prozent der Befragten die Überzeugung, man könne in Deutschland seine politische Meinung frei äußern.

Das stellte einen Tiefstwert seit Beginn der Befragung 1953 dar. 44 Prozent der Befragten meinten hingegen, es sei „besser, vorsichtig zu sein“. Lediglich die Anhänger der Grünen sagten zu 75 Prozent, in Deutschland könne man frei reden.

Rekittke erklärt den späteren massiven Aufschwung der AfD auch aus diesem Grund primär mit der Art und Weise, wie Corona das Land beeinflusst habe. Da es in den etablierten Parteien nur vereinzelte Gegenstimmen wie die von Wolfgang Kubicki oder Sahra Wagenknecht gegeben habe, sei diese als „einzige Opposition“ wahrgenommen worden.

Angesichts der Reichweite der Eingriffe und des Umfangs der damit verbundenen Einschnitte in die Grundrechte seien kritische Stimmen auf kommunaler Ebene zu spät gekommen.

Corona unterschied sich von anderen Krisen durch Breite der konkreten Erfahrung

Es deutet unterdessen vieles darauf hin, dass Corona nicht der einzige Faktor für eine gespaltene und von Misstrauen und Entfremdung gekennzeichnete Gesellschaft ist. Bereits zuvor hatten die Eurorettung, die Ukrainekrise, die Flüchtlingspolitik und die Klimapolitik Gräben aufgerissen. Eine einseitige und häufig belehrende Medienberichterstattung hatte diese zusätzlich vertieft.

Die Corona-Maßnahmen stellten aber mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Brandbeschleuniger dar. Dies insbesondere deshalb, weil sie – anders als die zuvor aufgetretenen Krisen – nicht mehr für die Mehrheit der Menschen abstrakt blieben, sondern tief in jedermanns Alltag eingriffen.

Je länger die Maßnahmen andauerten und je stärker sich Zweifel an deren Wirksamkeit ausbreiteten, umso geringer wurde deren Akzeptanz. Dazu kam eine beiderseitige Radikalisierung durch immer stärker hermetisch abgeschlossene Filterblasen.

Eskalationsspirale in den Echokammern

Befürworter der Corona-Einschränkungen stachelten einander in ihrer Verachtung für Maßnahmenkritiker und Ungeimpfte an. Politiker forderten, es solle für Ungeimpfte „ungemütlich“ werden und attestierten ihnen, die Gesellschaft zu „terrorisieren“ oder „in Geiselhaft“ zu nehmen. Öffentlich-rechtliche Formate bezeichneten sie als „Blinddarm der Gesellschaft“. Tübingens OB Boris Palmer forderte, Impfverweigerer in „Beugehaft“ zu nehmen; Konzernchef Stefan Dräger wollte Ungeimpften die COVID-19-Behandlung verweigern. Im damals noch stark zensierten Netzwerk-Twitter verstärkte sich diese Dynamik noch weiter.

Einen ähnlichen Effekt gab es auch auf der Gegenseite. Dort wurden „alternative“ Kommunikationsplattformen und Medien zur alleinigen Informationsquelle – was nicht selten auf Kosten der Qualität dieser Informationen ging. Dazu kam ein Opfernarrativ, das sich nicht nur vom Filterblaseneffekt, sondern auch von der gezielten Nichtwahrnehmung maßnahmenkritischer Informationen durch etablierte Kanäle genährt sah. Dieses machte am Ende nicht einmal vor einer Selbstgleichsetzung mit verfolgten Juden im Nationalsozialismus halt.

Für die meisten Bürger des Landes mag die Corona-Zeit eine verstörende, aber in der Vergangenheit angekommene Erfahrung darstellen. Das Risiko einer Schlussstrich-Politik liegt jedoch darin, dass die tiefen Gräben und die Misstrauensgesellschaft, die geblieben sind, bei nächster Gelegenheit erneut aufreißen.



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