Debatte um kürzere Arbeitszeit: Viertagewoche gefährdet Deutschlands Wohlstand

Die GDL und die IG Metall haben das Thema einer verkürzten Arbeitszeit wieder in die öffentliche Debatte gebracht. Dies soll die Produktivität verbessern und Fachkräfte ins Land bringen. Auf breiter Ebene halten Experten die Erwartungen für unrealistisch.
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Deutschland muss mehr arbeiten, um seinen Standard zu halten, so der IW-Ökonom Holger Schäfer.Foto: iStock
Von 16. Februar 2024

Nach langer Zeit spricht Deutschland wieder verstärkt über eine Verkürzung der Arbeitszeit. Anlass dafür sind die Forderungen der Lokführergewerkschaft GDL nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden. Die IG Metall geht im Herbst möglicherweise mit dem Ansinnen in die Tarifverhandlungen, eine Viertagewoche zur Regel zu machen. Im Frühsommer will die Gewerkschaft dazu über eine breit angelegte Beschäftigtenumfrage ein Stimmungsbild gewinnen.

Nach Ende der 1980er-Jahre verschwand Arbeitszeitverkürzung von der Tagesordnung

Die Frage der 35-Stunden-Woche war in den 1980er-Jahren ein zentrales Thema in der öffentlichen Debatte. Vor allem Gewerkschaften wie die IG Metall und IG Druck und Papier machten sie zum Gegenstand ausgedehnter Streiks.

Am Ende standen eine Verkürzung der Regelarbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden – und eine Flexibilisierung bei der Gestaltung von Durchrechnungszeiträumen bei der Wochenarbeitszeit. Die Beschäftigungseffekte waren überschaubar, andererseits haben sich auch Schreckensszenarien eines industriellen Massenexodus nicht bewahrheitet.

Die Wiedervereinigung und der Zusammenbruch des Ostblocks hatten auch bei den Gewerkschaften zu mehr Zurückhaltung in der Frage kürzerer Arbeitszeiten geführt. Grund dafür waren Massenarbeitslosigkeit und geringer Organisationsgrad vor allem in den neuen Bundesländern – und das Gespenst der Globalisierung. Die 1990er-Jahre waren tendenziell kein günstiges Jahrzehnt für eine Ausweitung von Forderungen für Beschäftigte.

Geringere Arbeitszeit soll Fachkräfte anziehen

Heute befindet sich das Land in einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, doch die Debatte um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich flammt wieder auf. Der Forderung liegen im Wesentlichen zwei Annahmen zugrunde. Die eine besteht darin, dass Beschäftigte, die kürzer arbeiten, auch produktiver arbeiten. Offenbar geht diese Argumentation von einer erheblichen Dunkelziffer an Leerlauf aus.

Die andere besagt, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit für bereits in Vollzeitbeschäftigung befindliche Arbeitnehmer Kapazitäten für Fachkräfte frei mache. Außerdem würden kürzere Arbeitszeiten Deutschland für diese attraktiver machen.

Die mögliche Krux an dieser Argumentation ist jedoch nicht nur, dass es in Deutschland zu wenige Fachkräfte gibt. Den Mangel gibt es zudem, obwohl die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland im europäischen Vergleich jetzt schon niedrig ist.

Deutsche Wochenarbeitszeit weit unter dem europäischen Durchschnitt

Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, liegt diese in Deutschland bei 34,7 Stunden – und damit erheblich unter dem europäischen Durchschnitt von 37 Stunden. Mit 43,2 Stunden liegt Serbien diesbezüglich an der Spitze – den geringsten Wert wiesen mit 31,3 Wochenarbeitsstunden die Niederlande auf.

Allerdings geht das Gefälle zwischen Deutschland und dem nordwestlichen Nachbarn auf den noch deutlich stärkeren Anstieg der Teilzeitbeschäftigung in den Niederlanden zurück. Vollzeitbeschäftigte arbeiten dort im Schnitt 39,4 Stunden pro Woche, Teilzeitbeschäftigte 21,1. Beide Werte liegen nicht signifikant über oder unter dem deutschen Referenzwert.

Arbeitsmarktökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg gibt gegenüber der „Wirtschaftswoche“ zu bedenken, dass in der Einzelfallbetrachtung die Annahmen zuträfen. Tatsächlich sei ein Arbeitgeber, der einen vollwertigen Lohn bei geringerer Arbeitszeit bezahle, besonders attraktiv.

Unter den herrschenden Bedingungen eines Marktes mit knappem Angebot hätte ein Arbeitgeber, der damit vorprescht, möglicherweise nicht einmal einen Verlust zu erwarten. Er könnte damit rechnen, dass besonders produktive Fachkräfte Interesse hätten, sich dort zu bewerben.

Weniger Arbeitszeit trifft auf weniger noch erschließbare Arbeitspotenziale

Das Problem auf breiter Ebene sei jedoch, dass es insgesamt nicht mehr Fachkräfte gebe. Und deshalb würde eine volle Lohnkompensation bei weniger Arbeitszeit in der Fläche weniger Einkommen, weniger Nachfrage und weniger ökonomische Transaktionen bedeuten. Einen ökonomischen Untergang würde eine Viertagewoche für alle nicht bedeuten. Reduzierten Wohlstand hingegen sehr wohl.

Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft verweist außerdem darauf, dass es in Deutschland kaum noch brachliegende Arbeitsreservoirs gebe. Es seien 75,4 Prozent der Frauen und 75,3 Prozent der Erwerbsfähigen zwischen 55 und 64 Jahren erwerbstätig. Die demografische Entwicklung führe dazu, dass Deutschland „nicht weniger, sondern mehr arbeiten“ müsste, um seinen Standard zu erhalten.

Ferner müsste im Fall der angestrebten flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung die Produktivität um 25 Prozent steigen, um deren Effekt auszugleichen. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum der Produktivität habe in den vergangenen zehn Jahren jedoch unter einem Prozent gelegen.



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