Wirtschaftsberichte von ARD und ZDF folgen „eng der politischen Agenda“

Selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt es zu wenige Hintergrundinfos über die Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik. Das hat eine Studie im Auftrag des DGB und der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) ergeben. Besonders die Nachrichtensendungen und Talkshows hingen an der „Agenda des politischen Berlins“.
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Das Archivbild zeigt Sandra Maischberger, Gastgeberin und Moderatorin der gleichnamigen Talkshow im Ersten.Foto: Markus Tedeskino/WDR/ARD/dpa/dpa
Von 23. Mai 2024

„It’s the economy, stupid!“ Das geflügelte Wort, nachdem die Hintergründe für politische Entscheidungen im Wirtschaftsleben zu suchen sind, ist nach wie vor aktuell. Doch nicht jeder kennt sich mit den Grundlagen von Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre aus, und abseits der Universitäten und Berufsschulen wird das entsprechende Wissen meist nur am Rande vermittelt. In den privaten Fernsehsendern fristet das Thema Wirtschaftspolitik ohnehin ein Nischendasein.

Umso wichtiger, dass wenigstens die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten das Spannungsfeld zwischen Politik und Ökonomie verständlich aufbereiten, meinen die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi (SPD) und Jupp Legrand, der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung (OBS), der Wissenschaftsstiftung der IG Metall.

Die beiden Gewerkschaftsvertreter hatten die Journalisten Prof. Henrik Müller und Dr. Gerret von Nordheim beauftragt, die Wirtschaftsberichterstattung in ARD und ZDF zwischen September 2022 und Februar 2023 „mithilfe computerbasierter Methoden der Spracherkennung“ unter die Lupe zu nehmen. „Knapp 5.800 Sendungen mit rund 3.400 Stunden Programm“ mussten sie dafür analysieren. Was sie herausfanden, findet schon kurz und knapp im Titel ihrer Studie Niederschlag: „Viel Kraft – wenig Biss“ (PDF-Datei, 88 Seiten).

Wirtschaftspolitik oft im Programm, aber inhaltlich „schmal“

„Es gibt viel Wirtschaft im öffentlich-rechtlichen TV“, heißt es anerkennend in den Schlussfolgerungen. Gerade in Nachrichtensendungen und politischen Talkshows sei es im untersuchten Zeitraum in 20 beziehungsweise 22 Prozent der Sendezeit um wirtschaftspolitische Inhalte gegangen, in den Politikmagazinen ebenfalls zu 22 Prozent. Daneben gebe es noch „Dokumentationen, Features, Reportagen und Reihen, […] außerdem Comedy- und Magazinformate, Kindernachrichten, Wissenschaftsmagazine und einiges mehr, die immer wieder wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Themen aufgreifen, allerdings nicht auf einer kontinuierlichen Basis“.

Doch die Menge allein genügt nach Auffassung von Müller und von Nordheim nicht: „Trotz des vergleichsweise großen Sendevolumens, das dem Themenfeld Wirtschaft gewidmet ist, bleibt die wirtschaftspolitische Berichterstattung schmal“, stellen die beiden Autoren fest. Zudem orientierten sich die Redaktionen „in weiten Teilen eng an der politischen Agenda“ und setzten „wenig eigene Themenschwerpunkte“. Das gehe zulasten der Auseinandersetzung mit den verantwortlichen Akteuren und den längerfristigen Folgen ihrer Politik.

Lob für „Wirtschaft vor acht“ und „Plusminus“

Unabhängig von ökonomischen Ereignissen, die regelmäßig eine nachrichtliche Berichterstattung nach sich zögen, biete lediglich das werktägliche Kurzformat „Wirtschaft vor acht“ im Ersten „einen schlaglichtartigen Einblick in aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklungen, ihre Ursachen und Implikationen“ – inklusive des Blicks auf die „europäische und internationale Ebene“.

Unter den Wirtschaftsmagazinen offeriere die ARD-Sendung „Plusminus“ den „höchste[n] Wert an wirtschaftspolitischen Inhalten“. Er liege immerhin bei zehn Prozent der Sendezeit. Allerdings wählten die Redakteure meist die Perspektive des Rat suchenden Verbrauchers und bildeten weniger Hintergründiges oder internationale Zusammenhänge ab: „Der Fokus liegt in der Regel nicht darauf, das Verständnis für diese Umstände zu problematisieren oder sie überhaupt näher zu beleuchten.“ In dieser Hinsicht mache auch die ZDF-Sendung „WiSo“ keinen großen Unterschied.

Dafür werde allerdings die nachrichtentypische „Elitenfixierung“ auf politische Akteure in Wirtschaftsmagazinen „durchbrochen“, überwiegend kämen Experten oder betroffene Bürger zu Wort.

Nachrichtensendungen und Talkshows: Vor allem Aktuelles aus Berlin

In den Nachrichtenformaten von ARD und ZDF – der „Tagesschau“, den „Tagesthemen“, „ZDF heute“ und dem „ZDF heute journal“ – stehe dagegen vorwiegend die „Agenda des politischen Berlins“ im Mittelpunkt, außerdem datenbasierte Themen über Konjunktur und Inflation oder Aktuelles über Streikszenarien.

„Was in den Nachrichtenformaten unterbelichtet bleibt, ist vor allem die internationale Dimension der Wirtschaft“, bemängeln Müller und von Nordheim, „das Inland dominiert als Schauplatz ganz eindeutig, ebenso inländische Akteure. Entwicklungen im Ausland werden nicht kontinuierlich, sondern allenfalls ereignisbezogen beachtet“.

Ähnlich sei die Situation in den politischen Talkshows von Lanz bis Maischberger, bei denen allerdings das Thema Tarifpolitik „traditionell […] keine große Rolle“ spiele.

Das Ideal aus Sicht der Wissenschaftler

Insgesamt, so die Autoren, bleibe „die Berichterstattung [bei ARD und ZDF] stark in der Tagespolitik verhaftet“, ohne den Blick allzu oft auf Großunternehmen und Konzerne zu richten. Das bleibe in der Regel den Politikmagazinen vorbehalten. „Was in der Gesamtschau der Ergebnisse über alle Formate hinweg fehlt, ist eine wirtschaftspolitische Berichterstattung mit einer vorausschauenden Perspektive und eigener Schwerpunktsetzung“, kritisieren die Studienautoren. Ihr Ideal:

Im Sinne des Informationsauftrags wäre eine kontinuierliche, vielfältige, ausgewogene Berichterstattung über wirtschaftspolitische Maßnahmen sowie volkswirtschaftliche und sozialpolitische Entwicklungen, über Vorgänge in großen Konzernen, Branchen und Institutionen sowie über die Lage der Beschäftigten und Arbeitslosen mindestens notwendig.“

Das sehen die Auftraggeber der Studie, Fahimi und Legrand, ganz ähnlich. Sie halten insbesondere das Spannungsfeld zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern für unterrepräsentiert: Im Untersuchungszeitraum seien Themen wie „Tarifkonflikte oder Mitbestimmung kaum“ bei ARD und ZDF zu sehen gewesen. Aus Sicht von Fahimi und Legrand ist es zudem „unbefriedigend“, wenn die Zuschauer weniger als „arbeitende Menschen“, aber häufig als Konsumenten adressiert würden.

Zusammenfassend wünschen sich die Gewerkschaftler „weniger Themenkonjunkturen, mehr hintergründige (und damit vorausschauende) Berichterstattung“, zudem „mehr eigene redaktionelle Schwerpunkte, weniger Nabelschau der nationalen Politik“.



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