Der Mythos von den faulen Deutschen

Im Land der Tugend leben die faulsten Menschen, so könnte man eine Arbeitszeit-Studie der OECD interpretieren. Vor voreiligen Schlüssen warnen jedoch die Autoren selbst. Die Unstatistik des Monats erläutert die Hintergründe.
Arbeiten die Deutschen zu wenig? Eine Arbeitszeits-Studie der OECD lässt es vermuten.
Arbeiten die Deutschen zu wenig? Eine Arbeitszeits-Studie der OECD lässt es vermuten. (Symbolbild)Foto: iStock
Epoch Times2. September 2023

Die Unstatistik des Monats August ist die Interpretation einer OECD-Statistik zur durchschnittlichen jährlichen Arbeitszeit in den Industrieländern. Deutschland liegt im Jahr 2022 weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Gerade einmal 1.341 Stunden je Erwerbstätigen wurden geleistet; der OECD-Schnitt lag bei 1.752 Stunden. Mexiko lag mit 2.126 Stunden an der Spitze.

Mit schöner Regelmäßigkeit werden diese Zahlen völlig fehlinterpretiert. Die „Rheinische Post“ schrieb Ende Juli vom „Mythos der fleißigen Deutschen“, der durch die Statistik „entlarvt“ würde. Schon im März behauptete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im „Informationsdienst Wissenschaft“ unter Berufung auf die OECD-Zahlen: „In der Bundesrepublik wird im Vergleich zu anderen Ländern wenig gearbeitet.“ Die „vdi-Nachrichten“ kommentierten Anfang August: „Keiner arbeitet so wenig wie die Deutschen.“ Doch „Länder, in denen Menschen weniger arbeiten, sind in der Regel produktiver und wohlhabender.“

Erst vor wenigen Tagen stellte ein Nutzer in den sozialen Netzwerken die Frage, warum wir (er bezog sich auf die Schweiz) so wenig arbeiten würden und dennoch so wahnsinnig gestresst seien. In weit über 500 Kommentaren wurde heftig darüber gestritten, ob Schweizer (und Deutsche) gerne jammerten, zu viel sinnfreie Arbeit verrichteten oder es einfach nicht mehr gewohnt seien, lange zu arbeiten.

Zu Hause bleiben erhöht die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit

Alle diese Lesarten übersehen eine wichtige Limitation: Die OECD-Statistik umfasst „die regulären Arbeitsstunden von Vollzeit-, Teilzeit- und Saisonarbeitskräften, bezahlte und unbezahlte Überstunden sowie die in Nebentätigkeiten geleisteten Stunden“. Deren Anteile variieren von Land zu Land.

Bei der Berechnung des Durchschnitts zählt aber ein Erwerbstätiger in Vollzeit genauso viel wie einer, der nur 15 Wochenstunden arbeitet. Die Zahlen sind deshalb nicht für Ländervergleiche geeignet, worauf die OECD auch deutlich hinweist.

Angenommen in einer Familie arbeitet der Mann 38,5 Wochenstunden an 45 Arbeitswochen, während seine Frau nicht erwerbstätig ist. Das ergibt mit 1.732,5 Stunden fast genau den OECD-Schnitt. Nun erhöht er seine Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden, während sie eine Teilzeitbeschäftigung mit 20 Wochenstunden aufnimmt. Durchschnittlich arbeiten beide also 30 Stunden an 45 Wochen, also etwa die deutschen 1.350 Stunden jährlich.

Statistisch gesehen ist das weniger, obwohl beide länger arbeiten. Mit anderen Worten: Will Deutschland den Anschluss an die OECD schaffen, muss einfach nur jeder Teilzeitbeschäftigte ab morgen zu Hause bleiben.

Was die Studie wirklich sagt: Deutsche Frauen arbeiten überdurchschnittlich

Das heißt, die Ursachen für die vermeintlich schlechte Arbeitsleistung Deutschlands liegt in der Art und Weise der Datenerfassung. Dies lässt sich leicht zeigen, wenn man Teilzeitquoten und insbesondere die Erwerbstätigkeitsquoten von Frauen in den OECD-Ländern den jeweils durchschnittlichen Jahresarbeitsstunden gegenüberstellt.

Der Anteil von Frauen in Teilzeit ist immer höher als derjenige der Männer – im OECD-Schnitt um fast 50 Prozent. Zwischen Teilzeitquote und Jahresarbeitsstunden lag im Jahr 2022 die Korrelation bei -0,33. Das heißt: Es gibt einen leicht negativen Zusammenhang zwischen Teilzeitquote und geleisteten Arbeitsstunden. Sprich, arbeiten mehr Menschen in Teilzeit, sinkt die Gesamtarbeitszeit.

Die Korrelation zwischen dem Anteil erwerbstätiger Frauen und geleisteten Arbeitsstunden ist deutlich stärker; sie liegt bei -0,68. Das bedeutet: Je stärker Frauen am Arbeitsmarkt partizipieren, umso geringer ist die durchschnittliche Zahl der jährlich gearbeiteten Stunden, weil Frauen häufiger in Teilzeit beschäftigt sind.

Bezogen auf den OECD-Vergleich liegt Deutschland mit etwa 73 Prozent erwerbstätigen Frauen deutlich über dem OECD-Schnitt. In Mexiko, dem Land mit den „fleißigsten“ Menschen, arbeiten weniger als die Hälfte der Frauen, in der Türkei nur etwa jede Dritte.

Anteil erwerbstätiger Frauen und jährliche Arbeitsstunden in OECD-Ländern. Foto: RWI Leibnitz-Institut/Unstatistik

Man kann auch acht Stunden am Tag nichts arbeiten …

Es gibt weitere Gründe für die Differenzen, zum Beispiel eine unterschiedliche gesetzliche Mindestanzahl an Urlaubstagen in den jeweiligen Ländern oder eine unzureichende Sozialversicherung, die in manchen Ländern Arbeitnehmer dazu bewegt, auch bei Erkrankung zu arbeiten. Insbesondere die fehlende Gewichtung von Voll- und Teilzeit verzerrt das Ergebnis allerdings massiv.

Eine geringere durchschnittliche Arbeitszeit sagt deshalb nichts über Fleiß oder Faulheit aus. Es kommt vielmehr darauf an, was man in einer Stunde an Wert produziert.

Dieser Artikel erschien im Original auf rwi-essen.de unter dem Titel: Der Mythos von den faulen Deutschen (redaktionelle Bearbeitung ts)



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