Pest ist nicht Geschichte: So präsent ist die Krankheit noch heute

Die Pest ist eine der gravierendsten Krankheiten der Menschheitsgeschichte. Seit mehr als 5.000 Jahren starben Millionen von Menschen an dieser Seuche, für die es heute noch immer keinen endgültigen Schutz gibt. Kaum einer weiß, wie präsent sie nach wie vor im täglichen Leben ist.
Monument der Pest in Wien
Die berühmte Pestsäule in Wien, Österreich.Foto: iStock
Von 15. Juni 2022

Über mehr als 100 Jahre fiel dem „Schwarzen Tod“ geschätzt die Hälfte der mittelalterlichen Bevölkerung zum Opfer. Heute werden immer noch Begriffe und Redewendungen verwendet, die in enger Verbindung mit der Pest stehen. Und nur wenige Menschen wissen, dass die Pest-Epidemie aus dem 14. Jahrhundert nicht die einzige ihrer Art war.

Wann wurden die Menschen erstmals mit der Pest konfrontiert? Welche Hinweise und Belege gibt es? Wie gingen die Menschen mit dieser Krankheit um? Ein Blick in die Geschichte.

Die Herkunft des Begriffes „Pest“

Der Name dieser Krankheit stammt von dem lateinischen Begriff „pestis“ und tritt häufig in Schriftquellen auf. Jedoch bedeutet dieses Wort übersetzt lediglich „Seuche“ und steht daher im Allgemeinen für eine weitverbreitete Krankheit, die ein Massensterben auslösen könnte.

Den Namen „Pest“ erhielt diese bakterielle Krankheit erst in moderner Zeit. Auch die Bezeichnung „Schwarzer Tod“ entstand erst im 16. Jahrhundert in Skandinavien. [1] Eine genauere Beschreibung der Krankheit ist in der Literatur schwer zu finden. Ein Grund dafür ist, dass meist keine genauen Beschreibungen der Symptome aufgezeichnet wurden. Dies macht es schwieriger zu erkennen, von welcher Krankheit genau in den Texten berichtet wird.

Pest-Bakterium "Yersinia pestis"

Diese elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt das Pestbakterium Yersinia pestis. Foto: Robert-Koch-Institut/dpa/dpa

Der erste wissenschaftliche Nachweis der Krankheit gelang Alexandre Yersin im Jahre 1894 mit der Entdeckung des Erregers „Yersinia pestis“. Weitere vier Jahre später entdeckte Paul-Louis Simond, dass die Krankheit von Ratten ausgelöst und durch den „Flohsprung“ auf den Menschen übertragen werden kann. Neuesten Erkenntnissen zufolge spielen dabei nicht nur Rattenflöhe, sondern auch der Menschenfloh „Pulex irritans“ eine entscheidende Rolle. [2]

Mittlerweile ist bekannt, dass Nagetiere im allgemeinen Träger des Erregers sind. Dass die Pest noch heute in den Nagern schlummert, zeigten mehrere aktuelle Fälle aus Innerasien.

So traten kürzlich in der Mongolei mehrere Rattenpest-Fälle auf. Ein weiterer Fall von 2019 zeigte zudem, dass bereits der Verzehr von rohem Fleisch eines pestkranken Nagetieres zu einer Infektion und zum Tod führen kann.

Beulen, schwarze Flecken und der Geruch von Verwesung

Doch Pest ist nicht gleich Pest. Insgesamt gibt es vier Formen der Pest.

Die bekannteste ist die Beulenpest. Bei ihr infiziert sich der Mensch mit dem Pest-Erreger direkt über das kranke Nagetier oder einen Flohbiss. Der Erkrankte verspürt zunächst allgemeines Unwohlsein begleitet von hohem Fieber, Kopf- und Gelenkschmerzen. Es folgt die Entzündung und das Anschwellen der dem Flohbiss nächstliegenden Lymphknoten, was der Beulenpest ihren Namen gab. Einblutungen in den Lymphknoten führen schließlich zu den bekannten schwarzen Flecken.

Rattenfloh der Pest

Darstellung des Rattenflohs „Xenopsylla cheopis“ Foto: Wikimedia Commons | Katja ZSM

Wenn die Beulen „nach innen aufplatzen“, gelangt der Erreger direkt in den Blutkreislauf und führt zu der zweiten Form: der Pestsepsis. Die Folge sind großflächige Blutungen der inneren Organe.

Gelangen die Bakterien in die Lunge, spricht man von der dritten Form: der Lungenpest. Erst jetzt kann die Krankheit durch die Tröpfchen-Infektion von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Die vierte und leichteste Form ist die abortive Pest. Bei ihr leidet der Erkrankte unter leichtem Fieber und geschwollenen Lymphknoten. Nach der überstandenen Krankheit besitzt die Person eine lebenslange Immunität gegen alle Pestformen. [3]

In der Regel ist die Beulenpest zu 20 bis 75 Prozent tödlich. Bei der Pestsepsis und der Lungenpest liegt das Sterberisiko bei nahezu 100 Prozent. Eine Chance auf Genesung ist nur dann gegeben, wenn die Krankheit innerhalb kürzester Zeit nach der Infektion erkannt und medizinisch behandelt wird.

Eine immer wiederkehrende Krankheit

Dass die Pest ihren Beginn nicht im Mittelalter hatte, zeigt ein Massengrab in Frälsegården (Schweden). Hier entdeckten Archäologen 5.000 Jahre alte Skelette von 78 Menschen.

Da die Knochen weder Kampf- noch Parierverletzungen zeigten, konnten kriegerische Auseinandersetzungen als Todesursache ausgeschlossen werden. Stattdessen schien eine ansteckende Krankheit die Ursache gewesen zu sein. Dieser Verdacht bestätigte sich, als Wissenschaftler schließlich in den Knochen eines der Opfer den Pest-Erreger nachwiesen.

In einem Massengrab in Schweden haben Archäologen ein Opfer der Pest aus dem Ende der Steinzeit gefunden. Foto: Mit freundlicher Genehmigung Karl-Göran Sjögren / Universität von Gothenburg

Eine weitere Epidemie-Welle wird in den Beschreibungen des griechischen Schreibers Thukydides vermutet [4]. In seinem Werk „Historiae 2“ beschreibt er die sogenannte „Attische Pest“ von 430-426 vor Christus – einer Krankheit, die vielen Menschen in Athen das Leben kostete.

[…] Menschen, die bei guter Gesundheit waren, wurden plötzlich von heftiger Hitze im Kopf, Rötungen und Entzündungen in den Augen angegriffen, wobei die inneren Teile, wie der Hals oder die Zunge, blutig wurden und einen unnatürlichen und stinkenden Atem ausstießen. Auf diese Symptome folgten Niesen und Heiserkeit, worauf der Schmerz bald die Brust erreichte und einen starken Husten auslöste. Als er sich im Magen festsetzte, brachte er ihn aus dem Gleichgewicht […] Äußerlich war der Körper bei Berührung nicht sehr heiß und auch nicht blass, sondern rötlich, bläulich und brach in kleine Pusteln und Geschwüre aus.“ – Historiae 2, Kap. 49, 2-5

Ob es sich dabei wirklich um den Erreger Yersinia pestis handelt, der die Krankheit auslöste, konnte archäologisch bislang nicht nachgewiesen werden. Wahrscheinlicher erscheint dagegen, dass die Seuche durch einen Typhus- oder Ebola-Ausbruch verursacht wurde.

Die Pest forderte Millionen Opfer

Einen handfesten Beweis für einen erneuten Ausbruch der Pest gibt es auch im 6. Jahrhundert. Die sogenannte „Justinianische Pest“ – benannt nach dem römischen Kaiser Justinian I. – wütete zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert nach Christus in Asien und Europa. Aus Asien kommend erreichte sie zunächst Ägypten und den Vorderen Orient, bis sie im Jahre 542 in Konstantinopel eintraf.

Anschließend verteilte sich die Seuche im gesamten Mittelmeergebiet, dem Nahen Osten, Persien und erreichte auch das heutige Süddeutschland. Dies belegen archäologische Funde aus dem bayrischen Reihengräberfeld in Altenerding-Klettham [5] und dem benachbarten Gräberfeld in Aschheim. [6]

Schätzungen zufolge fielen der spätantiken Pest binnen 200 Jahren weltweit rund 50 Millionen Menschen zum Opfer – einschließlich Papst Pelagius II.

Justinianische Pest

Justinian I, römischer Kaiser von 527-565 nach Christus. Foto: Wikimedia Commons | Roger Culos

Die Pest kam erneut aus Innerasien

Bei der bekanntesten Pest-Pandemie aus dem 14. Jahrhundert stammte die Seuche wie bereits in der Spätantike aus Innerasien. Eine bisherige Theorie besagt, dass mit der Belagerung der antiken Stadt Kaffa (heute Feodossija) auf der Krim durch die Tataren die Pest 1347 nach Europa gekommen sein soll. Einer Studie aus dem Jahr 2022 zufolge nahm die mittelalterliche Pest ihren Ursprung jedoch 1338 in Kirgisistan.

Durch Handel und dem fluchtartigen Verlassen betroffener Städte verbreitete sich die Krankheit rasant und erreichte 1348 Mitteleuropa. Ihren Höhepunkt in Deutschland nahm die Seuche zwischen 1349 und 1350.

Doch auch in den folgenden Jahrhunderten kehrte die Pest schubweise in das Leben der Menschen zurück, wie etwa 1720 in Marseille. Ihr vorläufiges Ende erreichte die Krankheit mit der dritten großen Pandemie. Diese traf im 19. Jahrhundert vor allem die Kontinente Asien und Nordamerika.

Wenig bekannt ist zudem, dass die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg den Erreger als Biowaffe verwendete und an Zivilisten und Kriegsgefangenen testete. [7]

Vom Pesthauch und der 4-Säfte-Lehre

Für die damaligen Mediziner hatten Pestkranke eindeutige Symptome: Beulen und schwarze Flecken, die von innerlicher Verwesung herrühren. Die Vorstellung, dass ein Bakterium schuld an dem Ausbruch und der Verbreitung der Krankheit ist, existierte nicht. Für die Ärzte gab es nur eine Erklärung, wie die Menschen erkranken konnten: Die Miasmentheorie.

Hippokrates von Kos stellte diese Theorie im 5. Jahrhundert vor Christus auf. Laut ihr nahmen die Menschen sogenannte Miasmen, also krankheitserregende Dünste, auf und erkrankten daran. Anschließend konnten die Kranken diese unreine Luft aussondern – auch bekannt als Pesthauch-Theorie – und andere Menschen durch Luft oder Nahrung anstecken.

Als Ursache für die reiche Ansammlung an Miasmen sahen die Gebildeten bestimmte Planetenkonstellationen, die zu Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Kälteeinbrüchen führten. [8] Der Geistliche und Naturphilosoph Konrad von Megenberg sah dagegen das Erdbeben von Friaul im Jahre 1348 als Auslöser der Pest an. [9]

Galen von Pergamon verfeinerte diese Theorie im 2. Jahrhundert nach Christus um die 4-Säfte-Lehre. Laut dieser besteht der Mensch aus vier sogenannten Humores: Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Diese stehen gleichzeitig für die vier Elemente (Feuer, Wasser, Erde und Luft) und bestimmte Temperamente.

Bilden sie ein harmonisches Verhältnis, ist der Mensch gesund – tun sie es nicht, ist er krank. Welche Krankheit ein Mensch erleidet, hängt von seinen Temperamenten ab. Als Grund für die Pest sahen die mittelalterlichen Ärzte einen Überschuss an Blut. Dies wird mit dem Element Luft, feucht und warm sowie innerer Fäulnis in Verbindung gebracht.

4-Säfte-Lehre und die Pest

Schema zur 4-Säfte-Lehre und der Temperamentenlehre. Foto: ts/Epoch Times

Wie behandelte ein mittelalterlicher Arzt die Pest?

Um dem Überschuss an Blut entgegenzuwirken, wendeten die Ärzte den Aderlass an. So sollte das Gleichgewicht der vier Säfte wieder hergestellt werden. Außerdem sollten die Menschen ihr Leben in allen Bereichen ausgeglichen gestalten. Demnach sollten leicht verderbliche Speisen wie Fisch oder Obst von der Nahrungsliste gestrichen werden, um den Körper vor Gärungsprozessen zu schützen.

Ebenso sollten die Menschen darauf achten, ein ausgewogenes Maß an Schlaf und Wachen sowie körperliche Ertüchtigung und Ruhe zu haben. Weiterhin sollten Wohnstuben und öffentliche Plätze mit Kräutern oder Weihrauch ausgeräuchert werden, um die kranke Luft zu bereinigen. Große Menschenmengen sollten vermieden werden.

Darüber hinaus setzten die Ärzte neben diversen historisch unbekannten Kräutern auch tonhaltige Erden als Heilmittel ein. In der alchemistisch beeinflussten Gesellschaft des Mittelalters galten auch Edelsteine als hilfreiche Arznei. So sollten diese entweder in Getränke gelegt oder als Pulver zu den Speisen serviert werden. [10]

Des Weiteren wurden die kranken Menschen zur Eindämmung der Pest in westlich gelegenen Krankenzimmern untergebracht. So stellte man sicher, dass die gesunden Nordwinde die kranke, „verpestete Luft“ durch die Fenster aus den Zimmern trugen.

Der „Schnabeldoktor“ aus Rom

Besondere Maßnahmen traf vor allem die Stadt Venedig. Sie führte als Erste eine Meldepflicht für Pesterkrankungen ein. Die Ärzte waren demnach dazu verpflichtet, Pestfälle zu melden, um so schnellstmöglich die Kranken von den Gesunden zu trennen und sie in die eigens für sie errichteten Quarantänestationen zu bringen.

Aus Rom ist außerdem die berühmte Pestmaske des „Schnabeldoktors“ bekannt. Im 17. Jahrhundert sollen Mediziner diese schnabelförmige Maske getragen haben, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. [11] Zudem soll sie zur Wahrung des Abstandes zu den Erkrankten gedient haben. In dem Schnabel der Maske befanden sich wohlriechende Substanzen und Kräuter, um das Einatmen der Miasmen zu verhindern.

Pest-Arzt aus Rom

Darstellung des Schnabeldoktors von circa 1656. Foto: Hulton Archive/Getty Images

Außerdem wurde den Ärzten lange, an den Handgelenken geschlossene Kleidung empfohlen. Diese sollte verhindern, dass die krankmachenden Stoffe unter das Gewand gelangten. Um einen noch größeren Schutz zu bieten, sollten glatte Stoffe wie Leinen verwendet werden. Zusätzlich in Öl oder Wachs getränkt, schützten sie angeblich vor dem Festsetzen der Miasmen an der Kleidung.

Die Pest in der deutschen Sprache

Quarantäne – derzeit ist dies ein häufig verwendetes Wort, gerade in Zeiten großer weitverbreiteter Krankheiten. Dieser Begriff hat seinen Ursprung vermutlich im Mittelalter und steht im direkten Bezug zur Pest. Das Wort Quarantäne kommt vom lateinischen „quadraginta“ und bedeutet vierzig.

Im 14. Jahrhundert erreichte die Nachricht vom Ausbruch der Pest Europa schneller als die Krankheit selbst über Handelsschiffe. Aus diesem Grund führten italienische Städte wie Venedig eine Wartezeit von zunächst 30 Tagen (später 40 Tage) für Schiffe ein. Während dieser Zeit durften diese nicht in den Häfen anlanden und mussten vor der Küste ankern. So wollte man sich vergewissern, dass die Besatzung keine Pest mitbrachte.

Erst wenn die 40 Tage abgelaufen waren – und die Mannschaft auf den Schiffen noch lebte –, durften sie anlanden. Die Zahl spielt in der Bibel eine große Rolle, weshalb davon ausgegangen wird, dass deswegen die Anzahl gewählt wurde.

Auch die Redewendung verpestete Luft ist bis heute in unserem Sprachgebrauch vorhanden. Sie wurde unverkennbar im Mittelalter während der Pest-Pandemie geprägt. Dabei ist von nichts anderem die Rede als von übel riechender, kranker Luft.

Ein Flirt mit dem Tod

Die Seuche brachte im 14. Jahrhundert in der Literatur eine neue Textgattung mit Pestregimina, Pesttraktaten oder die Pestconsilia von Tommaso del Garbo hervor. Als eine Art Ratgeber sollten sie den Menschen vermitteln, wie sie sich während der Pest zu verhalten haben und welche Dinge sie beachten mussten, um nicht an ihr zu erkranken.

Geschichten und Erläuterungen rund um die Pest in Europa und im Vorderen Orient sind in dem Werk „Il Decamerone“ von Giovanni Boccaccio zu finden. In dem Buch, bestehend aus 100 Novellen, schildert er als Augenzeuge das Leben während der Pest.

In der Kunst wird die Pest auch im Totentanzmotiv dargestellt, bei dem Jeder einen Tanz mit dem Tod führt. Im Mittelalter galt der Tanz als eine Art Flirt: Tanz = Flirt = Flirt mit dem Tod.

Pest Totentanzmotiv

„Tanz der Gerippe“, Holzschnitt von Michael Wolgemut. Foto: Hulton Archive/Getty Images

Weiter zurück reicht dagegen die Darstellung der Pest in Form eines Pfeiles. In der antiken Glaubenswelt verbreitete sich die Krankheit durch das Abschießen von Pfeilen, die sich in ihre Opfer bohrte. Aufgrund dieser symbolischen Darstellung wurde der Heilige Sebastian zum Schutzpatron im Spätmittelalter.

Sebastian, einst römischer Soldat in der kaiserlichen Garde, bekannte sich im 3. Jahrhundert nach Christus zum Christentum. Dies zog jedoch den Zorn des Kaisers auf sich, weshalb er Sebastian hinrichten ließ, indem er von seinen Kameraden mit Pfeil und Bogen ermordet werden sollte. Durchbohrt von Pfeilen ging er als Märtyrer und später als Pestheiliger in die Geschichte ein.

Auch in den Volkssagen hielt die Pest Einzug. So wird sie in Erzählungen als eine bläuliche Flamme oder als blau-weißer Dunst dargestellt. Mittels eines Tricks wird die Pest in ein Loch gelockt und dort eingeschlossen. Wenn nichts ahnende Menschen dieses Siegel entfernten, kam die Krankheit frei und konnte wieder Menschen töten. Derartige Sagen finden sich in der Eifel [12] oder im Münsterland [13].

Reaktionen der Bevölkerung

Doch wie sah die mittelalterliche Bevölkerung die Pest? Welche Gründe sah sie für den Ausbruch der Seuche?

Viele Menschen im christlich geprägten Europa sahen die Pest als Strafe Gottes für die Vergehen auf der Erde, denn Gott verfügte sowohl über Allgüte als auch Allmacht. So führte die Seuche zur Selbstreflexion der Menschen („Was haben wir/was habe ich getan?“).

Vor allem die Kirche übte scharfe Kritik an sich selbst. Sie verstanden die Strafe als Aufforderung, dass sich der Mensch bessern sollte.

Deshalb kam es nach dem Auftreten der Pest zu einem Ansturm auf alle Kirchen. Die Menschen sprachen Gebete und Bitt- sowie Bußprozessionen wurden abgehalten. Wichtig waren dabei vor allem die sogenannten Pestheiligen wie der Heilige Rochus und Sebastian oder die Heilige Maria. Die Menschen baten die Heiligen um Hilfe und versprachen, sich zu bessern.

Pest-Heiliger Sebastian

Die Zeichnung von Giovanni Francesco Barbieri aus dem 17. Jahrhundert zeigt den Heiligen Sebastian. Foto: Wikimedia Commons

Für die Menschen erschien es unnatürlich und falsch, dass teilweise junge Menschen vor den älteren starben.

Doch die Pest rückte die Gesellschaft auch näher zusammen – es galt als Pflicht und erstrebenswert, seinen Mitmenschen zu helfen. So verlangte die Kirche als Zeichen der Reue, dass die Gesunden den Kranken helfen sollten. Aus diesem Grund verstanden die Menschen meist nicht, warum die „Guten“, die die Normen der Kirche einhielten, starben, während andere, die es nicht taten, überlebten.

Die Strafe von Gott bedeutet jedoch gleichzeitig auch eine Mahnung zur Buße. Besonders zu dieser Zeit traten vermehrt auch sogenannte Geißlerzüge auf, bei denen Reue und Selbststrafe von den Menschen gefordert wurde. Diese wurden von Priestern mit Prozessionen angeführt und sollten Buße stellvertretend für die Strafe aller auf der Welt bringen. Ihren Höhepunkt erreichten sie um 1348 und 1349.

Auf der Suche nach einem Sündenbock

Nicht alle Menschen wollten einem Gott glauben, der ihnen auch Tod und Krankheit brachte. Stattdessen suchten sie einen menschlichen Sündenbock, strickten Lügen und Intrigen. Diesen fanden sie schließlich in einer Bevölkerungsgruppe, die ihnen fremd und denen sie feindlich gesinnt waren: den Juden.

So kam es, dass ihnen Hassrede wie die „Ritualmordlegende“ oder der „Hostienfrevel“ auferlegt wurden. Zudem gab es die Legende der Brunnenvergiftung, bei der die jüdische Bevölkerung bezichtigt wurde, dass Trinkwasser vergiftet zu haben. Der Ursprung dieses Vorwurfes stammt aus Frankreich, bei dem Lepra-Kranke im 13. Jahrhundert die Brunnen vieler Gemeinden vergiftetet haben sollen.

Ein Jahrhundert später führten diese und andere Lügen europaweit zu Pogromen, die den Tod unzähliger Menschen bedeutete. Ihren Anfang nahmen sie im Frühjahr 1348 in der Provence, Frankreich. Neben religiösen Gründen gab es vielerorts auch wirtschaftlich oder politisch motivierte Gründe. Dabei profitierten vor allem die oberen Schichten, indem diese ihre Schulden bei der jüdischen Bevölkerung loswurden oder an Besitz und materielles Gut gelangten. [14]

Sogar Untote wie Vampire oder Nachzehrer wurden als Schuldige für die Pest in Betracht gezogen. Nach diesem geläufigen Glauben entstiegen die Toten nachts ihren Gräbern und infizierten die Lebenden mit der Pest. Um dem entgegenzuwirken, trieben die Menschen den Toten Pflöcke durch den Körper oder rammten ihnen große Steine in den Mund, wie archäologische Funde zeigen. Diese Maßnahmen sollten verhindern, dass die Toten weiter ihr Unwesen treiben konnten.

Quellen:

[1] David Herlihy, The Black Death and the transformation of the West (Harvard: 1997)

[2] Anne Laudisoit u. a., Plague and the Human Flea, Tanzania, in: Emerging Infectious Diseases Bd. 13 (2007)

[3] Wilhelm Kirch, Encyclopedia of Public Health, Volume 1 (Springer Netherlands: 2008)

[4] Thukydides, Historiae 2, Kap. 49, 2-5

[5] Doris Gutsmiedl-Schümann u. a., Digging up the plague: A diachronic comparison of aDNA confirmed plague burials and associated burial customs in Germany, in: Prähistorische Zeitschrift Bd. 92/2 (2017)

[6] Doris Gutsmiedl-Schümann, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Aschheim-Bajuwarenring (Kallmünz/Oberpfalz: 2010)

[7] Sheldon Harris, Factories of Death: Japanese Biological Warfare, 1932-45 and the American Cover-Up (New York: 2002)

[8] Martin Bauch, Die 1340er-Jahre als Schlüsseljahrzehnt der „Great Transition“, in: Pest! Eine Spurensuche (Darmstadt: 2019)

[9] Lisa Glänzer, Die Pest bei Konrad von Megenberg und das Kästner Erdbeben 1348, in: Pest! Eine Spurensuche (Darmstadt: 2019)

[10] Katharina Wolff, Krankheit, Konzept und Kollektiv, in: Pest! Eine Spurensuche (Darmstadt: 2019)

[11] Thomas Bartholin, Historiarum Anatomicarum & Medicarum Rariorum Centuria […], Bd. 5/6 (Kopenhagen: 1661)

[12] Hans-Peter Pracht, Sagen und Legenden der Eifel (Köln: 1999).

[13] Heinz Bügner, Münsterländische Sagen. Geschichten aus dem alten Landkreis Steinfurt und angrenzenden Gebieten (Münster: 1929)

[14] Pest! Eine Spurensuche. LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne und wbg (Darmstadt: 2019)



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