Ai Weiwei: «Jedes Plädoyer für Menschenrechte lohnt sich»

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Ai Weiwei in seinem Atelier im Prenzlauer Berg in Berlin.Foto: Michael Kappeler/dpa
Epoch Times6. August 2015
Vier Jahre lang hat der chinesische Künstler Ai Weiwei auf eine Ausreiseerlaubnis gewartet. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin spricht der Regimekritiker über seine Pläne in Deutschland. Und seine Hoffnungen für China.

Frage: Wie fühlt es sich nach all den Jahren an, ein freier Mann zu sein – oder zumindest gesagt zu bekommen, man sei ein freier Mann?

Antwort: Im Moment fühle ich mich entspannt. Aber in den vergangenen vier, fünf Jahren stand ich unter sehr strenger Kontrolle. Sogar beim Spazierengehen, im Lokal, im Konzert – überall wurde ich verfolgt und beobachtet. Jetzt kehre ich zu einer Art Normalzustand zurück. Aber natürlich ist mir klar, dass die Leute, die in den vergangenen Jahren einen solchen Aufwand um mich getrieben haben, sich weiter um jeden Schritt von mir „kümmern“ und ihn registrieren.

Frage: Auch hier in Deutschland?

Antwort: Überall. Ich glaube, das wird mich mein Leben lang begleiten.

Frage: Welche Pläne haben Sie in Berlin?

Antwort: Es gibt noch keinen klaren Plan, ich bin meinen Plänen immer voraus. Hier in Berlin habe ich schon vor fünf, sechs Jahren – also lange vor meiner Verhaftung – begonnen, Räume herzurichten. Das will ich weiter voranbringen. Außerdem möchte ich in mehrere Länder reisen, in denen es Ausstellungen von mir gibt. Und dann habe ich natürlich ein paar Verpflichtungen. Mit der Universität der Künste will ich über meine mögliche Karriere als Hochschullehrer sprechen … (lacht). Also, Sie sehen, ich hab‘ einen Haufen Sachen, die auf mich warten. Ich muss gar keine Pläne machen.

Frage: Gibt es denn Chancen, dass Sie die angebotene Gastprofessur wirklich antreten?

Antwort: O ja, ich habe schon immer gedacht, dass Lehren eine wunderbare Art der Kommunikation ist. Und eine wunderbare Art, selbst etwas zu lernen. Wir müssen nur sehen, wie sich das in meine besondere Situation einfügt. Wenn es per Internet geht, muss ich ja nicht ständig da sein. Wenn es aber mehr um „shake hands“ geht, muss ich vielleicht jemanden finden, der so aussieht wie ich.

Frage: Wie lange wollen Sie in Deutschland bleiben?

Antwort: Das hängt von zwei Dingen ab. Erstens, wie lange Deutschland mir erlaubt, hier zu bleiben. Und zweitens, wann mein Studio in Peking mich wieder braucht.

Frage: Wie wichtig ist es für Sie, in Ihre Heimat zurückkehren zu können?

Antwort: China ist ein Teil von mir. Allerdings macht es im Internetzeitalter nicht mehr so einen großen Unterschied. Aber natürlich will ich mich wie ein ganz normaler Mensch bewegen können und selbst entscheiden, wo ich hinfahre, mit wem ich zusammen bin und was ich tue.

Frage: Macht es für Sie einen Unterschied, ob sie für ein chinesisches oder ein westliches Publikum arbeiten?

Antwort: Ich arbeite für Menschen, nicht für westliche Menschen oder für chinesische Menschen.

Frage: Sie könnten also hier genauso künstlerisch tätig sein wie in Peking?

Antwort: Es ist ein großer Unterschied, aber das ist es gerade, was ich mag. Ich liebe die Herausforderung, ich liebe das Unbekannte, und deshalb finde ich es aufregend, wenn man sich damit auseinandersetzen kann.

Frage: Wollen Sie hier vorsichtig sein, um Ihre Rückkehr nicht zu gefährden?

Antwort: Nein, ich habe keine neue Strategie. Es ist nur so: Wenn ich nicht in der Lage bin, eine Veränderung herbeizuführen, warum sollte ich dann über die Probleme sprechen? Natürlich muss man an seinen Grundprinzipien festhalten. Aber im Umgang mit der Realität kann man diesen oder jenen Weg gehen.

Frage: Weiser geworden?

Antwort: Ich glaube nicht, dass es weiser ist. Ich versuche, die direkte Konfrontation zu vermeiden, die ich gesucht habe – und die mir so viel Bewegungsfreiheit und Gehör in China genommen hat. Jeder muss aus der Vergangenheit lernen.

Frage: Haben Sie eine Erklärung, warum Sie Ihren Pass zurückbekommen haben?

Antwort: Meine einzige Frage ist, warum sie ihn mir so lange vorenthalten haben. Sich frei bewegen zu können, ist ein grundlegendes Menschenrecht. Und das jemandem zu nehmen, ist eine schlechte Idee. Allerdings erkenne ich das Bemühen an, mir den Pass zurückzugeben. Das war nicht selbstverständlich, weil sie ja einen Grund haben, mich gefährlich zu finden. Mein Auftreten, meine Art von Kunst passt nicht in ihr Schema.

Frage: Denken Sie, es hat geholfen, dass deutsche Politiker die Menschenrechtslage in China angesprochen haben?

Antwort: Da bin ich völlig sicher. Jeder Versuch, offen und klar seine Meinung zu sagen, trägt dazu bei, den Boden für Fairness und Gerechtigkeit zu bereiten. Und ich glaube, die deutschen Politiker sind da in ihrer Haltung gradlinig. Und selbst wenn es nicht unmittelbar hilft, ist es eine Unterstützung für die Menschen, die sich in einer schwierigen Situation befinden.

Frage: Machen Sie sich Sorgen um Ihre Freunde daheim und Ihren verhafteten Anwalt?

Antwort: Viele der Menschen, die mit mir verbunden sind, sitzen im Gefängnis. Selbst wenn sie nicht verurteilt werden, bleiben sie in Haft. Es geht mehr um eine Strafe als um die Aufklärung von Vorwürfen. Aber ich hoffe sehr, dass die Behörden verstehen, dass Gerechtigkeit der Gesellschaft insgesamt hilft. Willkür zerstört das Vertrauen in den Staat. Über dieses Thema muss man immer wieder sprechen, aber auch in einer Sprache, die die andere Seite versteht.

Frage: Sie teilen aller Welt über die sozialen Medien viel von Ihrem Leben mit. Warum?

Antwort: Es gibt keinen richtigen Grund, es macht mir einfach Spass. Für mich als Künstler ist es auch eine Art, mich auszudrücken. Menschen, die mich sonst nie kennenlernen könnten, kennen mich durch das Internet besser als mancher aus meiner Familie. Sie verbringen viele Stunden mit mir, und das finde ich toll. Wir haben nur ein Leben, und das sollten wir möglichst genießen!

ZUR PERSON: Ai Weiwei (57) ist einer der wichtigsten Gegenwartskünstler weltweit. Vielen Chinesen gilt der Bildhauer, Dokumentarfilmer, Aktions- und Installationskünstler als „soziales Gewissen“, weil er gesellschaftliche Missstände thematisiert. Als Menschenrechtler und Kritiker des kommunistischen Regimes fiel er bei den Machthabern in seinem Heimatland in Ungnade. Wegen angeblicher Steuervergehen wurde er im April 2011 festgenommen und erst zwei Monate später unter strengen Auflagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Vor kurzem erst erhielt er seinen Pass zurück. Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Deutschland.

(dpa)


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