Schirmmanufaktur-Chef: „Unsere Werte? Der normale Hausverstand!“

Wie lässt es sich trotz Schmuddelwetter stilvoll spazieren? Und warum kompliziert denken, wenn es auch einfach geht? Einer hat die Antwort.
Titelbild
Schirmmanufaktur-Chef Andreas Kirchtag in seiner Werkstatt in der Getreidegasse in Salzburg.Foto: Kirchtag
Von 11. April 2023

In Kulturen wie in Asien und im Nahen Osten wird er als Symbol für Macht und Herrschaft verwendet. Für unsereins ist er vor allen Dingen eines: ein treuer Wegbegleiter bei Schlechtwetter. Die Rede ist vom Regenschirm. Aber was machen fast alle beim Gebrauch eines Schirmes falsch? Welche Geheimzutat kommt bei der Anfertigung zum Einsatz? Und wie kann eine traditionelle Schirmmanufaktur in der heutigen Zeit überleben?

Epoch Times sprach dazu mit Andreas Kirchtag, Geschäftsführer der Schirmmanufaktur Kirchtag im idyllischen Salzburg. Das Unternehmen, das seit 1903 existiert, ist einer der wenigen Betriebe in Europa, der Regenschirme noch in reiner Handarbeit herstellt. Das kostet – der Preis für einen Kirchtag-Regenschirm bewegt sich zwischen 300 und 500 Euro.

Herr Kirchtag, was ist ein interessanter Fakt rund um den Regenschirm, den man unbedingt kennen sollte?

Die wenigsten Leute wissen, wie man einen Regenschirm richtig öffnet. Fast jeder macht es falsch. Oft sitzt man im Auto, steigt aus und spannt den Schirm gleich nach oben hin auf. Man sollte aber aussteigen, kurz nass werden, den Schirm dabei nach unten haltend öffnen und ihn erst dann hochhalten. So hält der Schirm viel länger. Beim Verkauf unserer Schirme sagen wir das immer dazu.

Wie pflegt man einen Regenschirm, damit sich die Lebensdauer erhöht?

Das Allerwichtigste ist das richtige Öffnen des Schirmes. Außerdem sollte der Schirm im aufgespannten Zustand trocknen. Das ist natürlich nicht immer und überall möglich. Wenn ich unterwegs bin oder im Kaffeehaus, dann kann ich ihn natürlich nicht aufgespannt abstellen, aber zumindest, wenn ich nach Hause komme.

Gibt es den Lehrberuf des Schirmmachers heutzutage noch? Wo haben Sie ihr Handwerk gelernt?

Den Beruf gibt es nicht mehr, er ist gestrichen worden. In Österreich ist das bestimmt 20 Jahre her.

Mein Vater und Onkel sind Schirmmachermeister. Ich komme ursprünglich aus dem Elektrogroßhandel und bin in den 90ern als Quereinsteiger so nebenbei in unser Familienunternehmen eingestiegen. Zunächst habe ich Taschen und Schirme verkauft. Das Handwerk habe ich später von einem unserer Mitarbeiter gelernt, der das Schirmhandwerk sehr gut beherrscht hat. Leider musste mein Vater ihm kündigen.

Wieso das?

Weil wir zu der Zeit – etwa um 1990 – keine Aufträge mehr hatten. Früher hatten wir 10.000 Reparaturen im Jahr, jetzt sind es zwischen 600 und 800. Wir hatten eine Näherin, einen Schneidermeister und einen Schirmmacher, aber leider keine Arbeit.

Durch die günstige Massenware aus Asien brachten die Leute ihre Schirme nicht mehr zur Reparatur. Mein Vater musste dem Mitarbeiter bedauerlicherweise kündigen. Das war ein Drama, weil er bis dahin über zwanzig Jahre in unserer Manufaktur gearbeitet hatte.

Nach fünf Jahren habe ich ihn wieder zu uns geholt, da wir wieder mit der Schirmproduktion begonnen haben.

Entblößt: So sieht ein nackter Schirm, das sogenannte Schirmgestell, bei Kirchtag aus. Foto: Kirchtag

Was sind die wichtigsten Merkmale eines qualitativ hochwertigen Schirms? Worauf sollte man beim Kauf achten?

Früher waren die Schirme aus einem durchgehenden Holzstück – wie ein Spazierstock. Diese Exemplare sind immer weniger beziehungsweise immer teurer geworden. Unsere Schirme haben diesen durchgehenden Stock.

Bei uns sind die Teile wie der Schieber oder die Zwinge entweder aus Vollmessing oder aus Aluminium. Bei einem herkömmlichen Schirm sind sie aus Kunststoff.

Die Stoffe unserer Schirme lassen wir extra in Mailand weben. Sie werden von uns mit Hand auf den Schirm aufgenäht. In einer Fabrik wird das maschinell hergestellt. Die Anfertigung eines Schirmes dauert bei uns etwa fünf Stunden.

Was ist die Geheimzutat eines Kirchtag-Regenschirms?

Die Federn. Bei uns bestehen sie aus Klaviersaitendraht, die ich einem Klavierbauer abkaufe. Die Federn werden zu jedem Stock extra gebogen. Das ist eine Spezialität, die nur noch wir machen, denke ich. Tatsächlich ist es auch relativ schwierig, sie zu biegen.

Zudem werden die einzelnen Stoffteile mit einer speziellen Schirmnaht zusammengenäht. Diese Art von Naht verwendet eine herkömmliche Schirmfabrik nicht mehr, weil es zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Wir haben alte Maschinen, die diese Naht noch können. Das geschieht durch das sogenannte „Fußerl“. Es ist so präpariert, dass eine bestimmte Naht entsteht.

Wir wollten vor Kurzem so ein Fußerl nachkaufen, sie sind aber gar nicht mehr erhältlich. Wir haben davon nur eines. Wenn unser Fußerl kaputtgeht, wissen wir gar nicht, was wir tun sollen. Das wird dann spannend.

Der Mann fürs Gestell: Mitarbeiter Tobias Ott ist für das Herzteil des Schirmes zuständig. Foto: Kirchtag

Wie sehen Sie die Rolle Ihrer Schirmmanufaktur in der heutigen Zeit und welche Verantwortung sehen Sie als Geschäftsführer?

Vor allen Dingen habe ich eine Verantwortung gegenüber meinen Angestellten. Wenn wir zusperren, dann sperren wir zu, dann gibt es keine Produktion mehr. Die Welt wird dadurch nicht untergehen, aber es geht natürlich eine gewisse Kultur verloren.

Wir haben viele Kunden, die sagen: „Gott sei Dank gibt es euch noch.“ Gerade in Salzburg gibt es noch kleine Geschäfte, aber viele mussten auch schon zusperren. Solange Kunden kommen, wird es uns geben.

Was glauben Sie, wird das Handwerk des Schirmherstellers in Zukunft erhalten bleiben?

Man merkt schon, dass wieder vermehrt Schönes gekauft und auf Qualität geachtet wird. Es muss natürlich immer wieder regnen. Wenn der Regen in Zukunft abnimmt, wird es interessant. Und es regnet tatsächlich weniger.

Wir führen ein Wetterbuch und schreiben seit hundert Jahren jeden Tag das Wetter auf. Wir vergeben die Wetterpunkte 1, 2 und 3. Wetter 1 ist Schönwetter, bei Wetter 2 regnet es ein wenig und Wetter 3 ist „Schnürlregen“ [anhaltender, strömender Regen] – das gibt es aber fast nicht mehr, das hat sich wirklich geändert. Klimawandel hin oder her – früher hat es vier, fünf Tage „durchgenieselt“.

Für den Schirmverkauf ist es natürlich auch wichtig, wann es regnet. Wenn es am Sonntag oder in der Nacht schüttet, bringt es uns nichts. Es muss zur richtigen Zeit regnen. Wenn es im Sommer um elf am Vormittag und um drei am Nachmittag ein bisschen regnet, ist es der Idealzustand.

Sie sind wahrscheinlich einer der wenigen Menschen, der sich Regenwetter wünscht?

Nicht ganz. Die Stadt ist natürlich gerade im Sommer, wenn es regnet, voller, weil die Leute nicht auf den Berg oder baden gehen können. Das macht es für alle insgesamt besser. Es war einmal angedacht, die Getreidegasse zu überdachen – das wäre für uns eine Katastrophe gewesen.

Die einzelnen Stoffteile des Schirms werden per Hand geschnitten und anschließend zusammengenäht. Die Damenschirme werden aus acht, die größeren Herrenschirme aus zehn Stoffsegmenten zusammengesetzt. Foto: Kirchtag

 

Der Stoff wird schließlich über das Gestell gezogen und befestigt. Die Stoffe für die Kirchtag-Schirme kommen aus einer Mailänder Stoffmanufaktur. Foto: Kirchtag

Sie sind ein kleines Team von sechs Personen in Ihrer Werkstatt. Wie arbeitet es sich in so einer familiären Atmosphäre?

Wir haben mehrere Künstler angestellt – Musiker, die zum Teil freie Zeiten haben. Das hat seine Vor- und Nachteile. Wenn wir sie aber brauchen und beispielsweise um vier Uhr morgens fotografieren müssen, sind alle da. Ich muss darüber nicht nachdenken, das ist selbstverständlich. Dafür haben sie gewisse Freiheiten und arbeiten völlig selbstständig. Ich muss ihnen nicht viel sagen, sie haben Ideen und setzen sie von allein um.

Wenn einer ein Problem hat, wird darüber geredet und etwas auf ganz kurzem Wege ausgemacht. Das schätzen unsere Angestellten sowohl in der Werkstatt als auch im Verkauf schon sehr. Jemand, der neu zu uns kommt, kann sich das gar nicht vorstellen. Gerade wenn er von einer größeren Firma, wo alles so kompliziert abläuft, zu uns dazustößt. Bei uns geht alles ganz einfach. Wir haben auch keine Arbeitsverträge. Bei mir zählt der Handschlag.

Es sind jetzt auch neue Leute für den Verkauf dazugekommen. Sie sind von allein gekommen, ich habe gar nicht gesucht. Für die Näherei hatten wir uns schon überlegt, jemanden ins Team dazuzuholen. Einer unserer Mitarbeiter hat eine Bekannte, die eigentlich aus einer ganz anderen Branche kommt. Sie hat uns besucht und gemeint, sie wolle unbedingt bei uns in der Näherei arbeiten. Ich denke, wenn man ganz natürlich und authentisch ist, läuft alles sehr einfach.

Haben Sie eine Firmenphilosophie, bestimmte Werte, die Sie vertreten?

Unsere Werte sind der normale Hausverstand. Ich denke nicht so philosophisch. Einfach ganz normal sein. Heute wird viel zu kompliziert gedacht, das ist ein Problem. Alles wird hinterfragt. Man muss dann sagen: „So ist es einfach – und aus.“ Man kann natürlich über Sachen diskutieren, aber man sollte nicht so viel über alles nachdenken.

Eigentlich ist alles ganz einfach. Vieles fliegt einem zu – warum auch immer, ich weiß es nicht. Anfang der 90er stand das Thema der Schirmmanufaktur für mich im Raum. Kurz darauf habe ich im Radio eine Sendung über Marketing gehört und mir gedacht, das klingt interessant, das probiere ich aus. Wenn ich die Sendung nicht gehört hätte, hätte es unsere Manufaktur vielleicht gar nicht gegeben. Wenn man einfach denkt, fliegt einem alles zu. Heutzutage wird aber viel zu kompliziert gedacht.

Einer der anspruchsvollsten Schritte im Arbeitsprozess: das Bohren durch den Stock und das Befestigen der Krone. „Wenn man auf einer Seite durchbohrt, muss es auf der anderen Seite halbwegs gerade herauskommen“, so Chef Andreas Kirchtag. Foto: Kirchtag

Haben sich die Anforderungen an Regenschirme im Laufe der Zeit verändert? Gibt es Innovationen?

Taschenschirme versucht man so leicht wie möglich zu bauen. Es gibt Schirme mit 19 Gramm. Bei manchen steht „sturmsicher“ drauf. Das ist Blödsinn, das geht natürlich nicht.

Grundsätzlich muss ein Schirm dicht sein. Bei einem Sturm sollte er sich nicht umdrehen. Die Form unserer Schirme ist auch ein wenig anders, unser Schirm ist viel runder, er hat eine Kuppelform und ist dadurch nicht nur schöner, sondern auch viel stabiler.

Wer sind Ihre Kunden und worauf legen Sie besonderen Wert?

Jung wie alt – es freut uns besonders, dass auch junge Leute einen handgefertigten Schirm kaufen. Darum ist auch unsere Preisgestaltung noch recht human. Unser Steuerberater sagt, unsere Schirme seien viel zu günstig. Immerhin fließen fünf Stunden Arbeit in einen Schirm. Er hat recht, dennoch möchte ich mit den Preisen nicht höher gehen.

Wir haben Kunden weltweit. Es hat eine Zeit gedauert, bis sich unsere Marke etabliert hat, wir haben momentan aber wirklich viele Kunden. Gerade auch in der Festspielzeit in Salzburg kommen viele zu uns und möchten einen Kirchtag-Schirm.

Gab es auch mal eine Kreation oder Spezialanfertigung, die aus der Norm gefallen ist?

Nein, das nicht. Unsere Schirme sind aber alle nummeriert. Für eine bekannte Firma haben wir einmal eine limitierte Auflage von Schirmen produziert und sie auch verkauft. Ich habe festgelegt, dass wir die Nummer 100 behalten und nicht verkaufen.

Eine gute Kundschaft aus New York hat von der Serie aus der Zeitung erfahren und wollte unbedingt so einen Schirm haben. Ich meinte, „wir haben schon alle verkauft, bis auf die Nummer 100, aber die verkaufen wir nicht“. Er hat so lange geboten, bis ich dachte „auch schon egal“ und ihm die Nummer 100 schließlich doch verkauft habe.

Ein Schieber aus Messing mit Gravur und Seriennummer. Foto: Kirchtag

Wie kann eine traditionelle Schirmmanufaktur neben der maschinell erzeugten Massenware überleben?

Zum einen verkaufen wir auch diese maschinell erzeugten Schirme. Die gibt es bereits ab 10 Euro. Zum anderen haben wir in unserer Werkstatt und Näherei sechs Angestellte und laufend Arbeit. Corona war schon ein Problem, aber es war interessant zu beobachten, was sich in dieser Zeit gut verkauft hat und was nicht. Wir verkaufen auch Reisekoffer, in dieser Hinsicht herrschte eineinhalb Jahre absoluter Stillstand.

Während der Corona-Zeit waren wir 14 Tage in Kurzarbeit, aber die Schirmproduktion lief in dieser Zeit sehr gut. Es kamen laufend Anfragen und Bestellungen, das hat mich schon sehr gewundert. Wir produzieren auch Sonnen- und Gartenschirme, das ist während der Corona-Jahre wesentlich mehr geworden.

Für den Fortbestand unserer Werkstatt sehe ich kein Problem. Wir sind einfach eine Nische, aber es läuft.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ani Asvazadurian

Geschäftsführer Andreas Kirchtag mit einem farbenfrohen Exemplar aus seiner Werkstatt. Foto: Kirchtag

Von einer deutschen Stockmacherei bekommt die Schirmmanufaktur Kirchtag die Rohlinge schon fertig gebogen, aber unlackiert. Zunächst werden sie mit Leinöl bepinselt. Danach ruhen sie bis zu einem Jahr. Nach der Wartezeit wird der Stock per Hand geschliffen. Etwa drei Zentimeter Schleifpapier in fünf unterschiedlichen Stärken wird dafür verbraucht. Schließlich wird der Stock in Bienenwachs und einem Hartöl eingelassen. Foto: Kirchtag



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