Lehrermangel: Sachsen-Anhalt schickt Headhunter ins Ausland – für 1,2 Millionen Euro

In der vergangenen Woche ließ eine Pressemitteilung des Bildungsministeriums Sachsen-Anhalt aufhorchen. Angesichts des harten Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt für Lehrer, auf dem alle Länder sowie viele Schulen in freier Trägerschaft ringen, sei es von entscheidender Bedeutung, „innovative Wege“ zu beschreiten.
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„Verspielen Sie nicht schon in der Grundschule die Zukunft unserer Kinder!“, warnt Bürgermeister Andreas Buchheim die Bildungsministerin in Sachsen-Anhalt angesichts des beträchtlichen Lehrermangels.Foto: iStock
Von 30. März 2024

Unterrichtsausfall, fehlende Zeugnisnoten, keine Hausaufgabenkontrolle. Die Folgen des Lehrermangels werden immer deutlicher. Bereits im Jahr 2021 rief das Bildungsministerium als Gegenmaßnahme ein „Headhunter-Projekt“ ins Leben. Talentsucher sind seither im Einsatz, „um gezielt und professionell Lehrkräfte über Personalvermittlungsagenturen zu rekrutieren“.

Die Kosten sind enorm. Wie die „Mitteldeutsche Zeitung“ berichtete, soll das Ministerium in den vergangenen drei Jahren 1,2 Millionen Euro an Personalagenturen gezahlt haben. 110 Fachkräfte hätten daraufhin eine Arbeit gefunden, also knapp 11.000 Euro Akquisekosten pro Kopf. Und obwohl 38 Pädagogen den Landesdienst aus verschiedensten Gründen wieder verlassen hätten, spricht das Ministerium von „vertretbaren Kosten“.

In einer Pressemitteilung des Ministeriums vom 26. März heißt es: „Jede ausländische Fachkraft, die hier arbeiten möchte, ist grundsätzlich eine Bereicherung für unsere Schulen. Volkswirtschaftlich betrachtet ist der Saldo für Sachsen-Anhalt eindeutig positiv!“

Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) äußerte: „Für jede Fachkraft, die über Personalrekrutierungsgesellschaften gewonnen werden konnte, haben sich die Bemühungen gelohnt. Das Projekt ist in seiner Art deutschlandweit einzigartig und angesichts der eingestellten Personen als erfolgreich zu bewerten.“

Diese Auffassung teilen nicht alle. Kritik gibt es beispielsweise von der SPD-Landtagsfraktionschefin Katja Pähle. Sie bezeichnete das Programm angesichts der vielen Kündigungen innerhalb kurzer Zeit als „offensichtlich nicht nachhaltig angelegt“.

Lücken auf Halbjahreszeugnis

Auch aktuelle Zahlen aus Sachsen-Anhalt lassen Zweifel am Erfolg des Projekts aufkommen. Wie die „Bild“ berichtete, fehlte bei 27.245 Schülern im Halbjahreszeugnis 2022/23 mindestens in einem Fach eine Benotung. In 182 Klassen gab es auf dem Zeugnis zwei Notenlücken, in 64 Klassen sogar drei und mehr. „Kein Wunder, denn insgesamt konnten über 1,5 Millionen Unterrichtsstunden nicht wie geplant stattfinden“, schreibt die „Bild“. Das waren 5,5 Prozent des Unterrichts.

Im Nachbarland Thüringen ist es noch schlimmer. Dort haben Schüler in 51.232 Fällen keine Zeugnisnote bekommen. Bei 270 Schülern klaffte sogar in Deutsch eine Lücke, 70 Kinder gingen ohne Mathezensur nach Hause. Rein rechnerisch fehlte bei jedem fünften Schüler in Thüringen eine Benotung.

„Jede nicht erteilte Zeugnisnote weist auf einen Mangel hin, den wir nicht bestreiten“, kommentierte ein Sprecher des Bildungsministeriums die Lage in Thüringen. Als Grund verwies er jedoch auf Krankheitswellen im Winter. Die CDU hingegen kritisierte die fehlende Benotung, die im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent angestiegen ist.

„Unvollständige Zeugnisse beeinträchtigen die Berufs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Schüler nachhaltig“, so der Bildungspolitiker Christian Tischner (CDU).

„Es ist schon längst 5 nach 12“

Immer öfter geraten in den vergangenen Wochen die Missstände an deutschen Schulen an die Öffentlichkeit. Darin geht es um Gewalt, Respektlosigkeit oder akuten Lehrermangel, wie ein offener Brief der Gemeinde Elsteraue im Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) an Bildungsministerin Eva Feußner zeigt.

„Nun, kurz vor Abschluss des Schuljahres, ist es schon traurig zu sehen, dass sich die Situation nicht nur nicht verbessert, sondern sogar noch weiter verschlechtert hat“, schreibt Bürgermeister Andreas Buchheim.

Zwar möge es für einige Kinder der Grundschule Tröglitz schön sein, wenn sie häufig nur Musik- und Sportunterricht haben, aber es könne nicht sein, dass kein kompetenter Unterricht in ihrer Muttersprache Deutsch sowie Mathematik stattfinde und es auch keine fundierten Hausaufgaben gebe – „geschweige deren Kontrolle“.

Die Verantwortlichen im Bildungsministerium sollten allmählich verstehen, dass es nicht 5 vor 12, sondern längst schon 5 nach 12 ist“, mahnt Buchheim.

Bildungsauftrag auf der Kippe

Zwar versuchen die verbliebenen Lehrer in Tröglitz alles, „um die Fahnen noch irgendwie hochzuhalten“, aber die Bildungslücke werde immer größer.

„Richtiger gesagt: Es findet teilweise gar keine Bildung mehr statt. Konkret musste zum Beispiel eine Lehrerin unserer Grundschule über Monate zwei zweite Klassen mit 44 Kindern allein unterrichten“, schildert der Bürgermeister. Dass diese qualifizierte Lehrerin dann aufgrund der völligen Überlastung irgendwann ausfalle, verwundere nicht. Das Ergebnis: Zwei zweite Klassen sind bis Schuljahresende ohne Klassenlehrerinnen.

„So müssen in diesem Teufelskreis wiederum die noch verbliebenen Lehrkräfte ihr Möglichstes bis an ihre Leistungsgrenze heran tun, um wenigstens die Kinderbetreuung in einer Bildungseinrichtung des Landes Sachsen-Anhalt abzusichern“, heißt es in dem offenen Brief. Eine ordnungsgemäße Benotung dürfe da schwierig werden. Und auch das komplette Fehlen der Beurteilungen zum Lern- und Sozialverhalten habe die Schule bereits angekündigt. So könne der Bildungsauftrag nicht erfüllt werden.

„Wenn ich könnte und dürfte, würde ich auch noch Lehrer einstellen. Da dies aber nicht in meiner Hand liegt, fordere ich Sie nochmals dazu auf: Lösen Sie dieses Problem, das in Ihrer Verantwortung liegt! Verspielen Sie nicht schon in der Grundschule die Zukunft unserer Kinder!“, appelliert der Bürgermeister an die Ministerin.

Laut Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) ist in den kommenden Jahren bundesweit mit Lehrermangel zu rechnen. Bis 2035 fehlen demnach 68.000 Lehrkräfte. Gleichzeitig stieg die Teilzeitquote bei Lehrkräften laut Statistischem Bundesamt 2022/23 auf 42,3 Prozent, im Vorjahr lag sie bei 40,6 Prozent. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK hatte im vergangenen Jahr radikale Notmaßnahmen gegen den Lehrermangel empfohlen, unter anderem eine Beschränkung der Teilzeit.



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