Oskar Lafontaine: Demokratie und Freiheit sind in Deutschland gefährdet

Von Ausgrenzung über Diffamierungen bis zur Zensur: Oskar Lafontaine warnt vor Verlust von Demokratie und Freiheit. Er plädiert für eine Kehrtwende hin zur freien Debatte – ganz nach Voltaire: „Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“
Oskar Lafontaine steht in seinem Garten in der Nähe von Merzig.
„Das macht mir Sorgen!“, sagt Oskar Lafontaine.Foto: Oliver Dietze/dpa
Von 22. Dezember 2023

In einem Video-Interview fragt der Chefredakteur der Schweizer „Weltwoche“ Roger Köppel seinen Talkgast Oskar Lafontaine: „Wieso sind Sie einer der wenigen, der sich nach vorn wagt?“

„Nach vorne wagt“ bezieht sich offenbar darauf, dass der ehemalige SPD- und Linkspartei-Vorsitzende einer der wenigen Politiker ist, der seine prominente Stimme und Medienpräsenz nutzt, um Klartext zu sprechen.

Die Antwort des mittlerweile 80-jährigen Lafontaine: „Jemand, der in meiner Lage ist, hat ja kein Risiko mehr, da seine Karriere zu Ende geht.“ Er sei auch in der Lage, dies zu tun, da er materiell halbwegs abgesichert ist, so Lafontaine.

Er nutze seine risikofreie Komfortzone, das auszusprechen, was ihn bewegt – wenn und wo man ihm die Gelegenheit gibt.

Erschütternde Klarheit bei Bestandsaufnahme

Zum Beispiel beim Maischberger-Talk Ende November, wo er für seine eher unübliche Haltung Applaus bekommt: „Es ist doch dumm, dass wir jetzt Energie aus Russland beziehen, aber viel teurer! Wir beziehen sie aus Indien, aus der Türkei – wir machen also die in der Türkei reich […], ist das eigentlich Aufgabe deutscher Politik?“

Für den Auftritt seines Konterparts bei Maischberger, Altbundespräsident Gauck, findet Lafontaine in der nachträglichen Analyse bei der „Weltwoche“ deutliche Worte: „Der weiß überhaupt nicht, was los ist, tritt aber dort irgendwie im Sinne eines Predigers auf und sagt, mit Russland dürfen wir keinerlei Beziehungen haben. Und da wird ja dann auch die ungeheure Doppelmoral wieder deutlich!“ Er befindet: „Wenn man die These vertritt, mit Leuten, die einen völkerrechtswidrigen Krieg führen, darf man keinen Handel treiben, müssen wir sofort mit den USA jede wirtschaftliche Beziehung abbrechen.“

Zurück zum unseligen Geist der Bücherverbrennung?

Jetzt hat Lafontaine als Autor selbst einen Artikel in der „Weltwoche“ veröffentlicht. Der Grundtenor ist: Demokratie und Freiheit in Deutschland sind gefährdet. Lafontaine kritisiert vorwiegend die „Ausgrenzung Andersdenkender durch Politik, Medien und Gesellschaft seit der Corona-Krise.“

Am Anfang stellt er die Frage, ob Deutschland auf dem Weg zurück ist zum unseligen Geist der Bücherverbrennung. Lafontaine gibt im Artikel keine direkte Antwort. Doch seine Auflistung der Symptome der gesellschaftlichen Schieflage ist lang und mit anschaulichen Beispielen bestückt.

In der Dichte würden sie keine Chance lassen wegzuschauen oder sich einzureden, dass es sich um einzelne Ausrutscher gehandelt habe. Sie ergäben ein Gesamtbild: Die zwangsläufige Fortführung des gleichen, kollektiven Musters, mit immer wiederkehrendem, schalem Nachgeschmack von Diskriminierung und Ausgrenzung. Denn Corona sei nur der Anfang gewesen.

Der Geist der Gehässigkeit

„Dass Demokratie und Freiheit in Deutschland immer gefährdet sind, zeigte die Corona-Zeit“, schreibt Lafontaine. Diejenigen, die ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung wahrnahmen, gerieten ins Visier von Politik, Medien und Teilen der Bevölkerung. Diese schienen förmlich besessen, Andersdenkende auszugrenzen. Ungeimpfte wurden beleidigt und ausgeschlossen.

Lafontaine erinnert an die heftigen Reaktionen auf die Künstleraktion „#allesdichtmachen“ im Jahr 2021 um den Regisseur Dietrich Brüggemann.

Der „Geist der Gehässigkeit, der Wunsch, andere an den Pranger zu stellen und zu bestrafen“, sei laut Lafontaine aus der Flasche gelassen worden. Er zitiert dabei den „Spiegel“-Kolumnisten Nikolaus Blome, der sich gesellschaftliche Nachteile für diejenigen wünschte, die sich nicht impfen lassen wollten, und sogar forderte, dass „die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“ solle. Damit wurde Blome sogar zum Titelgeber eines Buches über die Diffamierungen der Corona-Zeit.

Die Lust, Andersdenkende zu denunzieren und herabzusetzen, war aber kein singuläres Phänomen der Corona-Zeit, sondern es habe sich als destruktives Muster in seinen Wirten festgesetzt. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wird es sich erneut manifestieren, argumentiert Lafontaine.

Nahtloser Übergang zum Kriegsgeschehen

Aus den zu Schwurblern diskriminierten kritischen Geistern wurden dann „Friedensschwurbler“ und Schlimmeres – wer für Verhandlungen mit Russland und Friedenslösungen eintrat, wurde ins Visier genommen und durch den „Putin-Versteher-Wolf“ gedreht. Wer nicht im Mainstream schwimmt, findet sich schnell außerhalb wieder: wie die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz oder der Komponist Justus Frantz. Frantz wurde sogar vom Schleswig-Holstein Musik Festival ausgeschlossen, das er einst mitgegründet hatte.

Lafontaine betont, dass es heute besonders wichtig sei, nicht Künstler auszuladen, sondern auf die Völker verbindende Kraft der Kunst zu setzen, insbesondere auf die der Musik. Er verweist auf Daniel Barenboim, der als einziger die israelische und die palästinensische Staatsbürgerschaft besitzt und das Orchester des „west-östlichen Divans“ gegründet hat, das sich zur Hälfte aus israelischen und palästinensischen Musikern zusammensetzt.

Selbst jüdische Künstler würden jedoch ausgeladen, wenn sie es wagen, die israelische Regierung zu kritisieren, so Lafontaine. Ein Beispiel hierfür sei die aus Südafrika stammende jüdische Künstlerin Candice Breitz, die von einem Museum ausgeladen wurde, weil sie sich angeblich nicht genügend von dem Massaker der Hamas distanziert habe, was Lafontaine als unbegründet bezeichnet.

Das schreiende Schweigen der Politblase

Die Berliner „Politblase“, so Lafontaine, sei zwar Anhängerin der Cancel Culture, aber unfähig, Antisemitismus und Faschismus zu bekämpfen. In der „Weltwoche“ kritisiert er das Unaussprechbare, das auch in den großen Systemmedien nicht gesagt werden darf:

Dass „diese Blase“ ein Regime in der Ukraine unterstützt, das Stepan Bandera, einen tausendfachen Judenmörder, zum Nationalhelden erhebt. Dass die deutsche Regierung die Herabwürdigung der Palästinenser als „menschliche Tiere“ nicht kritisiert oder dass ein ukrainischer Schriftsteller mit Friedenspreis des deutschen Buchhandels ungetadelt Russen als „Schweine“ und „Unrat“ bezeichnen darf.

Die verletzte Würde des Menschen

In diesem Zusammenhang erinnert Lafontaine an Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Menschenwürde und die Unverletzbarkeit der Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt festlegt.

Hier zur Erinnerung Artikel 1, 2 und 5 GG:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(5) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.

Lafontaine stellt fest, dass die Bundesregierung diesen Idealen schon längst nicht mehr gerecht wird.

Nachhilfe für stromlinienförmige Politiker

Bleibt noch zu erwähnen, dass der Politiker im Ruhestand im eingangs erwähnten Interview mit „Weltwoche“-Chef Roger Köppel von einer Gemeinsamkeit der „großen“ Persönlichkeiten spricht, die er bewundert. Von Mandela bis Gorbatschow seien es Menschen gewesen, die gegen den Strom geschwommen sind. Das sei etwas, so seine Meinung, worin die deutschen Politiker unterrichtet werden sollten.

Fürs Erste schlägt Lafontaine aber vor, der Geschäftsordnung des Bundestages den Voltaire zugeordneten Spruch vorzuschalten: „Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“



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