Dirk Hüther: „Das Menschliche kommt zu kurz“

Im Interview erklärt Kommunikationstrainer Dirk Hüther, wie wir mit anderen in Verbindung kommen, besser und effektiver zusammenarbeiten und dass Teamführung ganz einfach ist. 
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Gemeinsam Erfolge feiern.Foto: iStock
Von 28. Juni 2022

Herr Hüther, als Unternehmensberater haben Sie sich vor einigen Jahren auf das Thema Kommunikation spezialisiert. Wie kam es dazu?

Mein erster Auftrag als Trainer war bei einem Unternehmen, das abgewickelt wurde. Ich merkte recht schnell, was den Managern fehlte – nämlich, mit ihren Mitarbeitern menschlich umzugehen.

Auch Studien zeigen, dass Führungskräfte 50 Prozent ihrer Arbeitszeit durch ungelöste Konflikte verlieren. Das Menschliche kommt zu kurz. Ein Beispiel dafür, wie es anders gehen kann, stellt die Hotelkette Upstalsboom dar.

Was macht dieses Unternehmen besser?

Das oberste Ziel der Leitung ist, dass die Mitarbeiter glücklich sind. Und alle tun etwas dafür. Das merken die Gäste. Alle arbeiten effektiver und motivierter. Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Prozesse immer weiter optimiert, nur auf Zahlen geschaut und dabei die Mitarbeiter vergessen – diese sind aber keine Maschinen.

Reicht es nicht aus, einfach mehr Geld zu zahlen?

Geld motiviert nur kurzfristig. Es züchtet Junkies heran, die immer mehr Kohle brauchen, um denselben Effekt zu erzielen. Dazu kommt dann vielleicht noch ein Prämiensystem, das interne Konkurrenz erzeugt, das ist Gift für jedes Unternehmen.

Dabei zeigen Studien sehr deutlich, wie wichtig das Umfeld ist, das ein Unternehmen bietet.

Also Pingpong, Obstkörbe und bunte Sofas?

Die machen sich vielleicht auf den Fotos ganz gut. Aber worauf es wirklich ankommt, das ist die Wertschätzung. Dieses Bedürfnis kann sehr unterschiedlich ausfallen: Für den einen bedeutet Wertschätzung, Dank zu erhalten, die andere wiederum möchte, dass man sich für sie, ihre Ideen und Gedanken interessiert – sie will sich einbringen, er will gesehen werden oder umgekehrt.

Zu viele Manager haben ihr Bedürfnis nach Wertschätzung unterdrückt, kennen es von sich selbst nicht. Sie müssen erst lernen, diese Wertschätzung selbst zu erleben. Erst dann kommt sie von innen und ist richtig tiefgehend. 

Wie können wir Wertschätzung lernen? Mitarbeiter und Kollegen merken doch, wenn ein Lob geheuchelt ist, oder?

Lob kommt sowieso nie als Wertschätzung an, denn Lob geht von oben nach unten. Chefs müssen in sich selbst ihr eigenes Bedürfnis nach Wertschätzung erkennen. Das funktioniert nicht über den Kopf. Es ist eine innere Haltung. Dazu gehört, mit den Leuten im Dialog zu stehen, sich wirklich für sie zu interessieren und in Gesprächen herauszufinden, was sie mögen, was ihnen wichtig ist. Menschen wollen sich einbringen und gesehen werden.

Einfach ein Buch über Teamführung zu lesen, scheint also nicht auszureichen. Wie geht es dann?

In meinen Workshops lasse ich Menschen erleben, wie es sich anfühlt, in Wertschätzung zu baden. Bei dieser Übung sitzen sich zwei Personen gegenüber und sagen einander 15 Minuten lang, was sie am andern mögen. Es geht darum, zu sehen, was alles klappt, zu feiern, was gut läuft, und ihre Freude darüber zum Ausdruck zu bringen. 

Im Arbeitsalltag sieht das dann zum Beispiel so aus: Als Führungskraft, die einem Mitarbeiter einen Auftrag erteilt hat, der bis Freitag fertig sein soll, sage ich bei der Abgabe nicht einfach nur „gut gemacht“. Sondern ich bedanke mich und erkläre, dass es mir wichtig war, dass er rechtzeitig abgibt, damit ich beruhigt ins Wochenende gehen kann. 

Immer wenn wir die Floskel „gut gemacht“ hören, ist es wichtig zu fragen, was genau habe ich gut gemacht.

Und Sie sehen in Vereinen und Initiativen dieselben Defizite wie in Unternehmen?

Ja, auch in Vereinen fehlt es an Wertschätzung. Wir müssen durch Kommunikation in Verbindung kommen. Dazu gehört erstens das präsente Zuhören – während der andere redet, dürfen wir nicht über unsere Antwort nachdenken. Zweitens müssen wir den Plapper- und Denkapparat abschalten. Erst dann hören wir auf zu bewerten. So entschleunigen wir unsere Kommunikation. Denn die Geschwindigkeit des Dialogs steigert das Adrenalin, und wir geraten in einen Kampfmodus. Je schwieriger das Gespräch ist, desto mehr Zeit müssen wir uns nehmen. 

Ein wichtiger Merksatz für Führungskräfte ist: Wer keine Zeit zum Führen hat, führt überhaupt nicht.

Warum flüchten dann viele Führungskräfte ins operative Geschäft?

Weil sie sich nicht mit den Menschen beschäftigen wollen. Weil sie dem nicht gewachsen sind. Außerdem laufen viele vor sich selbst davon, indem sie nur arbeiten. Das sind die, die beim Meditieren die Stille nicht ertragen. Sie brauchen die ständige Beschäftigung, um vor sich selbst zu flüchten. Sie sind am eigenen Leben nicht interessiert und nur durch Muster gesteuert. Durch Fragen oder Verbesserungsvorschläge fühlen sich solche Führungspersonen angegriffen, weil sie glauben, dass die andern sie damit nur runtermachen wollen.

Das sind also Minderwertigkeitsgefühle?

Genau. Und noch dazu kommen viele Führungspersonen aus einem alten, kaputten System, ohne es zu merken. Aus ihrer Kindheit bringen sie die Einstellung mit, dass Autoritäten nicht infrage gestellt werden dürfen. 

Wir stecken in den Mechanismen der alten Welt fest. Ein weiteres Missverständnis ist Hierarchie. Mehrheitsentscheidungen zum Beispiel sind fürchterlich destruktiv. Denn wenn fünf dafür und vier dagegen sind, ist die Arbeit gegen diesen Widerstand unglaublich kräfteraubend.

Wie können wir besser und effektiver zusammenarbeiten?

Menschen zu führen, ist ganz einfach. Es braucht die eigene Leichtigkeit und ein Loslassen, um Widerspruch zuzulassen. Dann muss ich mir gute Leute suchen, damit sie mir sagen, was ich machen soll. Es braucht Rollenklarheit – ich muss mir selbst zugestehen, was ich nicht kann. Und es geht darum, miteinander zu reden und zu sagen: Ich vertraue dir, mach mal. Vertrauen ist ganz wichtig, anstatt sich auf Formalitäten zurückzuziehen, gilt es, sich aufeinander einzulassen und sich kennenzulernen. Es ist wichtig, sich von der Idee zu verabschieden, dass man der oder die Einzige ist, die weiß, wie es geht.

Zu oft herrscht Selbstbezogenheit vor. Zum Beispiel, wenn neue Menschen zu einem Team dazustoßen. Diese treffen auf die „Alten“, die schon länger dabei sind, und die sagen jetzt zu den Neuen: Lass mich mal machen, ich habe mehr Erfahrung. Und die Neuen sagen, ihr habt alles falsch gemacht. So reden Ideen und Wissen aneinander vorbei, anstatt sich auszutauschen, voneinander zu lernen und die Aufgaben aufzuteilen.

Es scheitert also auch hier an der Kommunikation. Lässt sich daraus ableiten, wie wir mit Menschen reden sollen, die noch im Narrativ stecken? Können wir diese überzeugen?

Das ist unmöglich. Überzeugungen haben emotionalen Charakter. Daher helfen Argumente nicht weiter. Durch die vielen Talkshows, in denen nur Monologe gezeigt werden, haben wir verlernt, einen Dialog zu führen. Überall wird diskutiert. Stattdessen müssen wir herausfinden, warum der andere so handelt. Und dann sanft den Samen des Zweifels säen. Der entfaltet unterbewusst Wirkung.

Dabei hilf auch die richtige Fragetechnik. Dem widme ich in meinem neuen Buch ein ganzes Kapitel. Gute Fragen legen etwas offen – deswegen reagieren viele Leute so beleidigt, wenn man eine Frage stellt.

Was wäre eine gute Frage?

Die erste Frage muss sein: Woher weißt du das? Eine weitere: Wie oft muss sich jeder impfen lassen, damit die Pandemie vorbei ist? Oder: Was motiviert dich zu der Entscheidung? Kann man das auf andere Weise befriedigen? Gibt es weitere Möglichkeiten?

Was können die Menschen in Initiativen, Organisationen oder Unternehmen sonst noch tun, um weiterzukommen?

Es gibt zu viele ungelöste Konflikte, für deren Auflösung brauchen wir Beziehungsarbeit. Wir müssen darüber reden, wie wir uns guttun können und lernen, dass es möglich ist, Konflikte zu haben und trotzdem weiterzumachen. Es gilt zu erkennen, dass ich nur zusammen mit dem andern eine Lösung finden kann. Es geht nicht darum zu gewinnen, sondern gemeinsam herauszufinden, wie man es besser macht.

Flucht, Plattmachen, Vermeiden, das sind unsere Lösungsmuster aus der Kindheit, um mit Spannungen umzugehen, weil wir diese nicht ertragen. Aber Konflikt ist nicht schmerzhaft, das müssen wir erkennen.

Schließlich ist das Zwischenmenschliche am wichtigsten. Das Gespür für Zwischenmenschliches müssen wir in uns wiederentdecken und zulassen. Dazu brauchen wir Workshops. Wir müssen uns helfen lassen. Auch um wieder Vertrauen in uns selbst und andere zu haben, dass wir es gemeinsam hinbekommen.

Die Fragen stellte Sophia-Maria Antonulas.

Mit seinem neuen Buch „Kommuni:corona – Kommunikation in Zeiten von Corona“ gibt Coach und Kommunikationsberater Dirk Hüther dem Leser einen Werkzeugkoffer an die Hand. Denn jeder, der das Buch gelesen hat und dadurch verbindender oder einfach nur effektiver mit anderen redet, ist ein Gewinn für uns alle. Erscheinungsdatum 15. Juli 2022, im Verlag Ars Vobiscum. Vorbestellungen unter: [email protected]



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