Von der Studienstiftung ausgeladen, als „Orbáns Handlanger“ beschimpft – Prof. Patzelt äußert sich

Der bekannte Politikwissenschaftler Prof. Patzelt setzt sich gegen eine mediale Diffamierungskampagne zur Wehr. Im Interview mit Epoch Times erklärt er, warum.
Titelbild
Foto: André Wirsig für die TU Dresden (Mit freundlicher Genehmigung von W. Patzelt)
Von 17. Februar 2024

Auf der Website von Prof. Werner J. Patzelt erschien am 12. Februar 2024 ein längerer Artikel mit der Schlagzeile „Der Konservatismus, die Studienstiftung und Viktor Orbán“. Dahinter verbirgt sich eine Art Sittengemälde der Gegenwart, die Chronologie eines medialen Versuchs, einen der bekanntesten Politikwissenschaftler in Deutschland zu diskreditieren.

Prof. Patzelt erzählt die Geschichte in vier Teilen nicht ohne Schmunzeln. Aber der von ihm hier aus dem persönlichen Erleben heraus skizzierte moralische Zustand der Gesellschaft ist für ihn auch Anlass zur Besorgnis.

Im Zentrum dieser Diskreditierungsgroteske steht neben Prof. Patzelt der Autor Matthias Meisner, früher beim Tagesspiegel, heute Kolumnist auf der Webseite der sogenannten „Seenotretter“ von „Mission Lifeline“, die von einem ihrer Ex-Kapitäne als „linksradikal“ beschrieben werden.

Meisner schreibt erst für die „Frankfurter Rundschau“, dort bezeichnet er Prof. Patzelt als „Viktor Orbáns Handlanger“. Zudem erfolgt eine weitere Veröffentlichung von Meisner beim linksaktivistischem Portal „Volksverpetzer“, wo der Autor von einer „Kontroverse“ um Patzelt schreibt, die allerdings bisher fast ausschließlich auf seinen beiden genannten Publikationen beruht.

Prof. Patzelt sei eine „PR für Orbán“ misslungen. Ist diese nun misslungen, weil Meisner gegen die Einladung der Stiftung interveniert hatte? Oder ist das nur ein frommer Wunsch nach einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung?

Epoch Times sprach mit Prof. Werner J. Patzelt über einen bemerkenswerten Vorgang.

Müssen wir uns jetzt schon über Telegram telefonisch unterhalten, oder können wir noch das normale Telefon benutzen?

Wir können natürlich das Telefon benutzen, weil wir uns ja nicht als Verschwörer betätigen oder Staatsgeheimnisse ausplaudern.

Ich wüsste auch keine, Sie?

Ich kenne ebenfalls keine Staatsgeheimnisse.

Die Studienstiftung des deutschen Volkes hatte Sie eingeladen, ein Seminar abzuhalten. Als Thema wurde angeregt, die Entwicklung des politischen Konservatismus zu verhandeln. Warum hatten Sie ursprünglich zugesagt?

Weil ich mich als ehemaliger Stipendiat der Studienstiftung weiterhin verbunden fühle, weil ich deshalb auch jahrelang in Auswahlverfahren der Studienstiftung tätig war, und weil ich ohnehin schon bei zwei Sommerschulen der Studienstiftung entsprechende Seminare abgehalten habe.

Das ist dann so eine Art Corpsgeist?

Ich bin der Studienstiftung biographisch verbunden, und folglich komme ich gerne, wenn sie mich einlädt.

Dann meldete sich ein Journalist bei der Stiftung, der Sie als „umstritten“ darstellt, und die Stiftung sagt Ihnen plötzlich ab. Aber Sie waren zunächst gar nicht traurig darum. Es war Mehrarbeit weggefallen. Die Sache löste sich irgendwie in Wohlgefallen auf – trotz des fehlenden Rückgrats der Stiftung. Aber dann erscheint ein Artikel, der sich kritisch mit der Einladung befasst. Ist das richtig zusammengefasst?

Das Angriffsziel dieses Journalisten war zunächst einmal das Mathias Corvinus Collegium (MCC), das dieser ja auch mit entsprechend herabsetzenden Bemerkungen darstellt. Es wurde dann von Meisner die Geschichte so erzählt, dass jenes übel beleumdete MCC sich frech dadurch adeln wollte, dass es mit der elitären Studienstiftung des deutschen Volkes zusammenzuarbeiten versuchte.

Letzteres dürfe die Studienstiftung keinesfalls mit sich geschehen lassen. Also gab es auch einen Wink mit dem Zaunpfahl, nämlich den Hinweis auf die Finanzierung der Studienstiftung durch das Bundesbildungsministerium. Dieses Geld müsse doch wohl entzogen werden, wenn die Studienstiftung mit dem MCC zusammenarbeite, nicht?

Die ganze Szenerie wurde dann noch dahingehend ausstaffiert, dass dieser Patzelt ohnehin sehr, sehr problematisch sei. Anscheinend war dem Verfasser dieses Artikels unbekannt, dass nicht ich oder gar das MCC an Studienstiftung herangetreten war, sondern dass die Studienstiftung ganz ihrerseits mich eingeladen hatte, woraufhin ich aus alter Verbundenheit jenes erbetene Seminar zusagte. Mit meiner Rolle beim MCC hatte das alles gar nichts zu tun. Und hätte der gute Mann ordnungsgemäß recherchiert und mich vorab zum ganzen Vorgang befragt, hätte ich ihn natürlich aufgeklärt.

Was ist ihre Rolle am MCC?

Das Mathias Corvinus Collegium ist eine ungarische Elitenförderungsinstitution, die im ganzen ungarischen Sprachraum Niederlassungen hat. Im Herbst 2022 hat sie auch in Brüssel eine Niederlassung eröffnet. Diese bildet dort ungarische Studentengruppen weiter, beteiligt sich in Brüssel durch Diskussionsveranstaltungen und ihre Publikationstätigkeit an europapolitisch relevanten Debatten und führt längerfristig angelegte Forschungsprojekte durch. Für letzteres bin ich als Forschungsdirektor zuständig.

Was Sie schildern, ist auch eine lange Kette von Kontaktschuld. Es ist nicht nur so, dass die Stiftung nur eine Kontaktschuld mit Ihnen hat. Sie haben eine Kontaktschuld mit dem MCC. Sie haben aber auch eine laut des Artikels, über den wir gleich reden, mit Tucker Carlson, der einmal Gast beim MCC war, und damit sitzen Sie dann direkt mit am Tisch bei Putin in Moskau …

Ich halte es für von vornherein abwegig, eine Tätigkeit für das MCC als irgendwie sündhaft auszugeben. Was Tucker Carlson betrifft, mit dem ich nie etwas zu tun hatte, liegt ohnehin höchstens eine „indirekte Kontaktschuld“ vor, wobei ich gar nicht weiß, was an ihr wirklich sündhaft wäre. Und wenn ich Leuten persönlich begegnet sein sollte, die womöglich von Dschingis Khan abstammen: Müsste ich mich jetzt von jenen Verbrechen distanzieren, die es beim Mongolensturm gegeben hat?

Der Autor des Artikels ist auch Kolumnist einer – laut eines ihrer ausgestiegenen Kapitäne „linksradikalen“ – sogenannten „Seenotretter“-Organisation. Er bezeichnet Sie als Türöffner zur AfD, fühlen Sie sich da beleidigt?

Das ist ganz einfach eine falsche Aussage. Herr Meisner hat sich aber in sie verliebt. Er wiederholt sie seit der Zeit, als ich im letzten sächsischen Landtagswahlkampf Co-Vorsitzender der Wahlprogramm-Kommission der CDU war. Doch bis heute hat er anscheinend die Überschrift eines damaligen Interviews mit mir aus einer sächsischen Zeitung nicht zur Kenntnis nehmen wollen, die da lautete: „Patzelt warnt die CDU vor einer Koalition mit der AfD“.

Genau das ist es nämlich, was ich tue – und zwar so lange, wie die AfD so ist, wie sie seit Jahren eben ist. Dass Herr Meisner meine differenzierte Position, eigentlich leicht greifbar dargestellt in meinem Buch „CDU, AfD und die politische Torheit“ von 2019, endlich zur Kenntnis nimmt, ist von einem Journalisten seiner Preislage wohl zu viel verlangt.

Warum muss man sich überhaupt dazu äußern? Oder warum muss man hier eine Art Verteidigungs- oder Erklärungshaltung einnehmen? Was wollen Sie mit der Gegendarstellung erreichen?

Ich habe die Sache deshalb aufgegriffen, weil sie ein weiteres Puzzleteil im Gesamtbild unseres intellektuellen, akademischen und publizistischen Klimas ist. Mit dem steht es offenbar nicht zum Besten. Wenn es nämlich auch im akademischen Bereich keine Bereitschaft mehr gibt, miteinander zu reden, sondern wenn es aufgrund von antizipierter oder nacheilend behaupteter Kontaktschuld zu Ausladungen kommt, dann schadet das jenem freien, streitigen Austausch von Ideen, von dem doch nicht nur die akademische Öffentlichkeit, sondern auch pluralistische Demokratie lebt.

Ihnen wird in besagtem Meisner-Artikel unter anderem auch vorgeworfen, Sie hätten sich Julian Reichelts Portal „Nius“ angedient. Haben Sie da bei „Nius“ ein mulmiges Gefühl? Haben Sie Sorge, später als Rechtsradikaler wegsortiert zu werden, mit diesem Kontakt?

Ich bin von „Nius“ schlicht eingeladen worden, dort eine wöchentliche Kolumne zu schreiben. Die erscheint als „Patzelts Montagsanalyse“ ziemlich regelmäßig. Wer die liest und sich nicht allein an den – nie von mir stammenden – Überschriften orientiert, der erkennt schnell, wie es um den Vorwurf steht, ich würde mich populistisch oder rechtsradikal äußern. Der ist nämlich ganz gegenstandslos und erfüllt den Tatbestand der üblen Nachrede, womöglich auch den der Verleumdung.

Und das heißt, wenn sie da mal in den heiligen Hallen „Nius“ unterwegs sind, dann riecht es überall nach Schwefel …

Ich war zwei, dreimal dort bei Talksendungen der Reihe „Stimmt’s“, und ich hatte nicht den Eindruck, dass ich mich da in der Umgebung von rechtsextremistischen Fanatikern befände. Und vielleicht ist es in einer pluralistischen Demokratie gar nicht im Ernst vorwerfbar, wenn irgendwo ein anderes Meinungsklima als ein links-grün-wokes herrscht.

Diese Liste einer Kontaktschuld oder indirekten Kontaktschuld hört gar nicht mehr auf. Sie sollen laut Artikel auch deckungsgleiche politische Ansichten haben, wie Hans-Georg Maaßen, der mittlerweile vom Verfassungsschutz beschaut wird. 

Ich habe meine politischen Ansichten, Herr Maaßen die seinen. Und nachdem Herr Meisner meine politischen Ansichten offensichtlich gar nicht kennt, hat er auch nichts Verlässliches darüber zu sagen, welche politischen Schnittmengen es zwischen mir und Herrn Maaßen geben mag.

Im Übrigen offenbart Herr Meisner hier eine weitere Bildungslücke. Anscheinend weiß er gar nicht, dass „Liberalkonservatismus“ ein ebenso eingebürgerter Begriff der politischen Sprache ist wie „Reformsozialismus“. Also muss man schon ein Verschwörungstheoretiker sein, wenn man einen raunend mitgeteilten Zusammenhang aus der simplen Tatsache konstruiert, dass ich diesen weit verbreiteten Begriff in meiner Seminarankündigung verwende – und Maaßen viele Monate später bei der Vorstellung seiner neuen Partei.

Was die politische Kritik an mir betrifft, geht sie anscheinend darauf zurück, dass ich mich seit vielen Jahren in einer Weise äußere, die den Verwaltern intellektueller Hegemonie einfach nicht gefällt. Vor knapp zehn Jahren habe ich wahrheitsgetreu mitgeteilt, dass die Dresdner Pegida-Demonstranten nicht allesamt Rassisten sind. Seit Jahren erkläre ich in Übereinstimmung mit nachprüfbaren Tatsachen, dass man den Aufstieg der AfD solange nicht bremsen wird, wie man nicht einerseits jene Probleme zu lösen beginnt, die so viele Wähler zur Stimmabgabe für die AfD motivieren, und solange man sich nicht andererseits mit den Lagebeschreibungen und Argumenten der AfD konkret – und auch vor Publikum – ernsthaft auseinandersetzt.

Und im letzten Jahr habe ich ein Buch über Ungarn veröffentlicht, bei dem ich anders, als von vielen offenbar erwünscht, gerade nicht über Viktor Orbán geifere, ja ihn nicht einmal in den Mittelpunkt stelle. All das mögen Linke, Grüne und Woke nun einmal nicht. Und weil mich das nicht schert, sondern ich einfach sage und schreibe, was ich für richtig und im streitigen Diskurs für erwägenswert halte, werde ich für Meisner & Co. eben zum Stein des Anstoßes.

Sprechen sie ungarisch?

Nein. Aber man muss mit seiner Lebenszeit auch irgendwie haushalten. Immerhin spreche ich gut Deutsch, Englisch und Französisch und lese ziemlich brauchbar Spanisch, Italienisch sowie Esperanto, desgleichen – mit inzwischen freilich einigen Schwierigkeiten – auf Gymnasialniveau Latein und Griechisch. Da glaube ich seitens von Leuten, die auch kein Ungarisch können, durchaus den Vorwurf verschmerzen zu dürfen, dass ich mich über Ungarn äußere, ohne das Ungarische zu beherrschen. Ob jeder Amerikaner, der über Deutschland schreibt, seinerseits Deutsch kann?

Jetzt gibt es doch einen Lichtblick in der Geschichte: Sogar das Bildungsministerium, welches die Stiftung überwiegend finanziert, wurde auf ihr Seminar hingewiesen, wiederum vom Journalisten Meisner. Ein Ministeriumssprecher hat ihm gegenüber allerdings betont, dass das Ministerium ja keinerlei Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung nehmen möchte. Kann man das positiv bewerten?

Wie fänden wir es eigentlich, wenn alle Ministerien die Bildungstätigkeiten in den von ihnen mitfinanzierten Institutionen im Detail beobachteten und sich dann nach rein politischen Gesichtspunkten einmischen würden? Mir erschiene das wie ein autoritärer Überwachungsstaat, den linke Journalisten früher mit Abscheu abgelehnt hätten.

Also müsste Herr Meisner vielleicht auch das Demokratiefördergesetz bekämpfen?

Er sollte sich ganz im Gegenteil für eine solche Ausdehnung des Demokratiefördergesetzes starkmachen, dass künftig alle Alltags- und Wissenschaftskommunikation gemeldet, nachkontrolliert und gegebenenfalls bestraft werden kann, wenn sie den jeweils durch freie Wahl ins Amt gelangten Regierenden womöglich nicht passt!

Wären Sie ein potenzieller Empfänger von Fördergeldern des Demokratiefördergesetzes?

Im Ernst: Nachdem ich seit vielen Jahren im Bereich der politischen Bildung tätig bin, gerade in der Aufbauphase des Freistaates Sachsen dort auch etliches beeinflussen konnte, viele Lehrer aus- und weitergebildet sowie zur politischen Bildung auch gar nicht wenig publiziert habe, meine ich sehr wohl, dass ich der Richtige bin, um möglichst vielen Leuten zu vermitteln, wie ein freiheitlicher Staat funktioniert und wie man sich in einer Demokratie richtig verhält. Allerdings kennen meine Kritiker meine Texte oder meine auf Video verfügbaren Vorträge zu alledem anscheinend gar nicht. Deshalb nehmen sie Hörensagen für die Wirklichkeit und schreiben mir meist das Gegenteil dessen zu, was ich tatsächlich vertrete. Doch wer wird sich denn eine wirkungsvolle Geschichte durch womöglich der Darstellungsabsicht in die Quere kommendes Recherchieren verderben lassen!

Wer wären denn überhaupt die Zuhörer Ihres Seminars bei der Studienstiftung gewesen, und was haben diese jetzt verpasst?

Die Teilnehmer dieser Seminare sind Stipendiaten der Studienstiftung, die sich für sommerliche Hochschulkurse einschreiben, und die dann Seminare auswählen, die sie interessieren. Mein Seminar sollte, so der Wunsch der mich einladenden Mitarbeiterin der Studienstiftung, die Entwicklungsgeschichte des Konservatismus behandeln. Ich hätte also vom konfuzianischen Konservatismus bei den alten Chinesen gehandelt und vom praktizierten „mos maiorum“ bei den alten Römern, hätte dann das Einsetzen des neuzeitlichen Konservatismus als Reaktion auf die Französische Revolution bearbeitet und anschließend, mit Blick auf die parallelen Geschichten des in die Gegenwart führenden Liberalismus und Sozialismus, die parallele Ideen- und Politikgeschichte des Konservatismus behandelt. Dessen diktatorische Ausprägung im Faschismus wären natürlich ebenso Thema gewesen wie die Verbindung von Liberalismus, sozialdemokratischen Vorstellungen, später auch ökologischen Ideen, mit dem Konservatismus in etlichen christdemokratischen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg. Man also muss schon sehr voreingenommen sein, wenn man in einem solchen Programm ideologische Indoktrination erkennen will, vor der man ausgerechnet Studienstiftler zu schützen hätte.

Danke für das Gespräch!

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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