Die Trägheit der Masse

Wir können erkennen, welche Dinge in der Welt an die Bedingung der Knechtschaft geknüpft sind, und, wo es geht, auf sie verzichten.
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"Der Mensch geht in der Masse auf, verliert all das, was ihn über die Amöbe erhebt und einzigartig macht." - Chris MoserFoto: iStock
Von 17. Mai 2022

Die Gegenbewegung zur Industrialisierung war im 19. Jahrhundert die Romantik. Eines ihrer bekanntesten Sinnbilder ist der „Wanderer über dem Nebelmeer“ von meinem Lieblingsmaler Caspar David Friedrich. Sein Genius ließ ihn einsam in die Weite der Natur blicken, deren Tiefe im Nebel verborgen liegt, deren Urgrund des Menschen Blick nur erahnen kann, doch der Wanderer steht erhaben über alledem. Seine stolze Einsamkeit ist der Gegensatz zur modernen Masse, seine tiefe Ergriffenheit der Gegensatz zur Oberflächlichkeit des Treibgutes der modernen Gesellschaft.

Die Gesellschaft ist wiederum das Gegenteil der Gemeinschaft, der Einheit von Natur und Mensch, Leben und Geist, Schönheit und Schöpferkraft. Mag die Massengesellschaft dynamisch sein, fortschrittlich sein, Energien freisetzen, so hat sie doch eines nicht: Seele. Was die Massengesellschaft vom Vogelschwarm unterscheidet, ist, daß sie nicht aus sich selbst heraus strebt, sondern der Lenkung bedarf. Ihr Dasein wird bestimmt von der Mode, der Vorgabe ihrer äußeren Hülle und ihrer Richtung durch die, die sie ihr verkaufen. Von der Kleidung über die Nahrung, die Musik, die Kurzweil und den „Job“, der an die Stelle des Berufes, der Berufung, getreten ist, gibt der Krämergeist der Geldmacht ihr die Gestalt und den Charakter. Die Seelenlosigkeit der Zivilgesellschaft ist die Endstufe der kulturlosen Masse, die das Gegenteil des Menschen ist. Der Mensch geht in der Masse auf, verliert all das, was ihn über die Amöbe erhebt und einzigartig macht.

Die Masse braucht Moral, die Gemeinschaft Sitte. Moral ist die Vorschrift von dem, was richtig sei, Sitte ist die Empfindung dafür, was richtig ist. Die Masse empfindet nicht, sie wird empfunden von denen, die verstanden haben, wie sie funktioniert.

Wollten sie Gutes für sie, so würden sie die Masse aufheben und zu ihren empfindsamen Kernen zurückführen. Wer statt dessen die Masse aufrechterhält, vergrößert, der hat ein Interesse daran. Er benötigt keine Menschen, die ein Eigenleben führen. Die Trägheit der Masse ist der Ton der freimaurerischen Ziegelei. So sehr sie auch das Gegenteil im Schilde führen – im Wortsinne verstanden –, Sittlichkeit steht allen Massen-Institutionen im Wege, Moral hingegen ist ihre billige Parole.

Sie, diese Moral, wird z. B. bemüht, um bei einem ausgebrochenen Kriege statt nach Frieden, nach Waffen zu rufen. Das ist in etwa so, als benutzte die Feuerwehr statt Wasser Benzin.

Nein, es ist kein friedlicher Weg, die eine Kriegspartei mit Waffen auszurüsten, damit sie die andere besser bekämpfen kann. Ebenso wenig war die balance of power Großbritanniens jemals sittlich. Sie nahm ja noch nicht einmal für sich in Anspruch, moralisch gewesen zu sein. Der einzige Weg zum Frieden sind das offene Ohr, das Verständnis, das aufrichtige Wort und der Handschlag. Bezeichnenderweise hört man davon nichts.

Der Krieg der postheroischen Gesellschaft ist die hohe Zeit der Masse. Und in Massen werden die Menschen dabei zur Schlachtbank geführt.

Nun mag der geneigte Fernsehzuschauer meinen, daß, wenn die Waffen sprechen, Verhandeln naiv sei. Wie aber soll der Krieg dann enden? Er kann nur im Verhandeln enden, oder er endet in der totalen Vernichtung – oder nie.

Die Geschichte hat dies eindrücklich gezeigt. Seit die Alliierten mit dem Diktat von Versailles die Selbstverständlichkeit der Friedensverhandlungen über Bord warfen und Einigung durch Arroganz, Willkür und Kredit-Sklaverei ersetzten, ist der Friede aus der Welt. Es gab seitdem keinen mehr, sondern nur noch fortgesetzten Krieg. Jene Abkehr vom Friedenswillen war der große Sündenfall, der die Völker der ewigen Unruhe preisgab. Sie endet bis heute nicht. Seitdem wird der Krieg mit allen Mitteln fortgesetzt, selbst dann, wenn das entkernte Wort vom „Frieden“ dabei im Munde geführt wird. Bezeichnenderweise wird von „Friedensmissionen“, „Friedensprozessen“ und so weiter gesprochen, anstatt offen zu sagen, worum es sich handelt, nämlich einen Profit, der über Leichen geht.

Die (un)heilige Geldmacht

Der größte Kriegsgewinnler war früher die Kirche. Sie stand auf beiden Seiten. Für den Verlust war der weltliche Herrscher verantwortlich, der Sieg kam immer von Gott. Die Empfangsvollmacht für den Tribut lag bei seinem Stellvertreter.

Heute ist die Geldmacht an ihre Stelle getreten. Ihr Heiligtum ist die Kapitalverkehrsfreiheit und ihr bombt sie nach Belieben den Weg.

Die Masse merkt nicht, wenn sie das Geschäft der Geldmacht betreibt. Sie schreit nach offenen Grenzen, ohne zu merken, daß der Einzelne hierdurch keinen Vorteil nimmt, jedoch die Last zu tragen hat. Der Nutzen liegt allein beim internationalen Finanzkapital. Es spielt die einen gegen die anderen aus.

Wer es wagt, sich der entgrenzten Gewinnsucht entgegenzustellen, wird zum Schurken gestempelt und schon ruft die Masse: „Kreuziget ihn!“.

Die Masse ist eine Zahl. Die Statistik, die Gewinnkalkulation sind der Minnesang der Geldherrschaft. Die Menschlichkeit hingegen blüht in der Poesie, in der Tiefe des Wortes, der Anmut und ihrer Empfindung. Aus dem Schöpfergeist der menschlichen Natur entsteht neues Leben. Das Leben der Masse wird in die Zahl gepresst und kommt darin um.

Je mehr das Leben sich zergliedert, desto reicher wird es. Zugleich wird es so aber schwer zu fassen, unergründlich schön. Die Herrschaft der Zahl muß darum das Leben binden. Ihr Drang zur Summe saugt alles Leben in sich auf, ist rein technisch. Es wundert darum nicht, daß sie zuletzt das Leben selbst durch eben solche Technik zu ersetzen sucht.

Für sie darf es nicht sein, daß unter den Lebenden eigene Kräfte walten, daß Pole sich anziehen, daß unterschiedliche Menschen friedlich ein unterschiedliches Dasein führen, daß das Leben nicht verwaltet wird, sondern gelebt.

Es darf nicht sein, daß zwischen Mann und Frau ein Zauber fruchtet, daß Völker ihrer Art nach selig werden, daß sie eine Heimat haben, die ihnen heilig ist, daß weder Not, noch Neid sie aus ihr heraus- und auf andere eintreten lassen.

Die Massengesellschaft abstrahiert ihre Verwaltung und macht ihren ursprünglichen Auftraggeber, den Menschen, vom Subjekt zum Objekt. Nicht mehr wird das Land so hergerichtet, daß der Mensch in ihm gut leben kann, sondern der „Standort Deutschland“ ist einer von vielen für das Geld und die Menschen darin „Humankapital“, eine wägbare Verschiebemasse.

So hat sich der Mensch an die Wirtschaft – in Wahrheit das Finanzkapital – anzupassen, statt die Wirtschaft für ihn da zu sein. Der Maßstab ist immer der Gewinn, der des Investors, nicht des arbeitenden Menschen.

Wer schafft, dient, wer arbeitet, nimmt Arbeit, wer arbeiten läßt, gibt sie. Die Verdrehung der Worte vernebelt den Nutzen.

Zerstörung der Menschlichkeit

So wie der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge ist, sondern die schiere Zahl, muß, dieser inneren Logik folgend, alles zerstört werden, was menschlich ist, Kultur, Natur, Zusammenhalt, Liebe. An ihre Stelle treten Konsum, Technik, Atomisierung und Egoismus.

Die Massengesellschaft lebt in dem Paradoxon, zugleich amorphe Masse sein zu wollen und den Individualismus zu predigen. Freilich ist dies ein Etikettenschwindel, denn nicht das Individuum und sein Lebensanspruch stehen dabei im Mittelpunkt, sondern sein Ellenbogen, der aus dem äußeren Zwange entspringt, sich in einer ihm lebensfeindlich gewordenen Welt behaupten zu müssen. Die Massengesellschaft macht das in die Enge getriebene Individuum zum Raubtier.

In dem Geiste, daß der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, hetzt der Materialismus auf allen Seiten die Menschen gegeneinander, im Finanz-Kapitalismus den Zinsen hinterher, im Marxismus zwischen der Arbeit und dem produktiven Kapital, im Religionskrieg zwischen den Konfessionen, im Rasse-Krieg zwischen den verwurzelten und entwurzelten Menschen. Die Ursache allen Leides liegt dabei immer in der Seelenlosigkeit. Sie verweist die Leidenschaft der Menschen auf das Äußerliche. Dafür sind sie im schlimmsten Falle bereit, zu töten. In Wahrheit sind sie selbst innerlich tot.

Immer geht es um materielle Bedürfnisse. Sowohl Finanz-Kapitalismus als auch Marxismus leben von der Umverteilung, die einen durch Zinsen, die anderen durch Zwangswirtschaft und Enteignung. Sie appellieren an Habgier und Neid, an die niederen Instinkte. Ihre Götzen heißen Enthemmung und Opferkult. Sie nähren sich wechselseitig von dem Blut, das vom Altar des jeweils anderen trauft.

Gerne wird der Gladiatoren-Kampf darum religiös oder eben moralisch verbrämt. Eine süßliche Parole schmeckt der Masse besser, als die tiefe Wahrheit, die sie nicht versteht. Die auf Lügen und Manipulation gegründete „heilige“ Entrüstung gaukelt der Masse innere Lebendigkeit vor und verleiht ihr den Schein, zu fühlen. So ist die Entrüstung der Masse das, was der Seele die Liebe wäre. Die Entrüstung führt zur Zerstörung, die Liebe zum Leben.

Das Herz öffnen

Wie aber finden wir zur Liebe zurück? Nun, die Liebe liegt fern und nah zugleich. Weit gehen muß man zu ihr nicht. Der Weg über das Nebelmeer führt zum eigenen Herzen. Gelingt es uns, die hundertfachen Siegel zu lösen, die unser Herz verschlossen und uns dem Quell entfremdet haben, so gelangen wir wieder zu uns selbst und es schließt sich der Kreis.

Wer oder was hindert uns daran, diesen Weg zu gehen? In Wahrheit niemand!

Ja, unser Geldsystem zwingt uns die Teilnahme an seinem Wirtschaftsmodell auf. Wer Grund besitzt, muß Abgaben zahlen, wer Abgaben zahlen muß, braucht Geld. Welches Ausmaß diese Beteiligung am bösen Spiel aber hat, liegt in unserer Hand.

Wir können erkennen, welche Dinge in der Welt an die Bedingung der Knechtschaft geknüpft sind und, wo es geht, auf sie verzichten. Das Ergebnis wird nicht Mangel sein, sondern Freiheit und innerer Reichtum. Nicht am materiellen Genusse hängt das Glück des Menschen, sondern an der Erfüllung. Der Ort der menschlichen Erfüllung aber ist das Herz.

In der Gemeinschaft der Herzen liegt der Glanz des ewigen Lichtes, das allen Flitter überstrahlt. Ein liebevolles Lächeln schenkt größere und dauerhaftere Freude, als jeder Kinobesuch, der auch noch etwas kostet. Auf dem Sterbebett, wenn die Seele Bilanz zieht, gehen der Gedanke und das Sehnen nicht zurück an den Flachbildfernseher, sondern an die Momente im Leben, in denen der Mensch dem Menschen begegnete.

Laßt uns wieder einander begegnen, von Mensch zu Mensch, nicht in der Masse schwimmen, sondern in der Liebe neues Leben gründen, fernab der leeren Hülle jenes Irrweges, der alles und zuletzt sich selbst zerstört! Alles von Gott Gegebene in der Welt entsteht, indem eines zum anderen findet. Wenn sich die Blüte öffnet, eilt der Schmetterling herzu. Öffnen wir nur unser Herz! Das ist alles.

Christian Moser ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Gründungs- und Vorstandsmitglied der Anwälte für Aufklärung e.V..

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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