Enthüllendes im Rosamunde-Pilcher-Duktus? Biografie über Sebastian Kurz erhitzt die Gemüter

Am morgigen Mittwoch (11.9.) wird die erste offizielle und von der ÖVP autorisierte Biografie über den früheren und wahrscheinlich auch künftigen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz erscheinen. Der Vorabdruck sorgt jetzt schon für Diskussionen. Der Autorin wird vorgeworfen, den bürgerlich-konservativen Hoffnungsträger im Stile eines „Kitschromans“ zu beschreiben.
Titelbild
Sebastian Kurz im Oktober 2017 in Belgien.Foto: Dan Kitwood/Getty Images
Von 10. September 2019

„Die Augen der internationalen Medien waren immer wieder auf den jungen, sympathischen, durchsetzungsstarken Mann aus Österreich gerichtet. Man nannte ihn in den Medien ‚Wunderwuzzi‘ oder ‚Polit-Popstar‘. Doch das interessierte ihn nicht sonderlich. Er sah sich mehr als Macher einer neuen Form der Politik in Österreich.“

Eine Schilderung dieser Art über die bisherige politische Karriere des ehemaligen und möglicherweise bald erneuten österreichischen Bundeskanzlers wird man nicht nur in diesen Tagen mit hoher Wahrscheinlichkeit eher nicht auf dem Internetportal „Kontrast“ des SPÖ-Parlamentsklubs finden. Auch überparteiliche Leitmedien hätten möglicherweise zumindest den Begriff „sympathisch“ in der Beschreibung weggelassen – denn objektiver Journalismus zeichnet sich üblicherweise eher dadurch aus, die Beantwortung der Frage, ob ihm Kurz oder welcher andere Politiker auch immer sympathisch ist, dem Leser selbst zu überlassen.

„Leadership mehr denn je gefragt“

Es gibt auch noch weitere Passagen im Vorabdruck der am morgigen Mittwoch (11.9.) erscheinenden „offiziellen Biografie“ von Sebastian Kurz, die den Eindruck erwecken, Autorin Judith Grohmann würde das journalistische Gebot, zum Gegenstand ihres Werkes eine gewisse Distanz zu wahren, für überbewertet halten. So beispielsweise auch, wo es heißt:

Nach den Neuwahlen am 29. September 2019 wird Leadership in Österreich mehr denn je gefragt sein. Wie Sebastian Kurz sich als Politiker diesmal halten wird, bleibt spannend. Doch offenbar besitzt der dann 33-Jährige Durchhaltevermögen, und er überzeugt auch nach den härtesten Prüfungen, die ihm seine Regierungspartner sowie die Oppositionsparteien durchlaufen lassen.“

Grohmann, die sich selbst auf ihrem Facebook-Account als „Urban girl. Journalist. Writer. Fan of London, Paris & SF“ kurzcharakterisiert, stellt sich selbst als die „die jüngste Investigativ-Journalistin und Schlussredakteurin Österreichs“ dar, die bereits 1985 im Alter von 17 Jahren als „Enthüllungsjournalistin“ und potenzielle Chefin vom Dienst beim Nachrichtenmagazin vorstellig geworden sei. Das Magazin selbst relativiert diese Angaben.

#50ShadesOfKurz

Auch für Publikationen wie „Die Presse“, den „Standard“ und den „Münchner Merkur“ hatte Grohmann eigenen Angaben zufolge seit 1995 in teilweise leitender Funktion gearbeitet. „Presse“-Chefredakteur Rainer Novak erklärte in diesem Zusammenhang auf Twitter, Grohmann gebe sich als ehemalige Ressortleiterin des Wirtschaftsressorts seiner Zeitung aus, habe aber lediglich für das wesentlich kleinere Ressort „Karriere“ geschrieben.

Nachweislich hat sie seit 2006 mehrere Sachbücher veröffentlicht, unter anderem über Spezialeinheiten der Polizei im Kampf gegen den Terror, das erfolgreiche Geschäftsmodell des Benediktinerstiftes Heiligenkreuz oder das kleine österreichische Wirtschaftswunder der 2000er Jahre.

Dass sie als offizielle Biografin den neuen Hoffnungsträger der ÖVP über längere Zeit hinweg begleiten und einen tiefen Einblick in seine Familiengeschichte gewinnen könnte, dürfte zweifellos auch in dem einen oder anderen Kollegen einen gewissen Neid hervorgerufen haben.

Auf Twitter hat sich jedenfalls mittlerweile eine Shitstorm-Brigade gebildet, die unter dem Hashtag #50ShadesOfKurz den Schreibstil parodiert, der sich zumindest durch die im Vorabdruck enthaltenen Passagen zieht. Von „Kitschroman“ ist die Rede, von einem „schwülstigen“ Duktus – es scheint eine tiefe Ironie in dem Umstand zu liegen, dass vor wenigen Wochen bereits in Deutschland eine ähnliche, kleiner dimensionierte Debatte im rechtskonservativen Spektrum anhub, als dort im Zusammenhang mit dem „Kyffhäuser-Treffen“ des nationalen AfD-Flügels Klagen ob eines angeblichen „Personenkults“ um dessen Aushängeschild Björn Höcke laut wurden, der sich in ähnlicher Weise äußere.

Autorin ignoriert Shitstorm

Bereits damals hatte dessen selbsterklärtes „jüdisches Fangirl“ Mirjam Lübke selbstironisch einen Facebook-Beitrag unter dem Titel „50 Shades of Erfurt“ publiziert. Inwieweit der nunmehrige, auf Kurz gemünzte Hashtag davon „inspiriert“ ist, bleibt jedoch ungewiss.

„Spiegel“-Redakteur Hasnain Kazim meint schon anhand des Vorabdrucks „eine Biografie, wie sie sich in Ton und Stil nur Autokraten wünschen, die Unterwürfigkeit und Botmäßigkeit erwarten“ erkennen zu können.

Inwieweit sich auch redaktionelle Beiträge des „Spiegels“ oder anderer deutscher Leitmedien über Barack Obama, Angela Merkel oder etwa auch Greta Thunberg in der Vergangenheit in Ton und Stil von Grohmanns Kurz-Biografie unterschieden haben, bleibt unerwähnt.

Die Autorin selbst, die ihren Twitter-Account auf „geschützt“ gestellt und offenbar mehrere Anfragen von Kollegen, auch Kazims, bislang unbeantwortet gelassen hat, scheint die Aufregung allerdings an sich abperlen zu lassen. Sie und der Münchner FinanzBuch Verlag können sich vermutlich auf einen regen Absatz der Biografie freuen, die dreieinhalb Wochen vor der Nationalratswahl erscheint und jedenfalls passgenau auf die Bedürfnisse der Anhängerschaft des Ex-Kanzlers und ÖVP-Spitzenkandidaten abgestimmt zu sein scheint.

„Baby auf der Überholspur“

Dass bereits im ersten Kapitel der Biografie in einer sehr ausführlichen und empathischen Weise die Liebesgeschichte der Eltern des späteren Kanzlers beschrieben wird, mag der eine oder andere Twitter-Kritiker als unpassend empfinden – das eigentliche Zielpublikum, nämlich heutige Befürworter der Politik von Sebastian Kurz und das lange Zeit infolge notorischer Erfolglosigkeit verzagte Kernmilieu der Österreichischen Volkspartei, dürfte gerade an einer solchen menschlichen Note Gefallen finden.

Auch, dass Grohmann die Geburt des späteren Kanzlers gleichsam als einen Höhepunkt des Jahres 1986 darstellt und von einem „Baby auf der Überholspur“ schreibt, wird verständlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass 1986 das bis dato letzte Jahr war, in dem es die einstmalige Großpartei ÖVP bei einer Nationalratswahl auf mehr als 40 Prozent gebracht hatte – sieht man von 2002 ab, wo Kanzler Wolfgang Schüssel bei einem vorgezogenen Wahlgang von einer für ihn einmalig günstigen politischen Großwetterlage (zerstrittene FPÖ, Steuererhöhungen der deutschen Schröder-Regierung) profitiert hatte.

Was in all dem Twitter-Shitstorm bis dato kaum problematisiert wurde, ist der 11. September als Veröffentlichungstermin – und damit ein Datum, das die bislang schlimmste Katastrophe des 21. Jahrhunderts versinnbildlicht. Ein schlechtes Omen scheint aber auch dies für Kurz nicht darzustellen: Obwohl die ÖVP zuletzt etwas an Rückhalt in der Wählergunst eingebüßt hat, kann sie am 29. September mit Zugewinnen rechnen, und vor allem damit, dass an einem weiteren Anlauf für einen Bundeskanzler Sebastian Kurz kaum ein Weg vorbeiführen dürfte.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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