„Parteipolitik ohne Mandat“: Aktionäre wollen Siemens-Chef Kaeser nach AfD-Kritik Zurückhaltung verordnen

Siemens-Chef Joe Kaeser hatte im Vorjahr AfD-Fraktionschefin Alice Weidel auf Twitter angegriffen, nachdem diese im Bundestag abfällig über islamische Einwanderer gesprochen hatte. Einige Aktionäre finden, damit habe er sein Mandat überschritten.
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Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser soll sich nach dem Willen von Aktionären politisch zurückhaltender äußern.Foto: Tobias Hase/dpa
Von 18. Januar 2019

Die jüngsten Äußerungen des Handballstars Stefan Kretzschmar, wonach es mit einem Risiko verbunden wäre, als Sportler öffentlich eine nicht mit dem Mainstream kompatible Meinung zu äußern, haben zum Teil heftige Reaktionen ausgelöst. Möglicherweise hätte er diese vermeiden können, hätte er seine Aussage positiver formuliert – etwa, indem er unterstrichen hätte, wie positiv sich gesellschaftlich erwünschte Äußerungen auf öffentliches Ansehen und medialen Rückhalt auswirken können.

Ähnlich wie die Volksrepublik China ein Sozialkredit-System kennt, das betont loyalen Bürgern bestimmte Vorteile bei Behördenanfragen ermöglicht, scheint im heutigen Deutschland ein informelles Scoring-System auf der Basis der „Moral“ zu existieren, das unter anderem Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Annehmlichkeiten wie positive Medienberichterstattung oder das Unterbleiben allzu harter Kritik sichern kann.

Siemens-Chef Joe Kaeser scheint dessen Mechanismen erkannt zu haben. Bekenntnisse zu offenen Grenzen für „Refugees“ und zur „menschengemachten Erderwärmung“, Kritik an Donald Trump (wenn auch erst nach anfänglichem Lob für dessen Steuerreform), am Brexit und am „Kasinokapitalismus“ kommen immer gut, gelten aber eher als Standardprogramm.

Eine fortgeschrittene Stufe der Tugendhaftigkeit bringen erst „Haltung zeigen“ gegen rechts und Kritik an der AfD – idealerweise garniert mit einem zünftigen Nazi-Vergleich. Dafür hat man als CEO eines DAX-Konzerns offenbar auch das Flip-Floppen hinsichtlich eines geplanten Besuchs in Saudi-Arabien gut: Nachdem Kaeser noch im Oktober erklärt hatte, nach dem Mord am islamistischen Regimekritiker Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul eine geplante Reise in die Golfmonarchie absagen zu wollen, reiste er einen Monat später doch noch dorthin. Die Kritik darob blieb in den empörungsfreudigen deutschen Leitmedien dennoch eher lauwarm.

Aktionäre aus Kiel und Ratingen wollen Entlastung verweigern

Im Rahmen der anstehenden Siemens-Hauptversammlung könnte sich Kaeser energischeren Angriffen ausgesetzt sehen. Wie die „Welt“ berichtet, sind zwei Kleinaktionäre vom politischen Virtue Signalling des Siemens-Vorstandschefs weniger begeistert. Sie wollen nun erreichen, dass die Aktionäre Kaeser Zurückhaltung hinsichtlich politischer Wortspenden auferlegen.

Der Anlass für die nunmehrige Kontroverse datiert schon auf Mai zurück. Die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, hatte im Bundestag eine emotionale Rede gegen die Einwanderung aus islamischen Ländern gehalten und darin von „Burkas“, „Kopftuchmädchen“, „alimentierten Messermännern“ und „sonstigen Taugenichtsen“ gesprochen, die „unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern“ würden.

Kaeser nahm die angriffslustige Rede zum Anlass, um über Twitter darauf zu antworten:

„Lieber ‚Kopftuch-Mädel‘ als ‚Bund Deutscher Mädel‘. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt.“

Ein Kleinaktionär und ein politisch aktives AfD-Mitglied aus Ratingen haben nun, so berichtet die „Welt“, Gegenanträge zur Hauptversammlung am 30. Januar eingereicht, in denen sie von den Aktionären die Nicht-Entlastung Kaesers fordern. Der Siemens-Chef habe sich „in die politische Diskussion zu Zuwanderungsfragen eingemischt […] und dabei einen inakzeptablen NS-Vergleich mit einer Politikerin gezogen“. Besonders pikant daran fanden bereits damals Kritiker in den sozialen Medien, dass die NS-Anspielung zu Lasten einer Politikerin ging, die als Homosexuelle selbst einer Gruppe angehört, die blutiger Verfolgung durch den Nationalsozialismus ausgesetzt war.

Kaeser über Zurückhaltung anderer Konzernchefs enttäuscht

Mit seinen Äußerungen, so heißt es in der Begründung weiter, gefährde der Vorstand „das Vertrauensverhältnis zu seinen industriellen und privaten Partnern sowie gewählten politischen Repräsentanten“ und betreibe „ohne Mandat der Aktionäre Parteipolitik auf dem Rücken des Unternehmens“.

Auch der Ratinger AfD-Politiker Bernd Ulrich spricht von „persönlich motivierten, politischen Verlautbarungen“, die „keinen Bezug zu irgendeiner Geschäftstätigkeit von Siemens“ gehabt hätten und auch nicht „in irgendeiner Weise von Nutzen für Mitarbeiter und Aktionäre“ gewesen wären.

Kaeser ergänzte später, dass seine Aussage nicht auf die AfD insgesamt gemünzt gewesen wäre, sondern nur auf Äußerungen, die „Rassismus und Intoleranz“ zum Ausdruck gebracht hätten. Er sehe es auch als die Aufgabe eines deutschen Konzernchefs, auf politische Fehlentwicklungen und „Gefahren von Hetze und Populismus“ hinzuweisen. Dass andere DAX-Konzernchefs bislang seinem Beispiel noch nicht gefolgt wären, quittierte er mit Bedauern.

Eine Mehrheit für den Gegenantrag wird sich voraussichtlich nicht finden. Ähnliche Kritik an den politischen Statements Kaesers aus den Reihen der Großaktionäre oder des Aufsichtsrats war bislang nicht zu vernehmen und es ist auch nun, mehr als ein halbes Jahr nach dem Tweet, nicht mehr ernsthaft damit zu rechnen.

Auch Verein der Belegschaftsaktionäre stellt Gegenantrag

Ein Sprecher der Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sieht die Grenzen der politischen Redefreiheit für Vorstandsmitglieder erst dort potenziell berührt, wo Äußerungen geschäftsschädigend seien. Dann sei es am Aufsichtsrat, einzugreifen. Dies gelte jedoch nicht, wenn sich „ein Vorstandschef im Sinne der Unternehmenswerte äußere“. Den Nationalsozialismus, von dem Siemens einst durch die billige Arbeitskraft von Zwangsarbeitern und Aufträge aus der Kriegsindustrie profitierte, durch dessen Vergleich mit einer nicht goutierten Politikerin zu trivialisieren, scheint diesen demnach nicht zu widersprechen.

Der Verein der Belegschaftsaktionäre will ebenfalls erreichen, dass Kaeser die Entlastung verweigert wird. Ihm geht es jedoch nicht um politische Statements, sondern um überzogene Renditeerwartungen, die der Vorstandschef ihrer Ansicht nach geweckt habe. Außerdem kritisierten Belegschaftsvertreter, dass der Vorstand immer noch an der geplanten Funktion mit dem Eisenbahntechnik-Riesen Alstom festhalte, obwohl erhebliche kartellrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben bestehen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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