Wahl in Argentinien: Milei will Land vom Kirchnerismus befreien – Umfragen sehen ihn vorn

In Argentinien werden der Präsident und ein Teil der Parlamentssitze neu gewählt. Umfragen sehen überraschend Javier Milei in Front. Allerdings wird sich der „Anarchokapitalist“ wahrscheinlich einer Stichwahl stellen müssen.
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Blick auf eine Plakatwand mit dem argentinischen Abgeordneten und Präsidentschaftskandidaten der Partei La Libertad Avanza, Javier Milei (l.), und dem Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters von Buenos Aires, dem Abgeordneten Ramiro Marra, in Buenos Aires am 20. Oktober 2023.Foto: Foto von Luis Robayo/AFP via Getty Images
Von 22. Oktober 2023

Argentinien wählt am Sonntag, 22.10., seinen neuen Präsidenten. Zudem stehen 130 von 257 Sitzen im Unterhaus und 24 von 72 Senatssitzen zur Wahl.

Das Land des amtierenden Papstes und des amtierenden Fußballweltmeisters befindet sich wirtschaftlich in einer prekären Lage. Die Inflation hat ein Ausmaß von 140 Prozent erreicht. Bürger kommen trotz Vollzeitarbeit kaum über die Runden. In dieser Situation setzen viele ihre Hoffnungen auf den Überraschungssieger der Vorwahlen – den selbsternannten „Anarchokapitalisten“ Javier Milei.

Milei konnte Stimmenanteil seit August weiter ausbauen

Bereits im August hatte Milei bei den Vorwahlen mit starken Ergebnissen für eine Überraschung gesorgt. Diese stellen in Argentinien eine Besonderheit dar – ihr Sinn ist es, das Kandidatenfeld auf Bewerber mit reellen Siegeschancen zu reduzieren. Bei den Hauptwahlen dürfen nur noch Kandidaten antreten, die bei den Vorwahlen mindestens 1,5 Prozent der Stimmen erreicht haben.

Der Kandidat der Partei La Libertad Avanza lag damals mit 32 Prozent der Stimmen vor allen anderen Bewerbern. Nun liegt er in aktuellen Umfragen bei etwa 38 Prozent. Es gilt allerdings als wenig wahrscheinlich, dass er bereits aus dem ersten Wahlgang als Präsident hervorgeht. Dafür müsste er mindestens 45 Prozent erhalten oder mit mehr als 40 Prozent um mindestens zehn Punkte vor dem Zweitplatzierten liegen.

Eine mögliche Stichwahl würde am 19. November stattfinden. Der Präsident wird für die Dauer von fünf Jahren gewählt. In Argentinien besteht Wahlpflicht.

Kirchner-Clan zieht weiterhin die Fäden

Die Verfassung würde dem derzeit amtierenden Präsidenten Alberto Fernández eine erneute Kandidatur erlauben. Dieser hatte jedoch von sich aus darauf verzichtet. Zuvor soll ihm der im Lager der linkspopulistischen Peronisten dominante Kirchner-Clan diese Entscheidung nachdrücklich nahegelegt haben.

Obwohl die frühere Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wegen Korruption zu einer nicht rechtskräftigen Haftstrafe verurteilt wurde, zieht sie in ihrer Partei die Fäden. Die Witwe des Altpräsidenten Néstor Kirchner selbst darf wegen einer lebenslangen Ämtersperre nicht mehr antreten. Stattdessen schicken die Peronisten nun Wirtschaftsminister Sergio Massa ins Rennen.

Dieser kann zwar für sich verbuchen, im Vergleich zu vielen anderen peronistischen Spitzenpolitikern keinem ausgeprägten Korruptionsverdacht ausgesetzt zu sein. Er tritt jedoch mit der Bürde an, für die Wirtschaft in einem Land verantwortlich zu sein, in dem mehr als 40 Prozent der Einwohner in Armut leben. Vor Corona waren es noch 30 Prozent gewesen.

Dennoch könnte es Massa in die Stichwahl schaffen: Er liegt derzeit bei 32 Prozent und scheint das linke Lager zu binden. Bei den Vorwahlen hatte er 25 Prozent erreicht. Demgegenüber verlor die mit 27 Prozent damals Zweitplatzierte Patricia Bullrich an Boden. Die Kandidatin der Mitte-rechts-Allianz Juntos por el Cambio (Kräfte für den Wechsel) hatte einen durchwachsenen Auftritt in einer TV-Debatte und kann nur noch mit knapp 24 Prozent rechnen.

Milei als künftiges Schreckgespenst der woken Weltgemeinde?

Milei will unterdessen an die Erfolge von Donald Trump in den USA 2016 und von Jair Bolsonaro in Brasilien im Jahr 2018 anknüpfen. Weltanschaulich weist er mit beiden einige Gemeinsamkeiten auf. Vor allem aber gilt er vielen Menschen im Land als Hoffnungsträger in Anbetracht der schweren wirtschaftlichen Probleme.

Der Ökonom will Argentinien durch eine wirtschaftliche Radikalkur wieder auf die Beine bringen. Er plant, der Korruption im Staat die Grundlage zu entziehen, indem er dessen Macht beschränkt. Massive Ausgabenkürzungen, Privatisierungen und Dezentralisierungen sollen den Weg dorthin bahnen.

Die Menschen sollen nach dem Konzept von Milei wieder in Wohlstand kommen, indem Arbeitsverträge leichter geschlossen und wieder gelöst werden können. Gleichzeitig soll den Arbeitenden mehr von ihrem Verdienst im Portemonnaie bleiben – und den Wert des Geldes will Milei steigern, indem er die Zentralbank abschafft. Er strebt den US-Dollar als Leitwährung in Argentinien an. Dieses Ziel setzt voraus, dass das Land seine Handelsbilanz verbessert und Devisenreserven aufbaut.

Gesellschaftspolitisch dürfte sich Milei auch auf internationaler Ebene zu einem Schreckgespenst für das woke Lager entwickeln. Er ist Abtreibungsgegner, will Sexualkunde und LGBTQ-Propaganda aus den Schulen verbannen und hält den „menschengemachten Klimawandel“ für eine sozialistische Agenda.

Milei steht zudem für ein liberales Waffenrecht und ein härteres Durchgreifen der Sicherheitskräfte gegen die Kriminalität. Kritiker werfen dem „Anarchokapitalisten“ vor, die Militärdiktatur der Jahre 1976 bis 1983 zu verharmlosen. Sein „Running Mate“ ist Victoria Villaruel, die Tochter eines Offiziers aus jener Zeit, der sich seines damaligen „Kampfes gegen die Subversion“ rühmte. Ob dieser Vorwurf Milei am Ende schaden wird, ist ungewiss.

Die meisten Wähler interessieren sich stärker für die aktuellen Probleme und Missstände im Land als für die Bewertung der Vergangenheit. Dies dürfte die größte Chance für den libertären Kandidaten darstellen.

Javier Milei will Präsident von Argentinien werden. Hier begrüßt er seine Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung in Buenos Aires. Der libertäre Populist, der sich als «Anarchokapitalist» bezeichnet, geht als Favorit in die Abstimmung am kommenden Sonntag.

Javier Milei will Präsident von Argentinien werden. Hier begrüßt er seine Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung in Buenos Aires. Der libertäre Populist, der sich als „Anarchokapitalist“ bezeichnet, geht als Favorit in die Abstimmung am kommenden Sonntag. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa



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