EU will weniger Verpackungsmüll – Lobbyisten kämpfen dagegen

Zwischen Zuckertütchen, Teebeuteln und Plastiktaschen: Der SPD-Abgeordnete Burkhardt spricht von „massiven Lobbykampagnen“ im Vorfeld der Diskussion. Das „meistdiskutierte Papier der letzten Monate“ enthält doppelt so viele Rechtsvorschriften wie das vorherige.
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Weniger Verpackungsmüll will die EU mit einer Neuregelung erreichenFoto: Martin Schutt/dpa
Von 24. November 2023

Die EU-Kommission hat die Verpackungen ins Visier genommen und Verordnungen entwickelt, um den Abfall zu reduzieren. Das hat die Verpackungslobby auf den Plan gerufen, die sich gegen solche Pläne wehrt. Die Europäische Kommission hat nun ein überarbeitetes Regelwerk verabschiedet, das Befürworter des Kampfes gegen den Verpackungswahn aber als verwässert kritisieren.

„Bei Verpackungsindustrie knallen heute die Korken“

Die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt warb bei ihren Polit-Kollegen für die Initiative der Kommission „Wir verbrauchen viel zu viel Verpackungsmüll“, zitiert das Magazin „Focus“ die Sozialdemokratin.

Offenbar gelang es aber nicht, sich ausreichend Gehör zu verschaffen. Das Ergebnis der Abstimmung zur Überarbeitung der Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle kommentierte sie mit den Worten: „Bei der Wegwerfverpackungsindustrie werden heute die Korken knallen.“ Die Lobbyisten hätten Druck auf die Abgeordneten ausgeübt, sodass eine Mehrheit für die Streichung von Einwegverpackungsverboten und für zahlreiche Ausnahmen von der Pflicht gestimmt, Mehrwegoptionen anzubieten.

In Europa gibt es kaum etwas, das nicht eingeschweißt oder -getütet wird. 40 Prozent der in der EU benutzten Kunststoffe und die Hälfte allen Papiers dienen dem Zweck, etwas zu verpacken. Die Deutschen sind Großverbraucher von Verpackungen, schreibt „Focus“. Demnach falle pro Kopf und Jahr hierzulande etwa 226 Kilogramm Verpackungsmüll an. Der EU-Durchschnitt ist dagegen nur 189 Kilogramm.

Fünf Millionen Iren verbrauchen 200 Millionen Pappbecher

Ein anderes Beispiel nennt der irische Europaabgeordnete Seán Kelly aus seiner Heimat. Auf der grünen Insel leben fünf Millionen Menschen, sagt der Politiker der Europäischen Volkspartei (EVP). Pro Jahr verbrauchen sie etwa 200 Millionen Einweg-Kaffeebecher, die sie jeweils etwa 13 Minuten lang benutzen und dann in den Mülleimer werfen.

„Diese Verpackungen sind billig. Aber der Preis für unsere Zukunft ist tatsächlich sehr, sehr hoch“, redete die Grüne Grace O’Sullivan, ebenfalls aus Irland, den Parlamentariern ins Gewissen. Und appellierte: „Wir müssen unsere Wegwerfgesellschaft bremsen.“

Dazu gehören für sie zum Beispiel auch Shampoo-Portionsbeutelchen für die Dusche im Hotel. Die standen ebenso auf einer „Abschussliste“ wie die kleinen Kaffeesahne-Näpfchen, Plastik-Umhüllungen für Koffer, dünne Leichtplastiktüten für den Obst- und Gemüseeinkauf, Mayonnaise- und Ketchupbeutelchen sowie eingeschweißte Salatgurken. Auch Teebeutel und Kaffeekapseln gerieten ins Visier.

Erbitterter Kampf um Verbote

So entwickelte sich eine erbitterte Auseinandersetzung im Kampf um die Verpackungsverbote: Für den finnischen liberalen Europaabgeordneten Nils Torvalds war die Vorlage der Europäischen Kommission das „in den letzten Monaten meistdiskutierte Papier“ im Parlament, die Abstimmung darüber nannte er „sehr schwierig“.

Die SPD-Abgeordnete Burkhardt berichtete: „Noch nie wurde ich von so vielen Lobbyanfragen überschüttet.“ Manche davon hätten „die Grenze des Legitimen überschritten“. Die „massiven Lobbykampagnen“ hätten „den politischen Prozess überwältigt“, fasste die Sozialdemokratin nach der Abstimmung zusammen.

Der deutsche EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) hatte sich besonders auf den Kampf gegen ein Verbot von Papiertütchen für Zucker, Süßstoff, Salz und Pfeffer fokussiert. In den Cafeterien des EU-Parlaments liegen sie zuhauf aus. „Wir können doch nicht ernsthaft der Allgemeinheit etwas verbieten, was wir selber nutzen!“, argumentierte er. Zu einer Zeit, da die EU ganz andere Probleme habe, beschäftige sie sich ausgerechnet mit Papiertütchen, merkte der Unionspolitiker an.

So stehen ganze Geschäftsmodelle und viel Geld auf dem Spiel. 2018 bereits setzte die europäische Verpackungsindustrie 355 Milliarden Euro um – mit steigender Tendenz. Laut EU-Statistik wuchs der anfallende Umhüllungsmüll zwischen 2009 und 2020 um ein Fünftel.

Koexistenz zwischen Ein- und Mehrweg

Aus Sicht des zuständigen EU-Kommissars Virginijus Sinkevičius aus Litauen ist es ein Trugschluss, „dass wir uns aus diesem Müllhaufen herausrecyceln können“. Verbote müssten her, betonte er, mehr Recycling aber natürlich auch. Bis 2030, so der Plan der Kommission, sollen alle noch erlaubten Verpackungen wiederverwendbar oder „auf wirtschaftlich tragfähige Weise recycelbar“ sein.

Der Litauer ahnte aber schon vor der Abstimmung im Parlament, dass Maximalvorstellungen nicht durchsetzbar sein würden: „Einweg wird jetzt nicht ganz verschwinden.“ Vielmehr werde es zu einer „Koexistenz zwischen Einwegverpackungen und Mehrwegverpackungen“ kommen.

Die Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU) sieht in der Positionierung des Parlaments „einen ersten wichtigen Schritt zum Ausbau von Rücknahme- und Pfandsystemen in allen europäischen Mitgliedstaaten“. Wie holprig solche Versuche vonstattengehen können, zeigt ein Blick nach Rumänien: Eine Feinkostkette erhebt dort inzwischen zwar Pfand auf Bierflaschen, erstattet dieses aber nur gegen Vorlage des Einkaufsbons, der beweist, dass die Flaschen aus einer Filiale der Kette stammen.

Es ging auch darum, ob die Kommission mit eigentlich guten Absichten eventuell übers Ziel hinausschieße. „Der Text zu den Verpackungen ist einfach Wahnsinn“, ereiferte sich die Italienerin Silvia Sardone, für die Lega Mitglied der Parlamentsfraktion „Identität und Demokratie“, der auch die AfD angehört. „Das wird ganze Länder in die Krise stürzen“, prognostizierte sie. Zum Thema Wiederverwendbarkeitsgebot gab sie zu bedenken: „Dann müssen die leeren Verpackungen natürlich hin- und hergefahren werden. Die müssen gewaschen und geschrubbt werden. Das braucht Wasser und Energie.“

Keine Verbote für Tomaten- und Gurkenverpackungen

Im Dienste der Fast-Food-Industrie versuchten Lobbyisten, einen neuen Tellerzwang etwa für Hamburger-Restaurantketten noch abzuwenden – und nutzten dabei ähnliche Argumente. Denn beim Mahl vor Ort anfallende Papierberge seien allemal besser als der Energie- und Wasserverbrauch, der beim Abwasch anfiele.

Den Online-Lieferservice, der durch die Corona-Krise einen großen Schub erhielt, nahm sich die EU-Kommission ebenfalls vor. Denn was da so ins Haus gebracht wird, steckt oft in voluminösen Verpackungen, die zum großen Teil Luft enthalten.

Dieser Leeranteil soll 40 Prozent nicht überschreiten. Ein weiteres Verpackungsärgernis sind seit Langem übergroße und hartleibige Plastikschalen, in denen die Hersteller von Computer-Druckpatronen ihre Produkte verkaufen.

Hygiene- und Haltbarkeitsargumente können sie dafür wohl kaum anführen, Obst- und Gemüseproduzenten für ihre Erzeugnisse hingegen schon. Die CSU-Politikerin Angelika Niebler hielt nach der Abstimmung fest: „Wichtig ist außerdem, dass die Kommission keine weitergehenden Verbote für bestimmte Verpackungsformate wie für Tomaten und Gurken beschließen kann.“

Für eines ihrer Traditionsprodukte, den Camembert, machte die französische Regierung geltend, dass es unbedingt bei der Verpackung in einer Holzschachtel bleiben müsse, weil nur diese seinem Aroma gerecht werde. Die Behältnisse sind zurzeit offenbar nicht mit vertretbarem Aufwand recyclingfähig.

Auch um Wachshüllen für Käse sowie Schleifen mit Glöckchen um den Hals von Schokoladen-Osterhasen drehten sich die Auseinandersetzungen, die nach dem Jahreswechsel in Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten in die nächste Runde gehen sollen. Eine erstaunliche Erkenntnis förderten die teils bizarr anmutenden Debatten bereits zutage – jedenfalls wenn der EU-Abgeordnete Nils Torvalds recht hat: „Diese Kommission hat doppelt so viele Rechtsvorschriften vorgelegt wie die vorherige.“

Weg frei für Verhandlungen mit Regierungen

Damit es in die nächste Runde gehen kann, mussten die Abgeordneten den Bericht billigen, denn er bildet das Mandat des Parlaments für die Verhandlungen mit den EU-Regierungen. Der Weg dafür ist frei, denn 426 Ja-Stimmen standen 125 Nein-Stimmen und 74 Enthaltungen gegenüber.

Der Bericht des Parlaments sieht eine Reduzierung unnötiger Verpackungen um fünf Prozent bis 2030, zehn Prozent bis 2035 und 15 Prozent bis 2040 vor, schreibt „Euractiv“.

Demnach gibt es auch „spezifische Maßnahmen“ zur Reduzierung von Plastikverpackungen. Dazu gehört ein Verbot von sehr leichten Plastiktragetaschen, es sei denn, sie sind aus hygienischen Gründen oder zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen erforderlich. Strengere Beschränkungen für Einwegverpackungen wie Mini-Toilettenartikel in Hotels sind ebenfalls vorgesehen.

Maßnahmen zur Verringerung des Verpackungsmülls wie das Verbot unnötiger Verpackungen und Wiederverwendungsziele wurden jedoch gestrichen, sodass Umweltorganisationen die Erreichung der Abfallreduzierungsziele anzweifeln.

Weitere Zielvorgaben für Mehrwegverpackungen schwächte das Parlament ebenfalls ab. Eine neue Bestimmung erlaubt es den EU-Staaten, von den für 2030 festgelegten Vorgaben für die Wiederverwendung einer bestimmten Verpackungsart abzuweichen, wenn sie für dieses Material eine Recyclingquote von über 85 Prozent erreichen.

Abkehr von Überregulierung

Die SPD-Abgeordnete Delara Burkhardt nannte das Papier einen „Weihnachtswunschzettel der Verpackungslobby“. Auch die Umweltorganisation Zero Waste Europe kritisierte die Streichung des Verbots von Einwegtellern und -bechern in Restaurants sowie von Einwegverpackungen für Obst und Gemüse.

„Die Gewährung von Ausnahmen und Befreiungen bei der Abfallvermeidung und Mehrwegnutzung, um die Industrie zu beschwichtigen, ist inakzeptabel und bringt uns noch weiter vom eigentlichen Ziel dieser Überarbeitung weg: der Verringerung des Verpackungsmülls“, sagte Aline Maigret, Leiterin der Abteilung Politik bei der Nichtregierungsorganisation.

Konservative Abgeordnete reagierten wiederum positiv auf das Abstimmungsergebnis und einer Abkehr von der „Überregulierung und dem Mikromanagement“ des Gesetzentwurfs der Europäischen Kommission.

„Ein Verbot von Verpackungen allein wird die Abfallmenge nicht verringern“, sagte Massimiliano Salini, der für das Dossier zuständige Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP). „Wir brauchen innovative, vollständig erneuerbare und recycelte Verpackungsformen. Diese sollten nicht verboten werden“, meinte er.

Auch sei er froh, dass Verbote für bestimmte Verpackungsformen fallen gelassen wurden. „Unsere erste Sorge gilt der Lebensmittelsicherheit und der Gesundheit, wo Einwegverpackungen eine Schlüsselrolle in unserem täglichen Leben spielen. Beim Streben nach einer Mehrwegnutzung müssen wir uns über den Lebenszyklus von Verpackungen im Klaren sein. Man kann nicht verallgemeinern, Einweg kann unter bestimmten Umständen immer noch die umweltfreundlichste Lösung sein“, sagte Salini.

Plastikindustrie ist unzufrieden

Weitgehend zufriedene Gesichter gab es auch bei den Industrieverbänden. Die UNESDA, die den europäischen Softdrinksektor vertritt, würdigte die „positiven Bemühungen“ des Europäischen Parlaments zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft.

„Wir schätzen die Bemühungen der Abgeordneten sehr, die Kreislaufwirtschaft für Getränkeverpackungen zu fördern, indem sie das Recycling in geschlossenen Kreisläufen ermöglichen, die Einrichtung von Pfand- und Rücknahmesystemen (DRS) verbindlich festlegen und die Komplementarität von Mehrweg und Recycling sowie die Rolle von Nachfüllsystemen anerkennen“, sagte Nicholas Hodac, Generaldirektor der UNESDA.

Die Industrieverbände lobten auch, dass das Parlament einen größeren Schwerpunkt auf die Verbesserung der Müllsammlung legt, die eine Voraussetzung für ein besseres Recycling darstellt.

„Wir begrüßen die Verabschiedung eines verbindlichen Ziels für die Sammlung von Verpackungen – eine unabdingbare Voraussetzung für effektives Recycling“, sagte Annick Carpentier, Generaldirektorin der Alliance for Beverage Cartons and the Environment (ACE). „Insgesamt ist die ACE erfreut, dass die Definition von hochwertigem Recycling weiterhin mit der Qualität der recycelten Materialien und ihrem Potenzial, primäre Rohstoffe zu ersetzen, verbunden ist“, fügte sie hinzu.

Die Plastikindustrie war hingegen weniger zufrieden. Sie kritisierte „willkürliche Verbote und verwässerte Zielvorgaben“ für die Verwendung von recyceltem Material in neuen Produkten.

„Es ist bedauerlich, dass die Entscheidung des Umweltausschusses, die Zielvorgaben für den Anteil an recyceltem Material für berührungsempfindliche Verpackungen zu reduzieren, im Plenum nicht rückgängig gemacht wurde“, meinte Virginia Janssens, Geschäftsführerin des Handelsverbandes Plastics Europe. „Dies ist eine verpasste Gelegenheit, die Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle zu nutzen, um die Entwicklung des Marktes für recycelte Plastikverpackungen in Europa zu fördern“, ergänzte sie.

 

 

 



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