Geleaktes Gutachten: EU-Pläne zur Chatkontrolle verletzen Kerngehalt von Grundrechten

Ein geleaktes Gutachten des Juristischen Dienstes des EU-Rats bestätigt die Kritik an der geplanten Chatkontrolle. Die Rede ist von drohender Totalüberwachung.
Titelbild
Messenger Signal und WhatsApp: Die geplante EU-Verordnung zur Chatkontrolle verletzt nach Ansicht von Juristen des Rats den Kerngehalt von Grundrechten.Foto: Arne Dedert/dpa/Illustration/dpa
Von 9. Mai 2023

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Der Juristische Dienst des Rats der EU hat die geplante EU-Verordnung, die eine umfassende Kontrolle privater Kommunikation ermöglichen würde, scharf kritisiert. In einem internen Gutachten, das via Leak an Medien ging, war die Rede von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Verordnung. Die Pläne zur Chatkontrolle würden „den Kerngehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens“ verletzten, heißt es darin. Dies würde der Europäische Gerichtshof (EuGH) nicht dulden.

Deutschland gehört noch zu den kritischen Staaten

Die schwedische Ratspräsidentschaft sowie zehn Mitgliedstaaten wollen den Verordnungsentwurf in seiner jetzigen Form unterstützen. Deutschland gehört – insbesondere infolge von Bedenken aus der FDP – noch zu den kritischen Staaten.

Die Verordnung verfolgt auf den ersten Blick auch einen unverfänglichen Zweck – nämlich die Unterbindung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger, von Grooming oder von Kinderpornografie. Bei genauerem Hinsehen könnte der Entwurf Kritikern zufolge eine Büchse der Pandora öffnen: nämlich jene der anlasslosen und verpflichtenden Überwachung sowie des Scannens privater Chats durch Internetdienste.

Wie der „Guardian“ erläutert, könnte die in Rede stehende Verordnung Anbieter verschlüsselter Dienste dazu zwingen, das Verhalten ihrer Nutzer zu durchleuchten. Entscheidend wäre dabei die Verpflichtung zur Suche nach bestimmten „Erkennungsmerkmalen“. Sobald ein Verdacht auftaucht, dass Dienste wie WhatsApp, Snapchat oder Signal zur Verbreitung schädlichen Materials genutzt werden, könnten sogenannte Erkennungsanordnungen ergehen.

Kerngehalt des Grundrechts auf Privatsphäre verletzt

Sicherheitsbehörden würden diese an die Anbieter richten. Diese wären daraufhin verpflichtet, ihren gesamten Bestand an Nachrichten, Fotos oder Videos auf das Vorliegen dieser Merkmale zu untersuchen. Dies würde nicht nur die Gefahr eines Massenexodus von Dienstanbietern aus Europa schaffen, die diesen Aufwand nicht betreiben wollen oder können.

Vor allem drohe, was nun auch ein Gutachten des Juristischen Dienstes des EU-Rats betont, eine nicht mehr verhältnismäßige Beeinträchtigung der Vertraulichkeit privater Kommunikation. Die Juristen haben in der vertraulichen Stellungnahme vom 26. April Zweifel daran geäußert, dass eine solche Verordnung vor dem EuGH Bestand haben könnte. Durch ein Leak ist die Einschätzung an die „Agence Europe“ gelangt.

Die mit dem Vorstoß verbundene verdachtsunabhängige Chatkontrolle würde, so die Berater, „den Kerngehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens“ verletzen. Die Rechtsprechung des EuGH habe eine dermaßen tief und verdachtsunabhängig in die Grundrechte einschneidende Maßnahme bis dato nicht gebilligt.

EuGH stellt bislang hohe Ansprüche an Verhältnismäßigkeit

Das Gutachten, so analysiert „heise.de“, nimmt vor allem Bezug auf die gefestigte Rechtsprechung des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung. Eine allgemeine und unterschiedslose automatisierte Analyse von Verkehrs- und Standortdaten stelle demnach einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte dar.

Sie unterliege daher einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und müsse „auf das unbedingt erforderliche Maß“ beschränkt bleiben. Dies sei nur dann der Fall, wenn ein Mitgliedstaat „nachweislich einer tatsächlichen und gegenwärtigen oder vorhersehbaren schwerwiegenden Bedrohung der nationalen Sicherheit“ ausgesetzt sei. Nur dann sei entsprechend die Durchsuchung von Metadaten einer Kommunikation statthaft.

Schrankenlose Chatkontrolle hätte 24/7-Überwachung jedweder Kommunikation zur Folge

Die Straftat des Kindesmissbrauchs sei von diesem Blickwinkel aus nicht mit der akuten Bedrohung eines Gemeinwesens durch Terrorismus zu vergleichen. Gleichwohl würde die Verordnung eine noch weitreichendere Durchsuchung noch sensiblerer Kommunikationsinhalte ermöglichen.

Dass der EuGH dies als verhältnismäßig betrachten würde, sei unwahrscheinlich. Zudem sei eine Erweiterung der Erkennungsanordnungen auch auf andere Anbieter zu erwarten. Dies würde am Ende „de facto zu einer permanenten Überwachung der gesamten zwischenmenschlichen Kommunikation“ führen.

Die Folge wäre ein allgemeiner Zugriff auf persönliche Nachrichten von Bürgern, die nicht im Entferntesten im Verdacht des Missbrauchs oder Groomings von Kindern stünden. Das Recht auf Vertraulichkeit der Kommunikation könnte dadurch „unwirksam und ausgehöhlt“ werden. Es sei zumindest eine Einschränkung von Erkennungsanordnungen auf Personen mit hinreichendem Verdacht auf Mitwirkung an einer Missbrauchshandlung erforderlich.

Das Gutachten nimmt zudem Anstoß an der vorgesehenen Pflicht zur Altersprüfung für Messenger- und Hosting-Dienste sowie App-Stores. Diese würde entweder eine massenhafte Erstellung von Nutzerprofilen, biometrische Analysen oder digitale Systeme zur Identifizierung oder Zertifizierung voraussetzen.

Abgeordneter fordert Ende „dystopischer“ Pläne aus Brüssel

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) forderte ein Ende der „dystopischen“ Pläne aus Brüssel. Auch Deutschland solle sich zu einem klaren Nein zum Verordnungsentwurf durchringen. Zwar hatte die Bundesregierung sich jüngst in einer Stellungnahme gegen eine Chatkontrolle mithilfe von sogenanntem Client-Side-Scanning (CSS) ausgesprochen.

Die von Bundesministerin Nancy Faeser geforderte Überwachung privater Kommunikation sei jedoch noch nicht vom Tisch. Diese beziehe sich auf serverseitiges Scannen von Chats und persönlichen Cloud-Speichern.

Breyer gibt zu bedenken, dass eine Verordnung, die vor dem EuGH keinen Bestand haben werde, auch keine Kinder vor Missbrauch schützen könne. Stattdessen seien Hoster und Strafverfolgungsbehörden zu verpflichten, gemeldetes tatbestandsmäßiges Material bereits an der Quelle zu entfernen. Es sei „kaum zu glauben, dass der Vorschlag dies nicht vorsieht“.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion