Mehr Leistungen – weniger Spielraum: Zahlreiche Kommunen in Großbritannien vor faktischem Bankrott

Immer mehr Kommunen in Großbritannien sehen sich gezwungen, eine sogenannte „Section 114“-Erklärung abzugeben. Diese kommt dem faktischen Bankrott gleich. Die Ursachen reichen von Sparhaushalten auf Gesamtstaatsebene über Fehlinvestitionen bis hin zur Inflation.
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Großbritanniens zweitgrößte Stadt: Birmingham.Foto: iStock
Von 25. März 2024

Am 2. Mai werden in Großbritannien landesweit Kommunalwahlen stattfinden. In einigen Städten und Gemeinden wird es wenig Unterschied machen, wer am Ende gewinnt – weil der Spielraum für Entscheidungen massiv eingeschränkt sein könnte. Immer mehr Kommunen in Großbritannien müssen sogenannte „Section 114“-Benachrichtigungen hinnehmen, was de facto einen weitreichenden Verlust der finanziellen Unabhängigkeit zur Folge hat.

Zahl der Kommunen mit „Section 114“-Nachricht steigt stetig an

Zwar können Kommunen als staatliche Hoheitsträger nach britischem Recht nicht in Konkurs gehen. Die Folge von 114er-Mitteilungen ist jedoch, dass alle Ausgaben eingeschränkt werden, die nicht explizit der Finanzierung gesetzlicher Dienstleistungen dienen. In vielen Fällen wird eine Art Zwangsverwalter bestellt, der über die Ausgabenpolitik wacht – zumindest bis es vonseiten der Räte einen genehmigungsfähigen Sparhaushalt gibt.

Zwischen 1988 und 2000 hatte es erst fünf Kommunen gegeben, in denen Section 114 zur Anwendung kam. Seit 2018 waren es neun – und im August des Vorjahres berichtete der „Guardian“, dass bereits 26 Kommunen gefährdet seien. Insgesamt 47 rechneten zum damaligen Zeitpunkt damit, nicht in der Lage zu sein, ihren Haushalt 2023/24 ausbalancieren zu können.

Kürzlich zitierte das „Handelsblatt“ eine Umfrage des Kommunalverbandes Local Government Information Unit (LGIU). Dieser zufolge befürchtet insgesamt jeder fünfte Kommunalpolitiker, dass der eigenen Kommune bereits im laufenden oder im kommenden Jahr das Geld ausgehen würde.

Inflation setzt nicht nur die Bewohner unter Druck – sondern auch die öffentliche Hand

Die letzten beiden Städte, die es getroffen hat, waren Nottingham – zum zweiten Mal nach einer temporären Zwangsverwaltung 2021 – und Birmingham. Seit November 2022 hatten auch Croydon, Thurrock und Woking diesen Weg gehen müssen.

Die Kommunen in Großbritannien erhalten etwa die Hälfte ihres Etats aus dem Gesamtstaatsetat. Ein knappes Drittel setzt sich aus kommunalen Steuern zusammen. Diesbezüglich sind die Spielräume für die Council Tax auch eingeschränkt. Mehr als fünf Prozent Erhöhung sind durch Gesetze aus London untersagt – es sei denn, die Kommune steht bereits unter einer 114er-Maßnahme. Dann kann eine Kommune wie Birmingham handeln, wo diese in den nächsten beiden Jahren um 21 Prozent ansteigen wird.

Generell haben die Kommunen in Großbritannien im Vergleich zu 2011 ein knappes Viertel weniger zur Verfügung. Dass die konservativen Regierungen in London Sparkurse verordneten, die sich auch auf Kommunen auswirkten, ist dabei ein Aspekt.

Immerhin hat sich London auf Druck lokaler Abgeordneter bereiterklärt, zusätzliche 600 Millionen Pfund (ca. 699,48 Millionen Euro) für soziale Ausgaben zur Verfügung zu stellen. Mehr will Finanzminister Jeremy Hunt aber nicht akzeptieren – um nicht am Militär oder am Gesundheitsdienst NHS sparen zu müssen.

Konservative Kommunen verkaufen historische Gebäude

Der noch wesentlichere Aspekt ist, dass die Aufgaben der Kommunen immer mehr wachsen – nicht zuletzt infolge der Inflation. Diese sorgt nicht nur für geringere Einnahmen, da Steuerpflichtigen weniger an zu versteuerndem Einkommen verbleibt. Sie verteuert auch die Leistungen der Kommunen selbst. Dazu kommt, dass immer mehr Menschen wegen der hohen Lebenshaltungskosten Sozialhilfe oder Wohngeld in Anspruch nehmen müssen.

Dazu kommen lokale Aspekte, die dazu geführt hatten, dass die Kosten oder kommunalen Verbindlichkeiten aus dem Ruder liefen. Dies reichte von verlorenen Gleichstellungsprozessen wie in Birmingham über Fehlkalkulationen für IT-Projekte bis zu missglückten Investitionen in Immobilienprojekte.

Unterschiedlich sind auch die Ansätze der einzelnen Kommunen, um aus der jeweiligen Krisensituation zu kommen. Maßnahmen wie eingeschränkte Straßenbeleuchtung, weniger Kulturangebote oder eingeschränkte kommunale Dienstleistungen reichen häufig nicht aus. Der Verkauf öffentlicher Immobilien erfreut sich immer größerer Beliebtheit.

Labour-geführte Stadtverwaltungen veräußern dabei bevorzugt Sozialwohnungen – konservative eher das „Tafelsilber“ in Form altehrwürdiger Gebäude. So sucht die Stadt Maidstone in Südostengland seit dem vergangenen Jahr einen Käufer für einen 200 Jahre alten historischen Amtssitz. Allein in den vergangenen 14 Jahren wurden in England dem Institute for Public Policy Research (IPPR) zufolge etwa 75.000 öffentliche Gebäude oder Vermögenswerte an Private verkauft.



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