Oğan gibt Erdoğan Rückenwind – Kılıçdaroğlu wirbt um Stimmen von rechts außen

Am Sonntag findet in der Türkei die Stichwahl um das Präsidentenamt statt. Amtsinhaber Erdoğan gilt nach der Wahlempfehlung des drittplatzierten Oğan als haushoher Favorit.
Recep Tayyiper Erdogan (l.) vs. Kemal Kilicdaroglu: Ein Wahlzettel für die türkische Stichwahl um die Präsidentschaft.
Recep Tayyip Erdoğan (l.) vs. Kemal Kılıçdaroğlu: Ein Wahlzettel für die türkische Stichwahl um die Präsidentschaft.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 27. Mai 2023

Wenn die Wähler am Sonntag, 28. Mai, zu den Stichwahlen um das Präsidentenamt in der Türkei schreiten, rechnen Beobachter erneut mit einer rekordverdächtigen Wahlbeteiligung. Der bisherige Andrang von Auslandstürken zur Stichwahl hat der Wahlbehörde YSK zufolge einen neuen Höchststand erreicht. Bis Mittwoch konnten diese sich in diplomatischen Auslandsvertretungen für Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan oder Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu entscheiden. Bis Sonntag haben sie auch noch die Gelegenheit, an türkischen Außengrenzposten ihre Stimmen abzugeben.

Erdoğan muss nur kleinen Bruchteil der Oğan-Wähler für sich gewinnen

Hatte sich ein heterogenes Oppositionsbündnis im ersten Durchgang noch Hoffnungen auf einen Machtwechsel gemacht, gilt Amtsinhaber Erdoğan nun als haushoher Favorit. Bereits vor zwei Wochen hatte er mit 49,5 Prozent der Stimmen nur haarscharf die notwendige absolute Mehrheit verfehlt. Kılıçdaroğlu war auf 44,9 Prozent gekommen.

Am Montag hatte der Drittplatzierte des ersten Wahlgangs, Sinan Oğan, eine Wahlempfehlung für Erdoğan abgegeben. Oğan, der als Kandidat der nationalistischen ATA-Allianz angetreten war, hatte mit 5,2 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg erringen können. Bei den Parlamentswahlen hatte sein Bündnis lediglich zwei Prozent erlangt und blieb ohne Mandate. Umfragen erwarten nun einen Stimmenanteil des Amtsinhabers zwischen 52 und 53 Prozent. Vor dem ersten Durchgang hatten sie zum Teil deutlich daneben gelegen – und Erdoğan hinter seinem Herausforderer gesehen.

Oğan könnte Restrisiko für Erdoğan beseitigt haben

Die Wahlempfehlung Oğans für Erdoğan hatte ein Auseinanderbrechen der erst 2021 gegründeten ATA-Allianz zur Folge. Aus Sicht des Kandidaten selbst erschien sie dennoch als konsequent. Im ersten Durchgang hatte Oğan vor allem Wähler für sich gewonnen, die mit der AKP unzufrieden waren, Kılıçdaroğlu aber auch nicht die Stimme geben wollten. Ein Grund dafür war Kılıçdaroğlus Weigerung, auf Distanz zur HDP zu gehen, die vielen in der Türkei als politischer Arm der terroristischen PKK gilt.

Zudem hatte Oğan im Vorfeld seiner Empfehlung deutlich gemacht, dass die Türkei Stabilität brauche und deshalb einen klaren Sieger bei den Präsidentenwahlen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen und ein möglicher Präsident Kılıçdaroğlu hätten diese jedoch nicht gewährleistet. Dessen heterogenes Bündnis verfügt über keine parlamentarische Mehrheit.

Zusagen an Oğan bezüglich einer möglichen Regierungsbeteiligung hat es seinen Angaben zufolge nicht gegeben. Dass Erdoğan erstmals in eine Stichwahl musste und die AKP als Partei das schlechteste Ergebnis seit 2002 einfuhr, war allerdings eine Botschaft. Die türkischen Wähler wünschen perspektivisch eine Erneuerung der politischen Führung. Der außenpolitisch erfahrene Ökonom und Think-Tank-Stratege Oğan rechnet sich offenbar Chancen aus, ein Teil dieser Neuausrichtung zu werden.

Ultrarechter Politiker will Innenminister für Kılıçdaroğlu werden

Insbesondere nach der Wahlempfehlung Oğans zugunsten von Erdoğan ist es äußerst unwahrscheinlich, dass dieser seinen Vorsprung in der Stichwahl noch einbüßt. Im Lager der Opposition macht sich bereits seit der Bekanntgabe des Ergebnisses der ersten Runde Verzweiflung breit. Einige ihrer Anhänger beschimpften in sozialen Medien Erdbebenopfer, weil Erdoğan und die AKP in den betroffenen Regionen meist klare Mehrheiten erzielt hatten.

Die Opposition wirft Erdoğan derweil „Desinformation“ vor. Grund dafür ist die Präsentation eines Videos, das CHP-Chef Kılıçdaroğlu zusammen mit dem PKK-Führer Murat Karayılan zeigt. Die AKP hat es auf einer Wahlveranstaltung zum Einsatz gebracht. Obwohl sich schon bald herausstellte, dass es sich um eine manipulierte Aufnahme handelte, verteidigte Erdoğan den Einsatz des Videos in einer Fernsehsendung.

In seiner unvorteilhaften Lage sucht Kılıçdaroğlu auch bei der äußersten politischen Rechten nach Stimmen für die Stichwahl. Um nicht zu viele Wähler aus dem HDP-Umfeld zu vergraulen, vermeidet er jedoch nach wie vor zu eindeutige Distanzierungen von der PKK. Auch in der Kurdenpolitik insgesamt gibt er sich moderat.

Umso härter agitiert er jedoch gegen die syrischen Flüchtlinge im Land. Am Dienstag verkündete Kılıçdaroğlu auf Twitter, eine Wahlempfehlung der „Zafer Partisi“ (Partei des Sieges) erhalten zu haben. Er stellte deren Spitzenpolitiker Ümit Özdağ sogar das Amt des Innenministers in Aussicht. Özdağ gilt als einer der deutlichsten Wortführer einer Rückführungspolitik der syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Kritiker machen seine Rhetorik für fremdenfeindliche Ausschreitungen mitverantwortlich.

Einen Tag später ruderte Kılıçdaroğlu zurück und erklärte, Regierungsämter würden im Konsens mit allen Bündnispartnern vergeben.

Kılıçdaroğlu stellt EU ein Ende des Flüchtlingsabkommens in Aussicht

In einem Fernsehinterview griff Kılıçdaroğlu syrische Flüchtlinge scharf an. Diese würden „auf unseren Straßen flanieren, während unsere jungen Soldaten [in Syrien] den Märtyrertod erleiden“. Er akzeptiere zwar die Frauen und Kinder aus Syrien, die Schutz suchten. Er dulde aber nicht, dass „in fünf Jahren der Präsident der Industrie- und Handelskammer von Kilis ein Syrer“ sein werde.
Mit der „rechtmäßigen Regierung Syriens“ wolle er sich über Sicherheit von Leben und Eigentum zurückkehrender Geflüchteter unterhalten. Aus dem Kontext früherer Äußerungen ist abzuleiten, dass Kılıçdaroğlu die Regierung von Baschar al-Assad als diese betrachtet.

Gleichzeitig stellt er den Europäern in Aussicht, das seit 2016 existierende Flüchtlingsabkommen zu kündigen. In dem Interview erklärte er:

Wenn die Europäer die Rechte der Syrer nicht schützen, wenn sie kein Geld für den Bau ihrer Häuser, Straßen, Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser bereitstellen, werden wir das Rücknahmeabkommen kündigen. Sollen die Herren doch nach Europa gehen, was suchen sie hier?“

Innenminister: „Syrer werden freiwillig zurückkehren, wenn bestimmte Voraussetzungen stimmen“

Unterdessen hat die Regierung in Ankara die Errichtung einer Siedlung mit 5.000 Wohneinheiten in der Region Dscharabulus bei Aleppo verkündet. Insgesamt arbeite man in den von türkischen Verbündeten kontrollierten Zonen Nordsyriens an neun Wohnprojekten, die 240.000 Familien Platz bieten würden. Dies werde eine Grundlage für die freiwillige Rückkehr von bis zu einer Million syrischer Flüchtlinge schaffen.

Innenminister Süleyman Soylu erklärte gegenüber der „Hürriyet“, dass sich derzeit mehr als 3,3 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei aufhalten. Bis dato seien 554.000 freiwillig in ihr Land zurückgekehrt.

Soylu erklärte zudem, ohne grenzüberschreitende Militäroperationen der Türkei in Nordsyrien hätte die Flüchtlingszahl neun Millionen betragen können. In Einzelgesprächen mit Syrern haben dem Ministerium zufolge 70 Prozent der Betroffenen erklärt, grundsätzlich in ihr Land zurückkehren zu wollen. Voraussetzung dafür sei lediglich, dass bestimmte Bedingungen bezüglich Sicherheit von Leib, Leben und Eigentum gewährleistet seien.



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