Paris: Gesetzentwurf zu nicht-öffentlichen „Hassreden“ – Haftstrafen bis zu einem Jahr möglich

Am 6. März nahm die Nationalversammlung einen Gesetzentwurf aus Macrons Partei an, der sogenannte „Hassreden“, die in einem nicht-öffentlichen Rahmen getätigt werden, strenger bestrafen soll. Ein „totalitärer“ Text, geißeln seine Kritiker. Sie befürchten einen Schritt in Richtung Überwachungsgesellschaft.
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Die französische Nationalversammlung ist das Unterhaus des Zweikammerparlaments Frankreichs. Das Oberhaus ist der Senat.Foto: iStock
Von 22. März 2024

Die französische Nationalversammlung stimmte am 6. März in erster Lesung für einen Gesetzesvorschlag, der „die strafrechtliche Reaktion auf rassistische, antisemitische oder diskriminierende Straftaten verstärken“ soll. Im Visier der Abgeordneten: Reden mit nicht-öffentlichem Charakter.

Abgeordnete von Marine Le Pen (Rassemblement National) und Jean-Luc Mélenchon (La France Insoumise) enthielten sich der Stimme.

„Strafrechtliche Sanktionen müssen systematisch sein“

Der Vorschlag stammt von den zwei Abgeordneten Mathieu Lefèvre und Caroline Yadan. Um das Gesetz zu rechtfertigen, stützen sie sich auf die Zunahme antisemitischer Handlungen nach dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober, obwohl das Gesetz weit über den Antisemitismus hinausgeht. Kritiker sehen den Anlass, also die von der Hamas begangenen Angriffe, nur als Vorwand.

Lefèvre und Yadan rechnen mit einer Verabschiedung bis Ende 2024. Beide Abgeordnete gehören zur Regierungspartei La République En Marche von Emmanuel Macron.

Die Regelung würde insbesondere Äußerungen abdecken, die „in Shows, in WhatsApp-Chats oder im Rahmen der Kommunikation innerhalb von Unternehmen“ gemacht werden. Dadurch würde „dem Missbrauch der Meinungsfreiheit ein Ende gesetzt“, so Mathieu Lefèvre im „Figaro“.

Artikel 1 des Entwurfs sieht vor, dass ein Gericht gegen jede Person, die sich einer antisemitischen, rassistischen oder diskriminierenden Äußerung schuldig gemacht hat, einen Haftbefehl ausstellen kann. „Die strafrechtliche Sanktion muss garantiert und systematisch sein“, schreiben Lefèvre und Yadan.

Die französische Parlamentsabgeordnete Caroline Yadan während einer Fragestunde an die Regierung in der französischen Nationalversammlung am 7. Februar 2024 in Paris. Foto: MIGUEL MEDINA/AFP über Getty Bilder

Mathieu Lefèvre versichert, dass er nicht die Definition von Straftaten ändern möchte, sondern nur deren Schwere. Lefèvre hatte bereits im Mai mit einem Gesetzentwurf zur Einführung der EU-Flagge an Rathäusern für Aufsehen gesorgt.

Das Gesetz unterscheidet zwischen privaten, nicht-öffentlichen und öffentlichen Äußerungen

Im französischen Recht sind bestimmte nicht-öffentliche Äußerungen bereits strafbar. Dazu zählt eine „Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt“ aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Geschlechtsidentität, der sexuellen Orientierung oder einer Behinderung von Personen gemäß Artikel R625-7 des Strafgesetzbuches.

Bei Verstößen droht eine Geldstrafe von bis zu 1.500 Euro, im Wiederholungsfall 3.000 Euro. Die gleichen Strafen gelten auch für nicht-öffentliche Verleumdung oder Beleidigung.

Würde der Gesetzentwurf angenommen, dann zählen künftig solche Äußerungen als Straftat (statt als Ordnungswidrigkeit) und könnten mit einer Geldstrafe von 3.750 Euro geahndet werden.

Wenn diese nicht-öffentlichen Äußerungen von einer Person getätigt werden, die Träger öffentlicher Hoheitsbefugnisse oder mit einer öffentlichen Aufgabe betraut ist (Beamte, Lehrer, Polizisten und so weiter), stellt dies einen erschwerenden Umstand dar. Strafmaß: ein Jahr Freiheitsstrafe und 15.000 Euro Geldstrafe.

Die neue Gesetzgebung führt zudem zwei neue Straftatbestände ein, die Leugnung des Holocaust und die Verherrlichung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bisher waren diese Äußerungen strafbar, wenn sie in einem öffentlichen Rahmen gesagt wurden. Nun könnten sie auch dann verfolgt werden, wenn sie nicht-öffentlich getätigt wurden, und mit einem Jahr Haft und einer Geldstrafe von 45.000 Euro bestraft werden.

Aufruf zur Kontrolle oder Schutz anderer?

Für den Soziologen Mathieu Bock-Côté geht dieser Gesetzesvorschlag „per definitionem mit einem allgemeinen Aufruf zur Denunziation einher. Jeder muss seine Mitmenschen überwachen, um sicherzustellen, dass dieser nicht auf die schiefe Bahn gerät. Dass er nicht aus dem Rahmen des Gesetzes fällt. Dass er keine Äußerungen macht, welche die ideologisch-juristische Ordnung unserer Zeit vorschreibt“, schrieb er in der Tageszeitung „Le Figaro“.

Er fragt sich: „Was wird mit demjenigen geschehen, der den Wert der Gendertheorie infrage stellt? Und sich weigert zu glauben, dass ein Mann zu einer Frau werden kann? Und es wagt, darüber Witze zu machen? Wird man auch denjenigen bestrafen, der sich einige Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Sicherheit und Einwanderung erlaubt?“

Eine Bestrafung von Äußerungen unter vier Augen ist derzeit noch nicht vorgesehen. Rechtlich gesehen sind sie anders als öffentliche und nicht-öffentliche Kommunikation.

Privat ist eine Äußerung, wenn sie zwischen zwei Gesprächspartnern ohne Zeugen ausgetauscht wird. Ein „nicht-öffentlicher“ Austausch hat einen kollektiven Aspekt und impliziert das Bestehen einer „Interessengemeinschaft“. Das könnte beispielsweise eine Diskussion in einem Unternehmen sein. Ein Abendessen mit der Familie zählt daher nicht in den nicht-öffentlichen Bereich, sondern den privaten.

„Früher oder später“ wird das gesamte Privatleben überwacht

Weil das Gesetz etwas schwammig formuliert ist, könnte es zu verschiedenen Interpretationen führen. Wenn zum Familienessen mehr oder weniger enge Freunde oder eine Person aus demselben Freizeitclub hinzukommen, fällt dann eine verbotene Rede, die in diesem Rahmen gehalten wird, unter das Gesetz?

Mathieu Bock-Côté sieht Klärungsbedarf, macht sich aber wenig Illusionen über die künftige Entwicklung. „Früher oder später“ werde das gesamte „Privatleben unter staatliche Überwachung gestellt werden“.

Der französische Premierminister Gabriel Attal (Mitte), flankiert von der Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet (Mitte, oben), am 30. Januar 2024 in Paris bei seiner Regierungserklärung zur allgemeinen Politik. Die Nationalversammlung ist das Unterhaus des französischen Parlaments. Foto: EMMANUEL DUNAND/AFP über Getty Images

In die gleiche Kerbe schlägt der Anwalt und Essayist Thibaut Mercier: „Ein Jahrhundert später sind es unsere politischen ‚Eliten‘, die sich die Worte des bolschewistischen Führers Lenin [„Freiheit, wofür?“, Anm. d. Red.] zu eigen machen könnten, wo doch kein Monat vergeht, ohne dass eine neue Einschränkung der Meinungsfreiheit unser Gesetzbuch vervollständigt.“

Europa auf dem Weg ins Abseits

Der staatliche Wunsch, sogenannte „Hassreden“ in der Privatsphäre aufzuspüren, ist nicht nur auf Frankreich beschränkt.

Im Jahr 2020 hatte die schottische Regierung mit ihrem „Anti-Hass-Gesetz“ den Anfang in Europa gemacht. Es kontrolliert die Sprache bis in die heimischen vier Wände hinein. Dabei kann es zu einer Verurteilung kommen, ohne dass die Absicht der Person, die eine Äußerungen gemacht hat, geprüft wird.

Wie die „Times“ zum Zeitpunkt des Gesetzentwurfs erklärte, „würden die neuen Bestimmungen die Tatsache zu einer Straftat machen, dass (…) einer anderen Person Inhalte mitgeteilt werden, bei denen die Absicht oder die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie Hass schüren“.

Irland: Angeklagter muss seine Unschuld beweisen

In diesem Sinne verabschiedete Irland im Jahr 2023 ein Gesetz gegen vorsätzliche oder unbedachte Hassreden gegen eine Person oder Gruppe mit bestimmten „geschützten Merkmalen“ wie Hautfarbe oder Geschlecht.

Das Gesetz sieht eine Strafe von bis zu zwei Jahren Haft für den bloßen Besitz von als gefährlich angesehenen Hassbotschaften auf Computer oder Mobiltelefon vor, sofern davon ausgegangen wird, dass der Täter die Absicht hatte, die Inhalte weiterzugeben.

Bei dieser Regelung wird automatisch von der Schuld des Angeklagten ausgegangen: Es liegt an ihm, seine Unschuld zu beweisen.

Sobald „nachgewiesen ist, dass der Angeklagte im Besitz von [hasserfüllten] Inhalten war, und vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass die Inhalte nicht für den persönlichen Gebrauch bestimmt waren, wird bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen, dass der Angeklagte gegen das Gesetz verstößt“, heißt es in Abschnitt Zehn des Gesetzestextes.

Jahrzehntelange Entwicklung

Wie Anastasia Colosimo, Doktorin der politischen Theorie, bereits 2020 im „Figaro“ erklärte, haben sich die Gesetze zur Einschränkung der Meinungsfreiheit in den meisten europäischen Ländern seit den 1970er-Jahren immer weiter ausgebreitet. Sie folgen dabei drei Ansätzen: „Die Einführung der Begriffe Rasse, Nation, Ethnie, Religion, Alter, Behinderung, sexuelle Identität und Orientierung; die Ausweitung des Schutzes vom Individuum auf die Gruppe; die Verschärfung der angedrohten Strafen.“

Im Namen des Kampfes gegen „Hate Speech“ habe sich Europa allmählich auf einen Weg begeben, der den Schutz der Gefühle von Minderheiten auf Kosten der Meinungsfreiheit gesetzlich verankert.

Im öffentlichen Raum, nach und nach auch im privaten Bereich und schließlich sogar in sozialen Netzwerken werde das Wort des Einzelnen überwacht. Es werde analysiert und mit dem Maßstab der Dogmen der Diversität, die nicht verunglimpft werden darf, bestraft.

Der Artikel erschien zuerst in der französischen Epoch Times unter dem Titel: „Le gouvernement français va-t-il bientôt pénaliser les propos «haineux» tenus en privé ?“ (Deutsche Bearbeitung ks)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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