Westliche Firmen: Russland zu verlassen, ist vertrackt und langwierig

Viele westliche Unternehmen wollen Russland verlassen. Doch der Kreml macht es ihnen nicht gerade leicht. Auch eine „freiwillige Ausreisesteuer“ fällt an.
Titelbild
Moskau, Russland - 21.06.2022 – Logos von McDonalds.Foto: iStock
Von 6. Juni 2023

Ford, Renault, McDonald’s, Ikea. Auch Nike, Nokia und Shell haben sich komplett aus Russland zurückgezogen. Vor ein paar Tagen wurde Volkswagen verkauft. Es gibt Tausende westliche Unternehmen, welche den russischen Markt verlassen haben – oder das tun möchten. Doch ein Unternehmen in Russland zu beenden, ist eine schwierige Aufgabe.

Seit April ist eine neue Bedrohung hinzugekommen: die Möglichkeit, dass das Unternehmen durch die russische Regierung beschlagnahmt wird. Damals verstaatlichte Moskau die beiden Energieunternehmen Uniper SE (Deutschland) und Fortum Oyj (Finnland).

Ausreisen auf Russisch

Diejenigen, die ihre Russlandgeschäfte beenden möchten, stehen großen Schwierigkeiten gegenüber, die sich zudem ständig verändern und zunehmen. Westliche Unternehmen müssen sich an die Spielregeln des Kremls halten.

Im März 2022 gab die Putin-Regierung drei Szenarien für Unternehmer vor: Erstens – die vorübergehende Übertragung von Anteilen an russische Partner. Zweitens – die Weiterführung des Betriebs mit der drohenden staatlichen Pfändung oder Verwaltung des Vermögens. Die dritte Option ist der völlige Ausstieg aus dem Markt, sprich, der Verkauf des Unternehmens.

Die Nachfrage nach zahlreichen westlichen Produkten war groß. Der aktuelle Trend ist, dass chinesische und indische Unternehmen begonnen haben, sich in Russland auszubreiten. Die lokale Produktion hat auch stark zugenommen. Foto: iStock

„Der unbekannte Faktor ist das Hauptproblem“

Thomas Kormendi, Geschäftsführer des norwegischen Verpackungsunternehmens Elopak, hat das Prozedere schon durch. Er entschied sich für das dritte Szenarium und sprach von einem „unbekannten Faktor“, der bei seinem Unternehmen auftrat. Gegenüber „Reuters“ erklärte er, dass seine Firma während des gesamten Prozesses nicht individuell behandelt wurde. Sie erhielten keine differenzierte Anweisungen, es gab viele Unklarheiten. „Die russischen Partner hatten wahrscheinlich nicht die Ressourcen, um jeden einzeln anzusprechen“, so Kormendi. Und:

Man hat viel weniger Einblick in externe Faktoren als bei anderen Geschäftsvorgängen.“

Der Deal war für ihn schwierig zu erreichen, beinhaltet aber eine wichtige Garantie: eine sechsjährige Rückkaufklausel, die laut Kormendi ein übliches Phänomen sei. Westliche Unternehmen versuchen auf diese Weise, sich für den Fall abzusichern, dass sich die Kriegssituation beruhigt.

Eine derartige Garantie ist nicht immer in den Verträgen enthalten. Das gilt auch für eine der größten Meldungen der letzten Zeit – den Verkauf von Volkswagen. Die Nachrichtenagentur „Interfax“ bestätigte, dass der deutsche Automobilhersteller Volkswagen seine russischen Vermögenswerte ohne Rückkaufoption an Finance LLC verkauft hat.

„Man braucht gute Verbindungen“

In vielen Fällen können Unternehmen ihre Beteiligungen oder Filialen nur mit Zustimmung des russischen Finanzministeriums verkaufen. „Gute Freunde“ und Beziehungen zur Regierung machen den Unterschied, ob das leichter oder schwerer wird. In einigen strategischen Sektoren wie dem Öl- und Bankensektor sei für Verkäufe sogar die Unterschrift von Präsident Wladimir Putin erforderlich, berichtet das ungarische Wirtschaftsportal „Novekedes.hu“.

Tatiana Stanovaya, Gründerin des Analyseunternehmens R.Politik, erklärte:

Vieles hängt davon ab, welche persönlichen Beziehungen ein ausländisches Unternehmen zur politischen Führung hat, ob es einflussreiche Partner hat.“

Dies könnte vor allem in zeitlicher Hinsicht relevant sein. Oft kündigen die Firmen ihren Rückzug an. Doch wie lange es dauert, bis der Verkauf tatsächlich stattfindet, ist ungewiss, so die Wirtschaftsanalysten.

Russlands Präsident Wladimir Putin informierte sich in Mariupol über die Lage.

In vielen Fällen entscheidet der russische Präsident Wladimir Putin persönlich, ob er Transaktionen genehmigt oder nicht. Foto von Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kreml/AP/dpa

Der Kreml hat die Interessen Russlands fest im Blick

Eine der Vorgaben des Kremls lautet, dass ein Unternehmen, das sich zum Ausstieg entschließt, seine russische Tochtergesellschaft höchstens für die Hälfte ihres Marktwerts verkaufen kann.

Die Abwicklung kann durch vergünstigte Verkäufe von Vermögenswerten beschleunigt werden. Der Kreml erschwerte dieses Vorhaben, indem er ab Juni eine Obergrenze von einer Milliarde US-Dollar pro Monat für den Kauf von Devisen für derartige Transaktionen eingeführt hat.

Laut dem Wirtschaftsportal „VG.hu“ gab es zwischen März 2022 und März 2023 insgesamt 200 derartige Transaktionen. Praktisch mache die neue Regel daher nicht viel aus, da „nur eine von fünf Transaktionen im letzten Jahr zu einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Dollar führte“.

Der Kreml behält sich bei Verkäufen und Abwanderung Ermessensfreiheit vor, was die Abwicklungsdauer für die Firmen erhöht. Alexej Moiseyev, stellvertretender Finanzminister, erklärte dies mit der Einzigartigkeit der Entscheidungen und der großen Anzahl von Fällen. Laut seinen Angaben trifft sich der dafür zuständige staatliche Ausschuss drei- bis viermal pro Woche. Bei jedem Treffen würden 20 Fragen geprüft.

Unternehmen müssen zudem eine „freiwillige Ausreisesteuer“ in Höhe von 10 Prozent des Verkaufspreises zahlen. Nach Kreml-Sprecher Dmitri Peskow will Russland damit einen Entschädigungsfonds als Reaktion auf „die illegale Enteignung russischer Vermögenswerte im Ausland“ einrichten.

Eines ist zumindest jedem Unternehmen klar, bevor es sich auf die manchmal undurchschaubaren Pfade begibt: Entscheidungen werden immer im Sinne russischer Interessen getroffen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion