Zehn Jahre nach Schulentführung in Nigeria: Mütter geben die Hoffnung nicht auf

Zehn Jahre ist die Massenentführung der 276 Schulmädchen im nigerianischen Chibok her. Die Familien bangen weiter um sie.
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Nigerianer demonstrieren im Jahr 2016 für die Befreiung der entführten Schülerinnen aus dem Ort Chibok.Foto: EPA/STR/Archiv/dpa
Epoch Times13. April 2024

Jedes Mal, wenn Mary Shettima Schritte vor der Tür hört, denkt sie, ihre Tochter komme zurück. Margaret war eines der 276 Mädchen, die die islamistische Miliz Boko Haram am 14. April 2014 in der nigerianischen Kleinstadt Chibok entführte.

Zehn Jahre später sind fast hundert von ihnen immer noch in der Gewalt der Islamisten und neue Massenentführungen erschüttern das westafrikanische Land.

Margaret wird dieses Jahr 29. Seit zehn Jahren bangt ihre Mutter um das Leben ihrer Tochter. Die Nachricht von weiteren Entführungen bricht Shettima das Herz. „Ich denke an die Eltern der verschleppten Kinder und breche weinend zusammen“, sagt sie.

Im Schatten eines Affenbrotbaumes erzählen Mütter und junge Frauen, die den Entführern entkamen, von ihrem Schicksal.

„Wann werden wir wieder sicher sein?“

„Ich fühle mich ganz schwach, weil ich weiß, dass andere das immer noch durchmachen“, sagt Asabe, die 14 war, als sie aus der Schule entführt wurde, und nach drei Jahren frei kam. „Wann werden wir wieder sicher sein?“, fragt sie und kämpft mit den Tränen.

Die Entführung löste weltweit Entsetzen aus und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Opfer des islamistischen Aufstands im Nordosten Nigerias, durch den mehr als 40.000 Menschen getötet und über zwei Millionen vertrieben wurden. Auch ein Jahrzehnt später ist kein Ende des Konflikts in Sicht.

Die Menschen in Chibok leben weiter in der Angst vor Angriffen und Entführungen. Nur in Begleitung des Militärs konnte die Reporterin der Nachrichtenagentur AFP die sechsstündige Fahrt über sandige Pisten in die Region unternehmen.

Mittlerweile Betonmauer und Stacheldraht um Schule

Die Schule, in der die Mädchen 2014 entführt wurden, ist nun durch eine Betonmauer und Stacheldraht geschützt. Staub wirbelt durch die verkohlten Ruinen der ehemaligen Schlafsäle, die die Boko-Haram-Kämpfer bei der Entführung abgefackelt hatten.

Hauwa, die damals 16 Jahre alt war, erinnert sich noch genau an die Nacht, als ihre Kidnapper auf Motorrädern aus der Savanne auftauchten: „Sie schrien und schossen in die Luft. Ich hatte schreckliche Angst, dass sie uns töten würden.“ Nach drei Jahren Gefangenschaft kam auch Hauwa wieder frei.

In Chibok sind immer wieder Schüsse aus den Nachbardörfern zu hören. Das Militär kontrolliert inzwischen wieder große Gebiete, die einst von Boko Haram gehalten wurden. Auch interne Kämpfe mit ihrem Rivalen, dem Islamischen Staat Westafrika, schwächten die Miliz.

Immer noch viele Entführungen

Entführungen gegen Lösegeld sind immer noch eine beliebte Taktik, um Geld zu beschaffen – nicht nur von Boko Haram. Laut der Hilfsorganisation Save the Children wurden zwischen 2014 und 2022 mehr als 1.680 Schülerinnen und Schüler verschleppt. Die nigerianische Risikoberatungsfirma SBM Intelligence zählte im Januar seit Amtsantritt von Präsident Bola Ahmed Tinubu im Mai vergangenen Jahres 4.777 Entführungen.

In den vergangenen Wochen schreckten zwei neue Massenentführungen die Bevölkerung auf: Eine im Bundesstaat Borno, wo hundert Menschen, vor allem Frauen und Kinder, gekidnappt wurden, und eine im Bundesstaat Kaduna im Nordwesten des Landes, wo mehr als 130 Kinder aus ihren Schulen entführt wurden.

Kurz nach der Entführung in Chibok vor zehn Jahren gelang 57 Mädchen die Flucht, und seitdem wurden über hundert entweder gerettet oder nach Verhandlungen freigelassen. In der Stadt Yola, eine halbe Tagesreise südlich von Chibok, studieren mehrere von ihnen an der Amerikanischen Universität.

Die 27-jährige Grace möchte Krankenschwester werden. „Boko Haram hat mein Leben zerstört. Ohne sie hätte ich meine Ausbildung bereits abgeschlossen“, seufzt sie. Wie ihre Leidensgenossinnen wurde Grace gewaltsam in den Sambisa-Wald, einen Rückzugsort der Islamisten, getrieben.

Sie wollten Lösegeld, Ehefrauen und Sklavinnen

Die Mädchen hungerten und mussten sich vor den Armeeflugzeugen verstecken. Viele ihrer Schulfreundinnen wurden gezwungen, ihre Entführer zu heiraten. Andere, wie Grace, mussten als Sklavinnen arbeiten.

Hauwa, die Kommunikationswissenschaften studiert, wird wütend, wenn sie an die Frauen denkt, die immer noch gefangen sind. „Ich habe das Gefühl, dass sich die Regierung nicht um sie kümmert“, sagt sie.

„Die nigerianische Regierung hat nichts dazugelernt“, kritisiert auch Jeff Okoroafor von der Kampagne „Bringt unsere Mädchen zurück“. „Deshalb wagen es die Entführer immer noch, Kinder zu verschleppen.“

Auch die Mütter in Chibok beklagen, dass sie kaum Unterstützung erhalten. Viele Eltern sind seit der Entführung ihrer Töchter gestorben. Die Belastung durch das jahrelange Bangen macht das Leben an einem der ärmsten Orte der Welt noch härter. Doch Shettima gibt nicht auf. „Meine Tochter wird bald zurück sein“, sagt sie. „Es ist die Hoffnung, die mich am Leben hält“. (afp)



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