Bürgergeld: Lindner sieht Lohnabstand gefährdet: „Erwerbstätigkeit muss sich lohnen“

Bundesfinanzminister Lindner hat im Zusammenhang mit der geplanten Erhöhung des Bürgergelds die Beachtung des Lohnabstands angemahnt. Wie häufig Bürgergeldbezug tatsächlich lohnender ist als Erwerbstätigkeit, ist umstritten.
2022 nahmen 481.000 Menschen, die Bürgergeld bekommen haben, einen Job im ersten Arbeitsmarkt auf.
2022 nahmen 481.000 Menschen, die Bürgergeld bekommen haben, einen Job im ersten Arbeitsmarkt auf.Foto: Sina Schuldt/dpa
Von 7. September 2023

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat angesichts der geplanten Erhöhung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2024 die Wahrung des Lohnabstandes angemahnt. Er betonte, dass Erwerbstätige deutlich mehr Geld zur Verfügung haben müssten als Empfänger von Sozialleistungen.

In diesem Zusammenhang hat er Bedenken als „berechtigt“ bezeichnet, die der stellvertretende Unionsfraktionschef Jens Spahn geäußert hatte. Dieser hatte es als „falsches Signal“ bezeichnet, dass sich der Lohnabstand durch die Anpassung des Bürgergeldes immer weiter verringere. Ab dem Beginn des neuen Jahres soll dessen Regelsatz für Erwachsene von derzeit 502 auf 563 Euro steigen. Das entspricht einem Plus von 12 Prozent.

Lindner warnte Union einst vor „Schäbigkeitswettbewerb“ beim Bürgergeld

Im November 2022, wenige Monate, bevor die Ampel-Koalition das alte Hartz IV-System zur Grundsicherung durch das Bürgergeld ersetzt hatte, klang Lindner noch anders. Damals hatte er der Union einen „populistischen Impuls“ vorgeworfen, als sich diese gegen die Einführung des Bürgergeldes wandte.

Allerdings äußerte Lindner dies im Zusammenhang mit der Erhöhung des Schonvermögens. Er warnte CDU und CSU davor, diesbezüglich in einen „Schäbigkeitswettbewerb“ einzutreten. Die Erhöhung des Schonvermögens sollte die Lebensleistung von Menschen schützen, die sich etwas aufgebaut hatten und im Alter in Not geraten.

Lindner hatte bezüglich des Bürgergelds damals allerdings auch insgesamt geäußert, dass dieses Hinzuverdienst und Qualifikation belohne, Verweigerung von Mitwirkung hingegen sanktioniere.

Bürgergeld nur unter extremen Bedingungen einträglicher als Arbeit?

Bereits damals hatte die Union kritisiert, das Bürgergeld-Konzept der Ampel würde den Lohnabstand infrage stellen. Dabei bezog sich die Fraktion auf ein Thesenpapier des Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Dieses führte Beispielrechnungen auf, wonach es Randbereiche gebe, in denen das Lohnabstandsgebot verletzt würde. Dieses soll die höhere Attraktivität einer Arbeitsaufnahme gegenüber dem Bezug von Grundsicherung sicherstellen.

Die Beispielrechnungen betreffen unter anderem eine fünfköpfige Familie, einen Zweipersonenhaushalt mit einem Beschäftigten in Hamburg sowie Singlehaushalte mit einem Kind. All diese Fälle hätten eines gemeinsam: Die betreffenden Bedarfsgemeinschaften hätten bei Aufnahme einer Arbeit zum Mindestlohn weniger Geld zur Verfügung als bei Bezug von Bürgergeld.

Der „Focus“ präsentierte eine Gegenrechnung. Dieser zufolge sei die Annahme, wonach Bürgergeld auf breiter Ebene einträglicher wäre als Arbeit zum Mindestlohn, ein Mythos. Es gebe zwar Extrembeispiele wie die erwähnte vierköpfige Familie. Allerdings griffen diese lediglich unter besonderen Umständen. Dies könnten etwa teure Gaspreise oder besonders hohe Mieten sein, wie man sie von Städten wie München kenne.

Zum Umfang der Randbereiche gibt es nur Schätzungen

Bezüglich der Frage, wie groß die Randbereiche sind, in denen der Lohnabstand infrage stehe, gibt es bis dato nur Schätzungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht davon aus, dass dieses Segment an die 20 Prozent der Bürgergeldempfänger umfassen könnte.

Dort verweist man vor allem auf geringfügig Beschäftigte, Alleinerziehende mit Kindern und Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. In vielen dieser Fälle sei nicht mit einer erheblichen Beschäftigungswirkung durch das Bürgergeld zu rechnen. Diese hatte die Ampel jedoch in Aussicht gestellt.

Die Bertelsmann Stiftung hält sogar einen Anteil von 30 Prozent der Bürgergeld-Bezieher für möglich, die unter Umständen durch Arbeitsaufnahme Nachteile erleiden könnten. Sie bezieht sich dabei vor allem auf einen hohen Anteil an Menschen ohne höheren Bildungsabschluss und Personen mit Migrationshintergrund.

Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) zufolge ist der Anteil von Zugewanderten an den Bürgergeld-Beziehern in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Die Rede ist von bis zu 45 Prozent.

Heil: „Wir haben für einen Lohnabstand gesorgt“

Allen Modellen ist gemein, dass es sich vor allem um Schätzungen handelt und die tatsächliche Zahl der betroffenen Personen von den individuellen Umständen abhängt. Einige Faktoren können die Wahrscheinlichkeit jedoch erhöhen, dass eine Arbeitsaufnahme Bürgergeld-Beziehern keinen Mehrwert bietet.

Dazu gehören etwa der Umfang der Arbeitsaufnahme, die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge oder die Höhe der Kinderbetreuungskosten. Auch gesundheitliche Einschränkungen können die Chancen senken, eine Arbeitsstelle anzutreten, die höhere Einkünfte als das Bürgergeld verheißt.

Die Folgen politischer Entscheidungen können ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf den Lohnabstand haben. Dies betrifft beispielsweise die Energiekosten oder die Miete. Grundsätzlich geht Bundesarbeitsminister Hubertus Heil jedoch davon aus, dass der Lohnabstand bestehe. Gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ äußerte er bereits im Vorfeld der Bürgergeld-Einführung:

Wir haben dafür den Mindestlohn erhöht, wir haben das Kindergeld und das Wohngeld, das erhöht wird. Wir haben also einen Lohnabstand.“

Untersuchung zum Lohnabstand noch nicht abgeschlossen

Derzeit lässt Heil die Wirkungen des Lohnabstands auf den Arbeitsanreiz wissenschaftlich untersuchen. Lindner erklärt dazu, wenn deren Ergebnisse vorlägen, „werden wir schauen, ob sich daraus Konsequenzen ergeben“. Der Sozialstaat müsse Existenznot verhindern, die Inanspruchnahme seiner Leistungen dürfe aber „kein Dauerzustand“ sein, fügte der FDP-Politiker hinzu.

SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast warnt hingegen davor, „dass Geringverdiener gegen die Ärmsten ausgespielt werden“. Es müsse darum gehen, „dass Menschen möglichst erst gar nicht hilfebedürftig werden“. Dazu gehörten „faire Löhne, Tarifbindung, angemessene Mindestlöhne, gute Bildung und Weiterbildung und Entlastungen“ für alle Beschäftigten.

(Mit Material von AFP)



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