Zukunft Favelas in Deutschland? Buschmann will „einfaches und experimentelles Bauen“ erleichtern

Die Baubranche in Deutschland befindet sich in einem besorgniserregenden Zustand. Die Wohnungsnot breitet sich aus, gleichzeitig herrscht Stillstand im Neubau. Minister Buschmann will nun mehr Freiräume für den „Gebäudetyp E“. Davon verspricht er sich eine Belebung.
Titelbild
Ein Blick auf die Cantagalo Favela in Ipanema in Rio de Janeiro. Die ersten Favelas entstanden Ende des 19. Jahrhunderts am Rande der Großstädte, als befreite Sklaven und Migranten vom Land dort Unterschlupf suchten. Heute sind Favelas fester Bestandteil der brasilianischen Städte.Foto: iStock
Von 7. April 2024

Renaissance der Toilette auf dem Gang, Wellblechhütten entlang der Landstraßen, Favelas am Ortsausgang, Gecekondus statt Genossenschaftswohnungen? Die Aussage von Bundesjustizminister Marco Buschmann, zu hohe Baustandards machten das Bauen in Deutschland zu teuer, und die Ankündigung, dieses einfacher und kostengünstiger zu machen, werfen vielerorts Fragen auf.

Mehr Freiräume für den sogenannten Gebäudetyp E sollen mehr Wohnraum ermöglichen. Dafür müssen aber Gesetze und Bauordnungen geändert werden.

Gebäudetyp E soll laut Buschmann Abstriche an „Komfortansprüchen“ zulassen

Bei der Erleichterung einfacher und experimenteller Bauführung soll es aber mitnichten darum gehen, das Erscheinungsbild von Siedlungen in Deutschland der Dritten Welt anzunähern. Voraussetzung für die Genehmigung eines Baus soll weiterhin sein, dass allen Schutzzielen der Bauordnung Genüge getan wird.

Der Gebäudetyp E ist eine neue Initiative der Architektenkammern in Deutschland. Sie soll es Bauherren und Planern ermöglichen, in bestimmten Fällen von den zahlreichen geltenden Normen und Standards abzuweichen, um Bauen kostengünstiger und flexibler zu gestalten – ohne dabei die Schutzziele der Bauordnungen wie Standsicherheit, Brandschutz und gesunde Lebensverhältnisse zu vernachlässigen.

Bauherren und Planer können dabei gemeinsam festlegen, welche Qualitäten und Eigenschaften das Gebäude haben soll, und sich dabei an gängigen Standards orientieren.

Für Gebäude des Typs E gelten nicht zwingend alle Normen und Richtlinien, auf die in den Bauordnungen verwiesen wird. Stattdessen müssen die Schutzziele der Bauordnungen eingehalten werden. Der neue Gebäudetyp soll zunächst nur für sachkundige Bauherren wie kommunale Wohnungsbaugesellschaften gelten, um den Verbraucherschutz nicht zu schwächen.

Bei Statik, Brandschutz, Gesundheit und Umweltstandards soll es weiterhin keine Kompromisse geben. Allerdings sollen die Beteiligten am Wohnbau bestimmte Standards abbedingen können, die man als „Komfortansprüche“ betrachten könnte. Beispiele wären Schallschutzanforderungen oder bestimmte etablierte Erwartungshaltungen im Bereich der Gebäudetechnik. Buschmann will auf diese Weise schnelleres, billigeres Bauen ermöglichen.

Hamburg strebt auf Landesebene Reformprozess an

Gegenüber dem „Handelsblatt“ betonte er, Bauen sei in Deutschland zu teuer. Es solle bei den Komfortstandards Abstriche geben dürfen. Weniger Komplexität und mehr Flexibilität könnten dazu beitragen, der ins Stocken geratenen Bautätigkeit in Deutschland Impulse zu verleihen.

Der Gebäudetyp E sei ein möglicher Ansatz dazu. Das Thema war bereits im Rahmen des Wohnungsgipfels im vergangenen September auf die Tagesordnung gekommen. Buschmann kündigte an, zusammen mit dem Bundesbauministerium von Klara Geywitz zeitnah einen Gesetzentwurf vorzubereiten.

Einzelne Länder wie Hamburg haben ebenfalls bereits Gesetzgebungsprozesse angestoßen, um jenseits der bestehenden Gebäudeklassen noch eine zusätzliche Option zu eröffnen.

Die Bürgerschaftsfraktionen der Ampel-Parteien haben dort bereits eine Aufforderung an den Senat gerichtet. Dieser solle „die Aufnahme des Gebäudetyps E in die Musterbauordnung prüfen und sich auf Bundesebene in geeigneter Weise dafür einsetzen“.

Warum bedarf es dazu eines eigenen Gesetzes?

Im Gespräch mit der „Baunetzwoche“ erläutert Florian Dilg die Ratio hinter den Vorstößen in Richtung des Gebäudetyps. Er ist Mitinitiator einer im Sommer 2022 von der Bayerischen Architektenkammer gestarteten Initiative für einfacheres und experimentelles Bauen.

Er weist darauf hin, dass das BGB bereits jetzt eine freie Vereinbarung zwischen Bauherren und Planern bezüglich der Beschaffenheit eines Gebäudes vorsieht. In der Praxis werden solche Vereinbarungen im Fall eines Rechtsstreits jedoch regelmäßig für unwirksam erklärt.

In den meisten Fällen nehmen Gerichte dann an, dass Bauherren über die „geschuldete Qualität“ der zu erbringenden Bauleistung nicht hinreichend aufgeklärt worden seien. Als Maßstab für die „geschuldete Qualität“ gelten jedoch die sogenannten allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Buschmann-Idee soll Wildwuchs an Normen gegensteuern

Deren Grundlagen gehen jedoch weit über den Inhalt von Gesetzen oder ministerielle Verordnungen hinaus. Sie beinhalten auch eine Art in der Branche etabliertes Gewohnheitsrecht, das sich an aktuellen Produktdefinitionen für Zertifizierungen, technischen Lösungen, Bemessungswerten und DIN-Normen orientiert.

Deren gibt es allerdings derzeit etwa 3.000. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass Kommissionen und Gremien sich an einer Vereinfachung des Regelwerks versucht hätten. Ein durchschlagender Erfolg war dabei jedoch bislang nicht zu verzeichnen.

Architekt Oliver Thill aus Rotterdam sieht nicht immer die tatsächliche Zweckmäßigkeit und Best-Practice-Qualität als Grundlage des informellen Normenbestandes.

Vielmehr seien diese häufig das Resultat einer „jahrzehntelangen Lobbyarbeit der Industrieverbände“. Sie verhinderten ein sicheres, aber dennoch einfacheres und kostengünstigeres Bauen: „Um wieder zu einem logischen Bauen zu kommen, braucht Deutschland dringend strukturelle Reformen in den Gesetzgebungen und weniger Entscheidungsebenen.“

Gebäudetyp E soll mehr Bauverfahren ohne Behörden ermöglichen

Den Protagonisten der Pionierprojekte zum Gebäudetyp E geht es eigenen Angaben zufolge auch nicht um eine Abschaffung der Normen und Regeln. Es soll jedoch die Grundlage dafür geschaffen werden, dass diese abgewandelt werden können – und am Ende die Abweichung von der Norm keinen haftungsbegründenden Mangel darstellt.

Es solle beispielsweise ausreichen, bezüglich zwingender Standards nicht den Weg über die Baubehörden gehen zu müssen, sondern unabhängige Prüfsachverständige beizuziehen. Diese sollen mit Architekten und Bauherren gemeinsam Lösungen finden, die bereits vereinbarte Abweichungswünsche berücksichtigen.

Am Ende würden ein 4+2-Augen-Prinzip und eine Verantwortungsübernahme durch die Fachleute stehen statt eines langwierigen und komplexen Verfahrens vor den Behörden.



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