CDU geht auf Anti-Islam-Kurs: Neues Grundsatzprogramm entdeckt die „Scharia“ als Feindbild

Offenbar unter dem Eindruck antisemitischer Demonstrationen will die CDU eine Kehrtwende in ihrer Politik gegenüber Muslimen einleiten. Im neuen Grundsatzprogramm heißt es, dass „die Scharia nicht zu Deutschland“ gehören solle.
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CDU-Logo (Archiv).Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 11. Dezember 2023

Die CDU will den Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms am Montag, 11. Dezember, vorstellen. Dies hat Parteichef Friedrich Merz auf X mitgeteilt. Der Bundesparteitag, der vom 6. bis 8. Mai 2024 in Berlin stattfinden wird, soll dieses beschließen. Eigentlich war über die Inhalte Stillschweigen vereinbart. Die „Bild“ will dennoch bereits erste Details erfahren haben. Und diese deuten vor allem in einem Bereich auf eine radikale Abkehr von der Merkel-Ära hin: Die CDU soll künftig wieder einen scharfen Anti-Islam-Kurs fahren.

CDU der 2010er-Jahre hatte den Schulterschluss gesucht

Die frühere Bundeskanzlerin hatte 2015 erklärt: „Der Islam gehört zu uns, weil wir hier Millionen von Muslimen haben.“ Im Jahr 2010 hatte bereits der damalige Bundespräsident Christian Wulff geäußert, dass mittlerweile „auch der Islam zu Deutschland gehört“. 2018 hatte sich Angela Merkel ein weiteres Mal zu dem Thema geäußert und darauf hingewiesen, dass mittlerweile Millionen Muslime im Land leben:

„Und diese Muslime gehören auch zu Deutschland. Und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland, also auch der Islam.“

Mit einer Politik, die an die Realität einer multireligiösen Gesellschaft in Deutschland angepasst ist, wollte die CDU damals in der wachsenden Einwanderercommunity Fuß fassen. Obwohl die meisten Muslime in religiösen Fragen oder der Lebensführung eher konservativ ausgerichtet waren, stimmten sie bei Wahlen vor allem für SPD und Grüne.

Künftig sollen „Bild“ zufolge nach dem Willen der CDU hingegen nur noch jene Muslime „zu Deutschland gehören“, die „unsere Werte teilen“. Zudem heiße es im Programmentwurf nun:

„Die Scharia gehört nicht zu Deutschland.“

Verständnis von „Scharia“ in weiten Bereichen unterkomplex

Die pauschale Formulierung, wonach „die Scharia“ nicht „zu Deutschland“ gehöre, scheint vor allem an Wählerschichten mit ausbaufähigen Islamkenntnissen gerichtet zu sein. Der Begriff „Scharia“ bezeichnet in der arabischen Sprache kein kodifiziertes Gesetzeswerk, sondern ein – wenn auch religiös begründetes – Normengefüge. Dieses unterliegt der situationsangepassten Rechtsfindung und der Auslegung durch Interpretation.

Der Gebrauch des Begriffes fand sich zumindest bis zum 10. Jahrhundert unter arabischsprachigen Gelehrten aller Weltreligionen als Ausdruck für ein solches Normengefüge. Heute bezeichnet „Scharia“ im islamischen Kontext die Gesamtheit des religiös begründeten Rechts. Diese reichen von Vorschriften über religiöse Rituale oder Vorgaben zur privaten Lebensgestaltung über Bestimmungen des privaten Vertragsrechts bis zum Strafrecht.

In welcher Weise Vorschriften, die sich aus der Scharia ableiten lassen, im staatlichen Bereich und im alltäglichen Leben Anwendung finden, variiert auch in mehrheitlich islamischen Ländern.

Religiöses und staatliches Recht – nicht nur in muslimischen Staaten verschränkt

In Ländern wie Saudi-Arabien, Iran, Afghanistan, Sudan, Senegal, Katar, Kuwait und Bahrain gilt die Scharia als staatliches Recht. Die Auslegung ist streng am jeweiligen Islamverständnis der dortigen Machthaber orientiert. Eine Kontextualisierung religiöser Texte findet dort im Regelfall nicht statt.

In einer breiteren westlichen Bevölkerung scheint ein Verständnis des Begriffes vorzuherrschen, das auf die Praxis dieser Länder reduziert ist. Darauf setzt möglicherweise nun auch die CDU, wenn sie in ihrem Grundsatzprogramm „die Scharia“ aus Deutschland verbannen will.

Länder wie Algerien, Indonesien oder Ägypten orientieren Teilbereiche ihres staatlichen Rechts an religiösen Vorschriften der Scharia – vor allem im Ehe- und Familienrecht. Eine solche Verschränkung von staatlichem und religiösem Recht ist auch in Israel vorgesehen. Von den mehrheitlich christlichen Ländern kennen heute noch die Philippinen eine solche Konstruktion. In Europa war beispielsweise im österreichischen Ständestaat, auf Malta und phasenweise in Spanien und Portugal die Katholische Kirche für Eheangelegenheiten zuständig.

Länder wie Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Syrien oder der Libanon nennen die Scharia in der Verfassung als Quelle des Rechtsverständnisses. Auch dort hat dies vor allem im Familienrecht Auswirkungen.

Niemand will „die Scharia“ zum staatlichen Gesetz in Deutschland machen

Die Forderung, islamisches religiöses Recht zur Grundlage der staatlichen Gesetzgebung in Deutschland zu machen, erheben auch in der muslimischen Community lediglich extreme Randfiguren. Anliegen von Islamverbänden, die einen Bezug zum religiösen Normengefüge des Islam haben, beziehen sich auf die Ausübung religiöser Praktiken im Rahmen der gesetzlichen Grenzen.

Dazu gibt es das Phänomen sogenannter Paralleljustiz durch sogenannte Friedensrichter. Diese üben – häufig auf Grundlage der Scharia – eine Schiedsgerichtsbarkeit aus, wenn es um die Beilegung privatrechtlicher Ansprüche geht. Eine solche Vorgehensweise ist grundgesetzkonform.

Bedenken gibt es jedoch dort, wo es um Schadensersatzansprüche aufgrund von Offizialdelikten geht. Diese hätte die staatliche Gerichtsbarkeit zu ahnden. Das verschlossene Verhalten der Beteiligten vor Gericht macht dies in vielen Fällen jedoch unmöglich.

Merkel wollte mit realistischem Ansatz Wähler aus der Einwanderercommunity gewinnen

Die Debatte, wer oder was „zu Deutschland gehört“, ist komplex und oft emotional aufgeladen. Ein erster Ansatz: In einem Land mit mittlerweile mehr als fünf Millionen Muslimen wäre es möglicherweise hilfreich, Rechtsbereiche zu unterscheiden. Dies gilt insbesondere für die Abgrenzung zwischen der Ausübung religiöser Praktiken im Rahmen der gesetzlichen Grenzen und der Implementierung eines religiösen Rechtssystems.

Inwieweit „die Scharia“ am Ende „zu Deutschland gehört”, hängt nach den Vorgaben des Grundgesetzes stark vom Kontext und der zugrunde liegenden Definition von „Scharia“ ab. In der Ära Merkel hatte die CDU dies noch als ein komplexes Thema aufgefasst, das eine sorgfältige und nuancierte Diskussion erfordert.

Die Folge dieses differenzierten Ansatzes war, dass ein erheblicher Teil der muslimischen Einwanderercommunity ihr traditionelles Wahlverhalten geändert hat. In früheren Jahrzehnten wählten türkischstämmige Wahlberechtigte – und die meisten Muslime in Deutschland gehörten dieser Community an – fast geschlossen SPD. Im Laufe der 2010er-Jahre fand demgegenüber eine deutliche Abwanderung in Richtung CDU statt.

Rückkehr zur „Islamkritik“ der späten 2000er-Jahre?

Nun könnte an die Stelle einer differenzierten Debatte über Integration und das Verhältnis zwischen muslimischer Community und Mehrheitsbevölkerung wieder die „Islamkritik“ der späten 2000er-Jahre treten. „Der Islam“ würde damit wieder pauschal zum Problem erklärt und die in Deutschland lebenden Muslime einem umfassenden „Othering“ unterworfen.

Auf diese Weise scheint die Union vor allem ein weiteres Erstarken der AfD verhindern zu wollen. Der neue Anti-Islam-Kurs könnte vor allem von einem wahltaktischen Kalkül getragen sein. Dem möglichen Verlust einiger hunderttausend muslimischer Wählerstimmen steht der potenzielle Gewinn von Millionen Stimmen der äußersten Rechten gegenüber.

Inwieweit diese die Abkehr vom Merkel-Kurs honorieren würde, wird die Zukunft zeigen. Allerdings bieten die antisemitischen Demonstrationen, die in Deutschland seit dem 7. Oktober stattfinden, einen willkommenen Prätext für diese Kehrtwende. In Teilen der muslimischen Community gilt Israel als Feindbild. Vielen Islamverbänden fällt es schwer, den Terrorismus der Hamas zu verurteilen.

Für die „Islamkritik“, die 2011 nach dem Breivik-Massaker in Norwegen an sozialer Akzeptanz verloren hatte, könnte dies Rückenwind bedeuten.

CDU will auch über Rente und „Gesellschaftsjahr“ diskutieren

Wie viel am Ende von dem Entwurf bleiben wird, ist unklar. Am Montag diskutiert die CDU-Spitze erstmals in großer Runde über den ersten Entwurf für das Grundsatzprogramm. Das derzeit geltende stammt noch von 2007.

In Umfragen liegt die Union aus CDU und CSU derzeit um die 30 Prozent und damit weit vor den Ampelparteien SPD und Grünen. Allerdings kann auch die AfD mit mindestens 20 Prozent der Stimmen rechnen. Die Union wäre ohne weiteren eigenen Zuwachs demnach weiter auf Bündnisse mit SPD oder Grünen angewiesen.

Weitere Punkte, die man am Montag diskutieren will, sind das sogenannte Gesellschaftsjahr, härtere Regeln beim Bürgergeld und die Kopplung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung.



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