Clankriminalität um 40 Prozent gestiegen: Innenministerin zieht trotzdem eine positive Bilanz

Gestern stellte die niedersächsische Innenministerin den Lagebericht zur Clankriminalität vor. Dabei gab sie für den massiven Anstieg der Fallzahlen eine erstaunliche Erklärung ab.
Titelbild
Ministerin Daniela Behrens, Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung.Foto: MI/SPATA
Von 28. Juni 2023

Die Fallzahlen im Bereich Clankriminalität in Niedersachsen sind 2022 um über 40 Prozent gestiegen, teilte die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am 26. Juni bei der Vorstellung des Lagebildes zur Clankriminalität 2002 mit. Im Jahr 2022 waren es insgesamt 3.986 Straftaten, im Jahr 2021 waren es noch 2.841.

„Der Anstieg der Fallzahlen um etwa 40 Prozent ist ein Beleg dafür, dass wir bei der Zuordnung von Taten deutlich besser geworden sind.“

Sie begründet die gestiegenen Zahlen auch mit einer „intensiveren Befassung“ mit den Strukturen und einer „verbesserten phänomenbezogenen Zuordnung“. Verglichen auf die insgesamt erfassten 523.996 Straftaten der polizeilichen Kriminalstatistik habe die Clankriminalität einen prozentualen Anteil von 0,76 Prozent.

Sogenannte „Hotspots“, wie sie dieser Tage in anderen Bundesländern wahrgenommen würden, gebe es in Niedersachsen nicht in vergleichbarem Ausmaß. „Die niedersächsische Polizei und die Justiz setzen alles daran, dass das auch in Zukunft so bleibt“, so die Innenministerin weiter.

Allerdings stieg auch die Zahl der Personen an, die diesem Kriminalitätsfeld zugeordnet werden. Während 2021 noch 2.622 Tatverdächtige registriert wurden, so waren es im Jahr darauf 3.323 Personen.

Etwa 82 Prozent der tatverdächtigen Personen wären männlich und 57 Prozent in einem Alter unter 30 Jahren, heißt es im Bericht. Mittlerweile hätten 55 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Tatorte würden sich dabei auf städtische als auch ländliche Gebiete verteilen. „Eine dauerhafte Konzentration an bestimmten Orten ist nicht festzustellen.“

„Überhöhung des familiären Ehrbegriffs“

Auffällig für den Bereich Clankriminalität sei laut dem Lagebild:

  • das Ausleben eines stark überhöhten familiären Ehrbegriffs und das innerfamiliäre Sanktionieren von Verstößen gegen diesen Ehrbegriff.
  • das Voranstellen von familieninternen, oft im Gewohnheitsrecht verwurzelten Normen über das Gesetz und die Verfassung.
  • das Provozieren von Eskalationen auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechtsverstößen unter Ausnutzung clantypischer Mobilisierungs- und Bedrohungspotentiale.
  • eine den Rechtsstaat umgehende oder unterlaufende Paralleljustiz.

Dabei definiert das Innenministerium einen kriminellen Clan als eine Gruppe von Personen, die durch eine gemeinsame ethnische Herkunft – überwiegend auch durch verwandtschaftliche Beziehungen – verbunden ist und sich durch die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten jeglicher Deliktsart und -schwere aus diesem Umfeld durch ein hohes kriminelles Potenzial und eine allgemein rechtsfeindliche Gesinnung auszeichnet.

„Clankriminalität stellt Strafverfolgungsbehörden vor große Herausforderungen“

Die niedersächsische Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann erklärte bei der Vorstellung des Lageberichts, dass man vier auf Clankriminalität spezialisierte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Stade eingerichtet habe. Sie würden die Clankriminalität umfassend und nicht erst ab der Schwelle zur organisierten Kriminalität, sondern „bereits deutlich darunter“, bekämpfen.

Zudem erklärte sie: Die Clankriminalität stelle die Strafverfolgungsbehörden „anhaltend“ vor große Herausforderungen und wirke sich neben den objektiv von ihr ausgehenden Gefahren insbesondere auf die subjektive Sicherheit der Bürger negativ aus.

Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit würden mit 1.268 Taten fast ein Drittel der Gesamtfälle ausmachen. Hauptsächlich die Körperverletzungsdelikte mit 763 Fällen seien bei einem Großteil der Rohheitsdelikte auffällig. Bei den Straftaten gegen die persönliche Freiheit mit 452 Delikten liege der Schwerpunkt bei den Bedrohungen mit insgesamt 354 Fällen.

„Phänomenologisch hat sich im Berichtsjahr erneut gezeigt, dass kriminelle Angehörige entsprechender Clanstrukturen äußerst flexibel sich bietende Gelegenheiten ergreifen und in der Lage sind, kriminelle Angebote unverzüglich auf den Markt zu bringen. Gewaltdelikte dominieren jedoch weiterhin das bekannte Hellfeld“, heißt es im Bericht zusammenfassend.

„Null-Toleranz-Strategie“

Die niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden setzten konsequent auf eine Null-Toleranz-Strategie, sagt die Innenministerin. „Das bedeutet erstens hoher Kontrolldruck und zweitens: niedrigschwelliges Einschreiten. Wir schauen hin, wenn kriminelle Mitglieder von Großfamilien ihre Macht zur Schau stellen und greifen konsequent ein.“

Ein besonderes Augenmerk liege auf Verkehrs- und Gewerbekontrollen – ­auch unter Beteiligung kommunaler Behörden wie Ordnungs‐, Finanz‐ und Bauämtern sowie der Gewerbeaufsicht. Ziel sei die eindeutige Botschaft und Realität, dass Rechtsverstöße jedweder Art mit aller Konsequenz verfolgt würden.

Justizministerin Dr. Wahlmann ergänzt: „Aus einem Großteil der Straftaten von Clanmitgliedern spricht eine grundsätzliche Verachtung unserer offenen, demokratischen Gesellschaft und unseres Rechtssystems. Parallelgesellschaften werden wir auch in Zukunft nicht dulden.“

Niedersachsen hätte in ihren Augen inzwischen eine beispielgebende Vorreiterrolle bei der Bekämpfung von Clankriminalität eingenommen.

Während für Grünen-Politikerin Evrim Camuz, Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag, das Lagebild zur Clankriminalität beweise, dass die Ermittler in Polizei und Justiz konsequent gegen Straftaten und kriminelle Strukturen vorgingen, fordert ihr Abgeordnetenkollege, der CDU-Rechtspolitiker Christian Calderone, dass die Landesregierung das Personal für die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und für die Vermögensabschöpfungen aufstocken müsse. Das berichtet das Hamburger Abendblatt.

AfD-Politiker: Landesweite Konzeption fehlt

Für Stephan Bothe (AfD), Innenpolitiker im Niedersächsischen Landtag, gebe es erneut stark steigende Zahlen zu verzeichnen und erneut würde die Innenministerin sie verharmlosen. „Selbst nach den unfassbaren und kriegsähnlichen Ereignissen in Nordrhein-Westfalen, aber auch nach den zahlreichen Vorfällen in Niedersachsen, ist nicht erkennbar, dass die Regierung zum entschlossenen Handeln bereit wäre.“ Seiner Ansicht nach brauche es statt regionaler Netzwerke „endlich eine landesweite Konzeption, um des Phänomens Herr zu werden“.

Durch eine „völlig verfehlte Migrationspolitik seit 2015“ importiere man weiterhin Konflikte – vorwiegend aus dem Nahen Osten. Es benötige „endlich“ eine Zeitenwende in der Migrationspolitik.

Laut einem im März eingereichten AfD-Antrag in den Niedersächsischen Landtag sei die Clankriminalität ein „ausuferndes Problem“, das aufgrund der Migration aus dem arabischen Raum, dem Libanon und Syrien mittlerweile in ganz Deutschland und „insbesondere auch in Niedersachsen“ immer bedrohlicher werde.

Das Spektrum der Straftaten krimineller Großfamilien ausländischer Herkunft sei umfangreich, heißt es dort. „Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, illegales Glücksspiel, Überfälle auf rivalisierende Gruppen, selbst Mord gehören zum Alltagsgeschäft der Clans.“

Daher forderte man damals die Einrichtung eines landesweiten strategischen, behördenübergreifenden Informations- und Lagezentrums zur Bekämpfung der Clankriminalität.

Ihm sollen Vertreter der Landespolizei, der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und der regional vor allem betroffenen Ordnungs- und Ausländerbehörden, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und weitere Vertreter der vor allem von krimineller Clankriminalität betroffenen Gemeinden angehören.

Dort sollten alle Informationen über kriminelle Clan-Akteure sowie deren Strukturen von den kooperierenden Behörden gebündelt sowie die Verbundkontrollen und -einsätze zur Bekämpfung der Clankriminalität geplant und koordiniert werden.

„Mobile Einsatzkommandos technisch besser ausstatten“

Weiter hieß es im Antrag: „Die mobilen Einsatzkommandos sind technisch besser auszustatten. Hierbei soll insbesondere die Möglichkeit der Nutzung von IMSI-Catchern zur Lokalisation und zum Abhören von Handys durch Anschaffung entsprechender Geräte ausgeweitet werden.“ Und zur besseren Nutzung der Funkzellenauswertungen sei eine entsprechende Datenbank einzurichten.

Auch sollten Polizeianwärter zukünftig vor der Einstellung auf etwaige Bezüge zu Clanstrukturen überprüft und die Ausbildungsinhalte an den niedersächsischen Polizeiakademien an die Entwicklung der Clankriminalität angepasst werden.

Faeser will „Allianz gegen Clankriminalität“ bilden

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am 20. Juni an, mit einer „Allianz gegen Clankriminalität“ gegen Straftaten vorgehen zu wollen. Darin sollten Bund und Länder zusammenarbeiten, sagte Faeser der „Bild“. Es sei sinnvoll, die Kräfte der Ermittlungsbehörden zu bündeln.

„Wir müssen kriminellen Clans knallhart ihre Grenzen aufzeigen. Der Staat muss hier Stärke zeigen und darf keinen Millimeter zurückweichen“, betonte Faeser. „Einzelne Nadelstiche sind wichtig, reichen aber nicht aus“, sagte die Ministerin. Kriminelle Strukturen müssten vielmehr „nachhaltig zerschlagen“ sowie Finanzströme und Einnahmequellen gestoppt werden.

Von Kritikern wird Faesers Initiative als PR-Aktion gesehen. Verantwortlichen SPD-Ministern in Bund und Land wird vorgeworfen, nicht die notwendigen Konsequenzen zur Bekämpfung der Clankriminalität zu ziehen. Daher habe CDU-Innenminister Nordrhein-Westfalens Herbert Reul die Teilnahme an einem von Bundesinnenministerin Faeser initiierten Bund-Länder-Treffen abgesagt, heißt es aus politischen Kreisen.



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