„Demokratie ist nichts selbstverständliches“: Perspektivkongress der SPD in Mainz

"Machen wir uns nichts vor: Die Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Deshalb brauchen wir ein Jahrzehnt großer Gesellschaftspolitik, deshalb brauchen wir ein neues Europa und einen neuen Internationalismus." Aus der Rede Sigmar Gabriels in Mainz beim Perspektivkongress der SPD vom Wochenende.
Titelbild
Während einer Demonstration der SPD in Dortmund, 2014.Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images
Epoch Times11. Oktober 2015

Rund 900 Besucher trafen sich am Wochenende auf dem SPD-Perspektivkongress in Mainz, um über "starke Ideen für Deutschland" zu diskutieren. Die SPD wollte starke Ideen für Deutschland 2025 entwickeln – jedoch spielte die Migrantenkrise eine Hauptrolle.

In der Eröffnungrede von Sigmar Gabriel heißt es unter anderem:

"An vielen Tagen der letzten Wochen waren es 10.000 Menschen, die zu uns geflohen sind. Mehr als eine Million Flüchtlinge nimmt Deutschland dieses Jahr auf. Seit der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hat es in Europa nicht mehr solche Fluchtbewegungen gegeben."

"Die Menschen in Deutschland fragen: wie soll das weiter gehen? Schaffen wir das wirklich? Was bedeutet das für mein Leben und das meiner Kinder? Bekommen wir neue Konkurrenz am Arbeits-und Wohnungsmarkt? Auf wieviel müssen wir verzichten, um den Flüchtlingen helfen zu können? Bleibt Deutschland das Land, das wir kennen und schätzen?

Oder verändert es sich? Und wenn ja, wohin?

Darauf wollen die Menschen Antworten. Politische Antworten. Phantasie und auch Mut sind gefordert. Aber auch Realismus und Pragmatismus.

Es ist eine Zeit, die keine kleine, sondern eine große Gesellschaftspolitikerfordert: bei uns in Deutschland und erst Recht in Europa. Und wir Sozialdemokraten sind auch Experten für Großes. Kleines können die anderen auch."

Und weiter in der Rede:

"Und die Antworten, die von dort auf die Fragen der Menschen kommen, sind das genaue Gegenteil von dem, was die Kanzlerin fordert. Die Union pendelt zwischen dem "Wir schaffen das" Angela Merkels und dem "Grenzen zu" von Horst Seehofer.

Und die Wahrheit ist: beide Antworten – das bedingungslose Credo der Kanzlerin "wir schaffen das" ebenso wie Horst Seehofers "Grenzen dicht"- sind eigentlich Ausdruck von Hilfslosigkeit. Wir dürfen uns auf diese Auseinandersetzung gar nicht einlassen. Es sind falsche Alternativen. Denn in Wahrheit geht es doch um die Bedingungen, unter denen wir es schaffen können."

Jedes Jahr eine Million Migranten – das schaffen wir nicht

Weiter Sigmar Gabriel im Original:

"Denn jeder weiß doch, dass wir es nicht bedingungslos und auf Dauer schaffen, jedes Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufzunehmen. Auch Angela Merkel weiß das, aber spricht es nicht aus. Und sie sucht den Ausweg …"

Und weiter: "Bei all dem gibt es aber eine besondere Aufgabe der Sozialdemokratie. Wir müssen den Riss durch die Gesellschaft verhindern, wir müssen die ganze Gesellschaft zusammen haltenund diese Gesellschaft stark machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Land ins Schwanken gerät!

Wir haben deshalb die doppelte Integrationsaufgabe:

• Die Integration der Flüchtlinge, die zu uns kommen zu schaffen.

• Und die Integration und den Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft zu sichern.

Beides darf man nicht gegeneinander ausspielen."

Nach dieser Einleitung wird es etwas konkreter. Hier die wichtigsten Punkte als Zitate aus der von der SPD verbreiteten Rede.

"Was heißt das nun für die SPD konkret:

1. Den Menschen immer die Wahrheit sagen. Das heißt, keine Versprechen machen, die wir nicht halten können. Und zu der Wahrheit gehört, dass wir keine schnellen Lösungen haben. Dass die Menschen, die sich auf den Weg zu uns nach Europa und Deutschland machen, nicht durch geschlossene Grenzen und nicht einmal durch Zäune aufgehalten werden können.

2. Keine Tabuzonen errichten. Wir Demokraten und vor allem wir Sozialdemokraten müssen auch denen zuhören, die nicht glauben, dass wir es schaffen, so viele Menschen zu integrieren. Oder die Angst davor haben, dass sie sich nicht mehr zuhause fühlen.

3. Täglich zeigen, dass eine solidarische Flüchtlingspolitik nicht bedeutet, dass andere darunter leiden müssen. Wir müssen also ausreichend Lehrer, Erzieher, Polizisten einstellen, damit Kitas nicht überfordert, Schulklassen nicht zu groß und Straftaten überallabgewehrtwerden.Manuela Schwesig kämpft zu Recht dafür, dass der Kita-Ausbau weiter vorangehen kann … 

Kein Ausspielen von Flüchtlingen und heimischer Bevölkerung in Deutschland: Wenn wir jetzt Wohnungsbau machen, dann keinen Flüchtlingswohnungsbau, sondern bezahlbare Wohnungen für alle, die sie in unseren Großstädten seit Jahren suchen. Dafür macht sich Barbara Hendricks in der Bundesregierung stark …  Und vor allem: keine Leistungskürzungen und kein Verzicht auf die dringend notwendigen sozial-und bildungspolitischen Initiativen in Deutschland.

4. Integration beginnt mit Sprache, Qualifikation und Arbeit. Es ist wirklich unsinnig, junge Menschen zwar in die Ausbildung zu lassen, ihnen aber nach erfolgreicher Ausbildung nicht die Sicherheit zu geben, dass sie in ihrem Ausbildungsbetrieb auch arbeiten können. Das Handwerk und die Arbeitgeberverbände haben Recht:dieses dumme Arbeitsverbot muss weg…

5. All diejenigen tatkräftig unterstützen, die jeden Tag Hilfe leisten. … Deshalb müssen wir jetzt das umsetzen, was wir gerade eben beschlossen haben: schnellereVerfahren zur Prüfung und Anerkennung von Asyl-und Flüchtlingsstatus. Übrigens auch: schnelle Rückführung derjenigen, die nicht bei uns bleiben können. Denn wir brauchen jeden Platz für diejenigen, die wirklich unseres Schutzes bedürfen. Vor allem aberbrauchen wir jetzt dieSprachkurse, Aus-und WeiterbildungundQualifizierung. Denn nichts ist besser für die Integration als Ausbildung und Arbeit. Das wird uns helfen, den drohenden Fachkräftemangel zu bekämpfen. Denn noch haben wir durch die demografische Entwicklung ein Riesenproblem vor uns:

6. Integration fördern aber auch einfordern. Alle die kommen und bleiben wollen, müssen wissen und lernen, was für ein Land Deutschland ist. Was es für uns heißt, frei zu leben. Deutschland ist kein beliebiges Land und ja, wir haben eine Leitkultur: die ersten 20 Artikel unserer Verfassung …

7. Wir brauchen eine europäische Flüchtlingspolitik, die ihren Namen Wert ist. Mit gemeinsamen und menschenwürdigen Standards, gemeinsamen Verfahren und auch einer Verteilung der Flüchtlinge in Europa. … Für viele scheint die EU so eine Art Zugewinngemeinschaft zu sein, bei der man mitmacht, wenn man Geld kriegt. Und bei der man sich in die Büsche schlägt, wenn gemeinsame Verantwortung zu tragen ist. Zur Wahrheit gehört aber auch: Deutschland hat viele Sympathien in Europa verspielt, die in Jahrzehnten von Adenauer über Brandt, Schmidt bis zu Helmut Kohl aufgebaut wurden. In den letzten Jahren haben wir uns wie die Schulmeister aufgeführt …

8. Wir brauchen weit mehr Hilfe für die Länder, aus denen die Menschen jetzt zu uns kommen: für Jordanien, den Libanon und auch für die Türkei. Dort lebt die Masse der Flüchtenden in schlimmen Verhältnissen. Menschen, die eigentlich die Hoffnung haben, zurückkehren zu können in ihre Heimat. Deren Leben aber wegen der viel zu geringen internationalen Hilfe so schwierig geworden ist, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ihre Zelte abbrechen, um in Europa Zuflucht zu finden…

9. Gemeinsame Initiativen der Europäer für einen erneuten Anlauf für einen Waffenstillstand in Syrien …"

Interessant ist im Punkt 9:

"Denn machen wir uns nichts vor: Die Demokratie ist nichts Selbstverständliches. Deshalb brauchen wir ein Jahrzehnt großer Gesellschaftspolitik, deshalb brauchen wir ein neues Europa und einen neuen Internationalismus."

Weitere Informationen unter https://perspektivdebatte.spd.de/kongress/ (ks)



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