Ver.di weitet Kitastreik aus und fordert mehr Geld und Anerkennung für soziale Berufe

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Ständiges Multitasking in der Kita, denn alle Kinder wollen etwas, alle Kinder fordern Aufmerksamkeit und sollen auch gefördert werden.Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Wieviel Streik ist notwendig, um den Wert einer Arbeit angemessen zu entlohnen? Dafür gehen ab 11. Mai hunderttausende Menschen auf die Straße!

Die Frage nach dem Wert der Arbeit in allen sozialen Berufen ist mittlerweile eskaliert, und ab Montag stehen bundesweit unbefristete Kitastreiks an. Dies gilt allerdings nur für öffentliche Einrichtungen.

In Kindergärten der evangelischen und katholischen Kirche wird der laufende Betrieb aufrechterhalten. Hier warten die Kirchenverbände den Ausgang des Streiks ab, und es gilt dann zu prüfen, inwieweit der neue Tarif übernommen wird. In Trägergemeinschaften, in denen der Lohn schon per se niedriger ist als in den öffentlichen Einrichtungen. Der Herr wird’s schon (eventuell) geben…

Schon Friedrich Fröbel erkannte Mitte des 19. Jahrhunderts, dass Kinder besonders gefördert und auf das Leben vorbereitet werden müssen, sollen sie eines Tages die Stützen der Gesellschaft darstellen. 1839 gründete der Pädagoge in Thüringen den ersten Kindergarten und richtete ab 1849 Seminare für die Kindergärtnerinnen ein. Massiv warb er für eine gute  Ausbildung der Erzieherinnen sowie ein Ernstnehmen der kleinen Menschen, die auch heute nicht nur die Zukunft unserer Gesellschaft bestimmen werden, sondern tatsächlich auch ein wertvoller Teil unserer Gegenwart sind.

Und diese Verantwortung kann kein Elternteil am frühen Morgen in der Kita abgeben und hoffen, dass das schon die anderen für sie regeln. Irgendwie. Da sollte man schon zumindest Anerkennung spenden und für Gehaltserhöhungen plädieren. Aber die Arbeitgeber zeigen sich bisher nicht sehr verständnisvoll, wenn es um eine angemessene Bezahlung geht.

Der ver.di Aufruf: „Richtig gut! Aufwerten jetzt!“

Die Forderung nach einer Aufwertung des Berufes der Erzieherinnen und Erzieher und der Pädagoginnen und Pädagogen wird massiv von ver.di, der GEW und den Betroffenen eingefordert. Die Eingruppierungen anzuheben, und der von Grundschullehrern anzugleichen, wird von vielen kritisiert. Der ver.di Aufruf: „Richtig gut! Aufwerten jetzt!“ setzt sich schon seit September 2014 mit dieser Kampagne für höhere Gehälter von Erziehern und Erzieherinnen und Kinderpflegern und Kinderpflegerinnen ein. Die Realität dieser Berufe zwingt jeden von uns darüber nachzudenken, wieviel uns eigentlich Kinder und deren frühkindliche Bildungschancen wert sind?

Am 24. November 2014 begann die bundesweite Kampagne von ver.di. In dieser bevorstehenden Tarifrunde geht es um die Aufwertung der Berufe und eine angemessene Bezahlung. Die Gewerkschaft will erreichen, dass alle Beschäftigen in diesem Bereich besser eingruppiert werden. Die neue Eingruppierung soll für jeden eine Gehaltserhöhung von durchschnittlich 10 Prozent bringen. Laut ver.di würde es vorwiegend die Chance bieten, dass sich vor allen Dingen auch TeilzeitarbeiterInnen nicht mit einem Zweitjob belasten müssten, um ein Auskommen zu haben. Auch der wirtschaftliche Druck, sich privat um eine zusätzliche Altersvorsorge kümmern zu müssen, könnte mit einem höheren Lohn die Angst vor der Altersarmut nehmen.

Denn die Altersarmut in Deutschland wächst rasant! Und es trifft bisher überwiegend die Frauen.

Körperliche und psychische Überlastungen

Kinder spiegeln die Welt der Erwachsenen wider und die Gesellschaft, in der sie groß werden. Der Lärm eines D-Zuges offenbart die Lautstärke, der die Erzieher und Erzieherinnen über neun Stunden ausgesetzt sind, wenn es auch mal ruhigere Phasen gibt. Bei dieser Lautstärke versuchen die Kinder ihre Ängste zu kompensieren, dem enormen Stressfaktor entgegenzuwirken, gepaart mit einer Hilflosigkeit, sich über Stunden in der Gruppe zu behaupten. Kleine Erwachsene, die unbewusst ihren familiären Umgang von zuhause mittragen. Manche sind natürlich auch einfach fröhlich in ihrer Kita.

Ein Blick hinter die Kulissen der Kitas genügt und man weiß sofort, dass die KinderbetreuerInnen tagtäglich mehr tun als nur spielen und basteln. Nicht nur die Eltern, auch die Gesellschaft erwartet ein umfassendes Angebot an Bildung, Betreuung, Förderung, Erziehung und individueller Aufmerksamkeit, plus Sonderwünsche, wenn es sich denn um eine Integrationseinrichtung handelt.Hier wird dann nicht mehr zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern unterschieden, es soll ja möglichst alles integrativ zu einer homogenen Gruppe zusammenwachsen. Und das nicht selten über neun Stunden täglich.

Körperliche und psychische Überlastungen, niedriges Einkommen, Burn-Out und ein Mangel an Fachkräften führten zu einer Art Aufschrei vieler sozialer Berufsgruppen, die sich nicht länger mit schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigem Lohn abfinden wollen und auch nicht mehr können.

Keine Aufstockung von Stellen

Wie konnte es dazu kommen, dass mit einer Selbstverständlichkeit die Kinder über Stunden anderen Menschen anvertraut werden, diese aber bis zum Rand ihrer Belastbarkeit körperlich und psychisch so viel mehr leisten müssen und viel mehr tun, als eigentlich zumutbar ist?

Die Kinder werden in ihrer Entwicklung begleitet, besonders gefördert, und der Anspruch der Gesellschaft und der Eltern an die heranwachsende Generation wird gerne am Morgen hier einfach mit abgegeben. Obwohl es inzwischen für jedes dritte Kind unter drei Jahren in Deutschland einen Betreuungsplatz gibt, hat es aber kaum eine Aufstockung von Stellen gegeben. Die Anzahl der ErzieherInnen ist nicht größer geworden. Wie in vielen Berufen herrscht auch hier ein Mangel an Fachkräften.

Erziehung, Bildung, soziales Verhalten und frühkindliche Förderung

In einem Gespräch konnte die Berlinerin Christin D., die sich gerne als Frühkindliche Pädagogin bezeichnet, ein wenig vom Alltag aus ihrer Kita berichten, einem öffentlichen Kindergarten.

Vorerst trifft der allgemeine Streik nicht die Kitas in Berlin und Brandenburg. Trotzdem findet sie den Streik richtig, und sollte sich eine Lohnerhöhung ergeben, würden auch alle Erzieherinnen in Berlin und Brandenburg davon profitieren. Von daher unterstützt sie bundesweit die Aktion.

[–Aus dem Alltag einer Erzieherin–]

Christin D. arbeitet seit 25 Jahren in ihrem Beruf, hat ihre Ausbildung in der DDR absolviert. Mit einem Fachstudium konnte sie sich immer als Frühpädagogin bezeichnen, ein Begriff den sie dann in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr tragen durfte. Die Diskrepanz zwischen der DDR und BRD hatte sie sofort zu spüren bekommen. In der DDR hatte der Beruf der Erzieherin schon immer einen höheren Stellenwert als in der Bundesrepublik Deutschland.

Besonders in den letzten zehn Jahren konnte sie beobachten, wie sich die Anforderungen immens steigerten. Am deutlichsten spürte sie den Druck, als der Staat in das Erziehungsgeld eingriff, was ihrer Meinung nach die Eltern zwang, schneller wieder in den Beruf zurückzukehren. In dem Moment, als die Kinder mit einem Jahr abgegeben wurden, wuchsen auf allen Seiten der Stress und der Druck, den verlorenen familiären Status halbwegs auszugleichen.

Das Gefühl, dass die Kinder ganz gerne einfach abgegeben werden und auch damit die Verantwortung, ist eine Beobachtung, die Christin besonders in den letzten Jahren glaubt festzustellen. ErzieherInnen haben plötzlich all das aufzufangen, was die Familie nicht mehr leisten kann: Erziehung, Bildung, soziales Verhalten und frühkindliche Förderung.

Besonders in sogenannten bildungsfernen Familien sind diese Kinder oft komplett mit der Situation überfordert, den normalen Alltag in der Kita über neun Stunden durchzustehen. Zusätzlich erschwerend sind die Sprachprobleme, besonders für Kinder aus Migrationsfamilien. Da ist oft keine homogene Gruppenführung mehr möglich.

[–Personalschlüssel zwölf zu eins – ein Unding–]

Der Stressfaktor ist bei den Kleinstkindern deutlich gestiegen. Sie sieht sich oft in der Zwickmühle, nicht allem gleichzeitig gerecht werden zu können. Es herrscht ein Mangel an Fachkräften, aufgefangen wird das Pensum mit TeilzeitarbeiterInnen, die dann aber nicht selten zum nächsten Halbtagsjob hetzen.

Das größte Problem sieht sie definitiv im Personalschlüssel. Eigentlich sollten laut Plan drei Kinder auf eine Erzieherin oder Erzieher kommen. Mittlerweile liegt der Schnitt bei zwölf zu eins. Im Glücksfall kommt noch eine Halbtagskraft dazu.

Umdenken auch auf Seiten der Arbeitgeber?

Der Druck, der auf die Eltern vom Arbeitgeber weitergegeben wird, überträgt sich aufs Kind. Aus Angst vor einer Kündigung wird nicht selten ein krankes Kind, das mit Medikamenten „ruhiggestellt“ ist, pünktlich um 8 Uhr morgens abgegeben, und die Verantwortung an die ErzieherInnen weitergereicht.

Christin D. fordert ein allgemeines Umdenken auch auf Seiten der Arbeitgeber. Ein Mehr an Verständnis für ArbeitnehmerInnen mit Kindern. Die 20 Tage, die jedem Elternteil zustehen, um ein krankes Kind betreuen zu können, nehmen die meisten nicht an, aus Angst die Stelle zu verlieren. Ihrer Meinung nach sollte jeder Arbeitgeber einen Obolus an Eltern des Betriebes zahlen, um sich der Verantwortung bewusst zu werden, dass seine Angestellten auch woanders eine Verantwortung mitzutragen haben.

Der psychische Druck

Auch das Phänomen der veränderten Familienstrukturen hat viel dazu beigetragen, dass die Kinder in Christins Augen viel gestresster erscheinen. Es gibt sehr viele Alleinerziehende, Trennungskinder, und all diese traumatischen Erlebnisse werden ebenfalls gerne in der Kita abgegeben.

Der psychische Druck, den eine Erzieherin heute aushalten muss, ist dermaßen immens, wenn wirklich all die Probleme und Sorgen der Kinder aufgefangen werden sollen. Hinzu kommt das ständige Multitasking, denn alle Kinder wollen was, alle Kinder fordern ihre Aufmerksamkeit. Die Vorstellung, bis zum Alter von 65 diesen Beruf auszuüben oder sogar noch länger, ist für Christin nicht annehmbar. Ihrer Erfahrung nach sind die meisten mit 55 körperlich und psychisch dermaßen verbraucht, dass ihnen nur noch der Gang zum Arzt bleibt, sich krank zu melden. Was wiederum einen Ausfall an Arbeitskraft mit sich bringt.

Respekt für die Arbeit

Christin arbeitet zudem in einem Kindergarten, der auf die Integration von behinderten Kindern großen Wert legt. Für diese Kinder ist jedoch nur eine halbe Stelle vorgesehen, also zum Beispiel täglich der Vormittag.

Sie fragt zu Recht: kann das gehbehinderte Kind in der zweiten Hälfte des Tages plötzlich normal gehen? Und das autistische Kind? Ist es am Nachmittag mit einem Male in der Lage, sich ganz normal in die Gruppe zu integrieren? Was ist mit dem Kind, das Diabetes hat? Stimmen am Nachmittag die Insulinwerte? Alles Zustände, die weder bei der Ausbildung berücksichtigt werden, noch im Stellenschlüssel, noch in der Bezahlung. Auch glaubt sie, dass die kostenlose Kitanutzung für die Eltern falsche Signale sendet. Der Respekt für die Arbeit wird von vielen nicht gezollt, alles ist selbstverständlich geworden. Elternabende arten nicht selten in eine Therapiesitzung für die Eltern aus.

[–Kein traumhaftes Gehalt–]

Mit einem Gehalt von 3400 Brutto empfindet Christin ihre umfangreiche Arbeit als unterbezahlt. Sie wird noch über 20 Jahre weiterarbeiten müssen, mit keiner nennenswerten Gehaltserhöhung. Die Forderung von ver.di würde ihr etwas über 330 Euro mehr geben. Brutto. Sie weiß heute schon, dass sie als Rentnerin keine großen Sprünge machen kann.

Galt der Beruf der Erzieherin noch lange als reine Frauensache, setzt sich so langsam im 21. Jahrhundert tatsächlich durch, dass Kinder definitiv bei beiden Geschlechtern gut aufgehoben sind. 12 Prozent der Stellen für Kinderpädagogen sind von Männern besetzt. Ein Armutszeugnis einer angeblich modernen globalisierten Gesellschaft. Was heißt es denn genau, als Mann in einer Frauendomäne zu arbeiten und sich hier zu behaupten? Und wird der Mann hier besser bezahlt als seine Kolleginnen?

Ein wichtiger Teil des Kinderlebens ohne Männer?

Christoph R. aus Hamburg darf ebenfalls nicht mitstreiken, da er als Kindergärtner in einer evangelischen Einrichtung arbeitet. Aber genau wie Christin verfolgt er interessiert, was der Streik denn letztendlich bringen wird. Denn natürlich hofft er auf einen positiven Ausgang des Streiks, und dass damit ein Umdenken bei den Kirchenverbänden einsetzt. In welcher Form sie der Lohnerhöhung zustimmen, wird maßgeblich von den Kirchenverbänden bestimmt.

Sein Gehalt liegt bei 3100 Euro, brutto. Zudem stellt er immer wieder fest, dass er in einer Frauendomäne arbeitet. Die Angst, dass nun die Männer diesen Bereich wegnehmen, bekommt er tagtäglich zu spüren. Den Versuch, andere Blickperspeketiven mit einzubringen, stößt nicht selten auf Widerstand dank alter Gepflogenheiten.

Christoph erklärt, dass gerade in seinem Berufszweig die Menschen mehr als mit Leib und Seele dabei sind. Man trägt die Verantwortung für so viele junge Menschen, denn einen ganz wichtigen Teil ihres Lebens verbringen sie mit den Erziehern. Und letztendlich übergeben sie die Kinder dann an die Schulen weiter. Alles, was an Grundlagen angelegt ist, kann in den Schulen weiter entwickelt werden. Alles, was versäumt wurde, wird sich eventuell über die gesamten Schuljahre hinweg ziehen. Denn die individuelle Betreuung wird definitiv nicht in den Schulen fortgesetzt.

Die vollen Terminkalender

Auch Christoph beobachtet, dass sich die Kinder besonders in den letzten zehn Jahren verändert haben. Die permanent wechselnden Lebensweisen der Eltern, der ewige Zeitmangel haben sich komplett auf die Kinder übertragen. Gestresst, überfordert werden die ebenfalls gestressten und überforderten Kinder abgegeben. Von den Eltern wird aber weiter der Förderbedarf an ihren Kindern eingefordert. Er erwartet allerdings auch ein größeres Engagement seitens der Eltern. Denn nur die Kinder abzugeben und abends müde wieder abzuholen, bringt nichts. Zudem beobachtet er, dass die Terminkalender der Kinder mehr als voll sind. Hat eines der Kinder den Luxus früher abgeholt zu werden, wird es gleich in die nächste Gruppe gesteckt, sei es Musikalische Früherziehung, Sport oder Englisch für kleine Menschen.

Der Lebensweg dieser jungen Menschen ist mehr als steinig geworden. Und Erzieher können nicht dafür da sein, permanent die Steine aus dem Weg zu räumen. Auch ihnen schwinden langsam die Kräfte.

Die Aufwertung dieses Berufes mit Geld und öffentlicher Anerkennung ist mehr denn je notwendig, wollen wir eines Tages die Welt in guten Händen wissen!



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