„Erneuerbare liefern mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs“ – aber nur auf dem Papier

52 Prozent des deutschen Stroms werde im Jahr 2023 aus erneuerbaren Energien sein. Mit dieser vermeintlichen Jubelmeldung bereiten Energieforscher vielen ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk. Einem Faktencheck hält die Aussage indes nicht stand.
Titelbild
Windenergie wird rechnerisch 2023 voraussichtlich 22 Prozent des deutschen Stromverbrauchs decken. Das entspricht jedoch nur 3,5 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs.Foto: iStock
Von 20. Dezember 2023

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

„Erstmals entfiel mehr als die Hälfte des Bruttostromverbrauchs in Deutschland auf erneuerbare Energien. Insgesamt wird so viel Strom klimaneutral erzeugt wie noch nie zuvor.“ Das verkündete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Montag (18. Dezember) unter Berufung auf das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

ZSW und BDEW gehen für 2023 dabei von einem Bruttostromverbrauch von rund 517,3 Milliarden Kilowattstunden aus. Davon werde „im zu Ende gehenden Jahr knapp 52 Prozent […] auf erneuerbare Energien“ entfallen. Das seien fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.

„Die Zahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, erklärte in diesem Zusammenhang die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae. Der Weg zu einer vollständig klimaneutralen Stromversorgung sei aber kein Selbstläufer, so Andreae weiter. „Die zweiten 50 Prozent schaffen wir nur, wenn die Politik alle Hürden für den Erneuerbaren-Ausbau konsequent weiter aus dem Weg räumt.“

Rekorde bei „klimaneutraler Stromerzeugung“

Weiter heißt es in der Mitteilung von dpa:

„Auf besonders hohe Anteile kamen die Erneuerbaren im Juli (59 Prozent), Mai (57 Prozent) sowie Oktober und November (jeweils 55 Prozent). Im Juni habe die Stromerzeugung aus Sonnenlicht mit 9,8 Milliarden Kilowattstunden einen neuen Allzeit-Rekord erreicht. Windenergie an Land erzielte ebenfalls einen neuen Jahresrekord mit 113,5 Milliarden Kilowattstunden. Auch insgesamt wurde mit 267,0 Milliarden Kilowattstunden so viel Strom klimaneutral erzeugt wie noch nie zuvor.“

Zusammen mit dem prognostizierten Jahresstromverbrauch von 517,3 Milliarden Kilowattstunden ergibt sich – zumindest auf dem Papier –, dass 51,98 Prozent und damit mehr als die Hälfte erneuerbar waren. Allein Windkraft konnte rechnerisch 22,09 Prozent des benötigten Stroms liefern. Das ist ohne Frage nur durch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland erreichbar gewesen. Die physikalische Realität ist etwas komplexer als diese Rechnung.

Da das Jahr 2023 noch nicht beendet ist, sind Aussagen über Jahreswerte zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich Schätzungen. Zudem kann auch der Verbrauch von Strom nicht erneuerbar sein, allenfalls die Stromerzeugung. Beide Begriffe sind außerdem fachlich falsch, unabhängig vom allgemeinen Sprachgebrauch. Strom – also elektrische Energie – kann weder„ erzeugt“ noch „verbraucht“ werden, sondern nur aus oder in andere(n) Energieformen wie Licht, Wärme und Bewegung umgewandelt werden.

Zugunsten des besseren Verständnisses soll im folgenden dennoch weiter von Verbrauch die Rede sein. Darüber hinaus gibt es weitere Faktoren, die den tatsächlich genutzten Strom weitaus weniger „grün“ machen:

Strom ist nicht gleich Energie

Ist von Stromverbrauch die Rede, denken viele an Energieverbrauch. Dies ist nicht falsch, beschreibt jedoch den sprichwörtlichen Vergleich von Äpfeln und Birnen beziehungsweise von Äpfeln und Obst im Allgemeinen.

Elektrische Energie macht nur etwa ein Sechstel des sogenannten Primärenergieverbrauches aus. 2022 betrug dieser laut Umweltbundesamt insgesamt 3.264 Terawattstunden (TWh), wovon etwa 552 TWh auf Strom entfielen. Hinzu kommt Energie zum Heizen – meist in Form von Gas, Öl, Biomasse und Kohle – sowie Treib- und Kraftstoffe. Die Aussage „50 Prozent grüner Strom“ ist daher etwa gleichbedeutend mit „8,5 Prozent grüne Primärenergie“.

Geothermie und Biomasse einschließlich Holz zählen ebenfalls als erneuerbare Energien, sodass auch Wärme grün sein kann. Zusätzlich gibt es Autos, die ausschließlich mit Solarstrom oder Biokraftstoffen unterwegs sind. Somit lag der erneuerbare Anteil der Primärenergie nach Angaben des Bundesumweltamtes 2022 bei etwa 17,6 Prozent. 1990 waren nur etwa 1,3 Prozent „erneuerbar“, dafür stammten 11,2 Prozent der Energie aus Kernkraftwerken.

Sinkende Vergleichsgrößen begünstigen Erneuerbare

Im April 2023 sind auch die letzten deutschen Kernkraftwerke vom Netz gegangen, sodass der Anteil an CO₂-freiem Kernstrom auf null sinken wird. Kernkraftwerke sind jedoch nicht die einzigen abgeschalteten Kraftwerke. Solange dafür kein Ersatz besteht, kommt der fehlende Strom aus den Nachbarländern. Werden deutsche Kraftwerke abgeschaltet, sinkt damit eine häufig verwendete Bezugsgröße: die inländische Stromerzeugung.

Anfang Dezember erklärte das Statistische Bundesamt diesbezüglich, „die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist im 3. Quartal 2023 […] auf einen Anteil von 60,2 Prozent des insgesamt erzeugten Stroms“ gestiegen. Hinter dem steigenden Anteil des „in Deutschland erzeugten Stroms“ steckt jedoch vor allem der gestiegene Stromimport seit dem Vollzug des Atomausstiegs. Importierter Strom fließt allerdings nicht in die deutsche Statistik ein, sodass die Bezugsgröße – die Stromerzeugung – gesunken ist.

Mit anderen Worten, solange die Erzeugung der Erneuerbaren weniger stark sinkt als die der konventionellen Quellen, steigt der erneuerbare Anteil auch dann, wenn Wind, Sonne & Co. weniger Strom liefern würden. Das Gleiche gilt, wenn die Industrie eigene Kraftwerke betreibt. Diese zählen ebenfalls nicht zur statistisch erfassten innerdeutschen Stromerzeugung. Ebenso wenig wird die CO₂-Bilanz des importierten Stroms berücksichtigt. Polnischer Kohlestrom scheint in den Statistiken daher weniger schädlich als jener aus deutschen Kohlekraftwerken.

„Stromwäsche“ wandelt Fossiles in Erneuerbare

Die Zahlen ignorieren ebenfalls die zeitliche Differenz zwischen Stromerzeugung und -verbrauch. So ist es erforderlich, dass in jedem Augenblick exakt so viel Strom bereitsteht, wie benötigt wird. Wind und Sonne sind jedoch wortwörtlich eine Laune der Natur und richten sich nicht nach den Wünschen der Stromkunden.

So liefern Wind und Sonne tagsüber oft mehr Energie als benötigt. Aufgrund des Einspeisevorrangs wird diese dennoch ins Netz eingespeist und es muss ein Abnehmer gefunden werden, teilweise gegen Geld. Sprich, die Abnehmer des Stroms werden zusätzlich dafür bezahlt, dass sie unseren Strom verbrauchen. Was Deutschland nicht selbst verbrauchen kann, wird exportiert.

Andererseits richtet sich der Stromverbrauch nicht nach Sonne und Wind. Können die deutschen Kraftwerke den Bedarf nicht decken, wird wiederum Strom importiert.

Da auch im europäischen Ausland zu diesem Zeitpunkt Nacht ist und der Wind allenfalls schwach weht, ist der importierte Strom nur in begrenztem Umfang erneuerbar. Dabei ist es physikalisch unmöglich, die Stromherkunft nachzuweisen. Der importierte Strom entspricht – mehrheitlich – dem im jeweiligen Land und zum jeweiligen Zeitpunkt im Netz verfügbaren Strommix.

Ein Beispiel: Deutschland benötigt 100 Einheiten Strom und kann davon 50 grün erzeugen. Während der Phase der grünen Stromerzeugung kann Deutschland aber nur 30 Einheiten Strom nutzen, sodass die übrigen 20 Einheiten grüner Strom ins Ausland gehen.

Später, wenn Deutschland 20 Einheiten Strom benötigt, muss dieser importiert werden. Statt grünem Strom kommt allerdings „bunter“ zurück. Damit hat Deutschland zwar rechnerisch die Hälfte des eigenen Verbrauches grün erzeugt, trotzdem aber tatsächlich 70 Einheiten nicht grünen Strom genutzt.

Das heißt, „grün“ erzeugter Strom wird in Deutschland nicht nur nicht genutzt, sondern auch für hohe Geldbeträge gegen „bunten“ Strom aus dem Ausland getauscht, der dann in Deutschland verbraucht wird. Die Aussage, dass „über die Hälfte des Stromverbrauchs grün“ ist, ist also eine Milchmädchen-Rechnung. Eine Art Geldwäsche, um aus (teil)fossilem Importstrom grünen Inlandsstrom zu machen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion