Thüringen: Vertrauen in staatliche Institutionen auf tiefstem Wert seit 16 Jahren

Laut einer Umfrage in Thüringen wächst unter den Mitteldeutschen die Unzufriedenheit mit der Politik. Zunehmend fühlt man sich als „Ostdeutscher“ „abgehängt“ und die Politikverdrossenheit nimmt stark zu. Viele sehen ein Handeln der Volksvertreter gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung. Das Ergebnis wirkt alarmierend.
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Demonstranten in Erfurt.Foto: JENS SCHLUETER/AFP via Getty Images
Von 24. Mai 2023

Die Hälfte der Menschen in Thüringen ist unzufrieden mit der Demokratiepraxis im Land. Dies zeigen die Daten der repräsentativen Langzeitstudie „Thüringen-Monitor 2022“, die am Freitag, 19. Mai, veröffentlicht wurden.

In den Jahren 2020 und 2021 hingegen waren die Thüringer mit der Demokratie im Land noch überdurchschnittlich zufrieden. 2022 gab es dann einen starken Einbruch um minus 17 Prozentpunkte auf nur noch 48 Prozent, was die Zufriedenheit mit der Demokratiepraxis und das Vertrauen in die staatlichen Institutionen betrifft. Damit liegen die Werte von 2022 auf dem niedrigsten Niveau seit 16 Jahren.

Dies zeigt sich insbesondere bei Bürgern in den ländlichen Regionen, die sich von der Bundes- und Landespolitik „abgehängt“ fühlen. Hier sanken die Zustimmungsraten auf nur noch 41 Prozent.

In den großen Thüringer Städten hingegen betrug die Gruppe der „Zufriedenen“ fast zwei Drittel (64 Prozent). Und das, obwohl – unabhängig von Stadt und Land – weiterhin mehr als vier von fünf Thüringer die Demokratie als politische Idee weiter unterstützen. Dabei wird sie auch als beste aller Regierungsformen bezeichnet. Wichtig dabei ist zu beachten, dass die Umfrage in der Hoch-Zeit der Energiepreiskrise und der höchsten Inflation seit mehr als 70 Jahren im Herbst 2022 durchgeführt wurde.

Thüringer besonders enttäuscht von Bundespolitik

Besonders enttäuscht zeigen sich die Thüringer dabei von der Bundespolitik. So gab die große Mehrheit von 70 Prozent der Befragten in Thüringen an, dass sich die Politiker in Berlin nicht ausreichend für die Region, in der sie leben, interessiere. Ebenso viele sind der Ansicht, dass die Politik in Berlin zu wenig getan habe, um die wirtschaftliche Situation ihrer Region zu verbessern.

Ähnlich, jedoch abgeschwächt, denken dies die Thüringer auch über ihre Landespolitik. Hier sind es 53 Prozent der Befragten, die denken, dass sich die Landespolitik nicht ausreichend für die wirtschaftliche Entwicklung in ihrer Region eingesetzt hat, und 41 Prozent denken, dass sich Erfurt nicht ausreichend für ihre Region interessiert.

Aber auch kulturell fühlen sich viele Thüringer „abgehängt“. Dies drückt sich für das Autorenteam der Studie darin aus, dass 37 Prozent der Thüringer angaben, dass die Menschen im Rest von Deutschland nicht die Lebensweise in der jeweiligen Region verstehen und respektieren würden.

Gefühl des „Abgehängtseins“ überall in Thüringen

Insgesamt ist das Gefühl des „Abgehängtseins“ kein Phänomen, das ausschließlich in ländlichen und peripheren Regionen vorzufinden sei, heißt es in der Auswertung. Stattdessen gebe es diese Wahrnehmung der Benachteiligung überall in Thüringen. Sie sei aber in den ländlichen Regionen noch einmal stärker ausgeprägt, stellen die Autoren fest.

Ein ähnlicher Trend besteht auch hinsichtlich des Vertrauens in die Bundesregierung. So sank das Vertrauen in die Bundesregierung das zweite Jahr in Folge und ging um 15 Prozentpunkte auf aktuell 22 Prozent stark zurück.

Thüringer Landesregierung vertrauen nur noch 40 Prozent

Auch der Thüringer Landesregierung vertrauen inzwischen nur noch 40 Prozent der Befragten (im Vergleich zu 53 Prozent im Jahr 2020). „In den ländlichen Regionen liegen die Werte nochmals deutlich niedriger und damit auf einem äußerst niedrigen Niveau“, stellt das Autorenteam fest.

Auffällig für die Autoren war in dem Zusammenhang, dass das geringe Vertrauen in staatliche Institutionen und die niedrige Demokratiezufriedenheit nicht zu einem Anstieg der Zustimmung zu alternativen Gesellschaftsordnungen wie Diktatur und Nationalsozialismus geführt hat.

„Sie werden nun von so wenigen Thüringern unterstützt wie seit dem Erhebungsbeginn im Jahr 2001 nicht“, stellen die Wissenschaftler fest. Auch das Vertrauen in Institutionen wie Gerichte oder in die Bürgermeister sei nicht gesunken, heißt es.

Mehrheit für „Widerstand gegen aktuelle Politik“

Allerdings stimmten die Mehrheit der befragten Thüringer der Aussage zu: „Es ist Zeit, Widerstand gegen die aktuelle Politik zu leisten.“ Die Zustimmung zu dieser Aussage hatte sich im Vergleich zu 2021 sehr stark erhöht (von 37 auf 61 Prozent). Im vergangenen Herbst, zum Zeitpunkt der Befragung, fanden regelmäßige Demonstrationen in Thüringen mit teils mehreren Tausend Teilnehmern statt. Die häufigsten Themen waren dabei die Corona-Maßnahmen, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Energiepolitik der Bundesregierung.

Zudem stimmten mit 64 Prozent fast zwei Drittel der Befragten der Aussage zu, dass die „Herrschenden und Mächtigen in unserer Gesellschaft […] gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung“ handeln. 81 Prozent glauben, dass sich die Politiker immer dann einig sind, „wenn es darum geht, ihre Privilegien zu schützen“.

Hohe Migration kritisch gesehen

Auch stimmen 18 Prozent der befragten Thüringer der Aussage zu, „die herrschenden Eliten verfolgen das Ziel, das deutsche Volk durch Einwanderer auszutauschen“. Und 41 Prozent dachten, dass „Ausländer nur kommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen“.

Auch weitere Sorgen in Bezug auf die anhaltend hohe Migration zeigen sich in der Umfrage: So glauben 47 Prozent, dass „die Bundesrepublik […] durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ sei. 45 Prozent glauben, „die meisten in Deutschland lebenden Muslime akzeptieren nicht unsere Werte, so wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind“, was einen Anstieg um sechs Prozentpunkte bedeutet.

Die Autoren können im Zusammenhang mit diesen Aussagen und auf Basis der Untersuchung jedoch kein „eigenständiges neurechtes Einstellungsmuster identifizieren“.

Hintergrund:

Der Thüringen-Monitor ist eine seit 2000 jährlich stattfindende repräsentative Bevölkerungsbefragung zur politischen Kultur im Freistaat Thüringen. Die von der Thüringer Staatskanzlei in Auftrag gegebene Untersuchung basiert auf einer repräsentativen telefonischen Befragung von 1.885 wahlberechtigten Thüringer, die vom 19. September bis 6. Dezember 2022 durchgeführt wurde. Das diesjährige Schwerpunktthema lautete: „Politische Kultur in Stadt und Land“.

Erarbeitet wurde die Studie durch Mitarbeiter der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dem Institut für Politikwissenschaft und KomRex – Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration.



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