Kultusminister in der Kritik: Abschlusspapier über Schulförderprogramm nicht veröffentlicht

Die Kultusministerkonferenz der 16 Länder hat ihr eigenes Fazit zum Schülerförderprogramm „Aufholen nach Corona" nicht wie erwartet veröffentlicht. Grund soll die Uneinigkeit über die Darstellung von Finanzierungsfragen sein. Womöglich spielt aber auch externe Kritik eine Rolle.
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In der Coronazeit wurde für viele Schüler das Homeoffice zum Klassenraum (Symbolbild). Die Lerndefizite sollten mit dem Förderprogramm „Aufholen nach Corona" ausgeglichen werden.Foto: iStock
Von 20. Juli 2023

Wenn jemand Ziele definiert und dafür bestimmte Maßnahmen anschiebt, dann aber nicht ausreichend überprüft, ob die gewünschten Erfolge erreicht wurden – wie soll er dann herausfinden, ob seine Ideen richtig waren? Diese Frage stellt sich anhand eines umfangreichen Abschlussberichts über den Erfolg der Corona-Förderprogramme in den deutschen Schulen, den die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16 Bundesländer ursprünglich am 19. Juli 2023 öffentlich vorstellen und auch auf der Webseite der KMK für alle Interessierten verfügbar machen wollte.

Doch dann erschien am Abend vor der Publikation auf dem Onlineportal „table.media“ eine kritische Vorab-Analyse der KMK-Bilanz. Das strittige Dokument hatte bis dahin in Gänze lediglich „table.media“ exklusiv vorgelegen, schreibt der „Spiegel“. Das Gremium zog es daraufhin kurzfristig vor, das Papier vorerst lieber geheim zu halten. „Dem Vernehmen nach besteht über die Darstellung der Finanzmittel für die Corona-Hilfen von Bund und Ländern Uneinigkeit“, heißt es aktuell auf „table.media“.

Nach Informationen des „Spiegel“ wollen die Kultusminister nun untereinander abstimmen, wie es mit dem kritisierten Schriftstück weiter gehen soll. Einen Zeitrahmen dafür nannte das Nachrichtenmagazin nicht.

Vorwurf Eigenlob

Die KMK soll in ihrem 347-seitigen Dokument ein insgesamt positives Fazit gezogen haben, obwohl keine systematische Datenerhebung zur entscheidenden Frage existiert, ob Schüler durch das milliardenschwere KMK-Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ ihre Wissenslücken inzwischen überhaupt wieder füllen konnten.

Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ meint übereinstimmend mit dem Onlineportal „table.media“, dass sich die Kultusminister „ihre Coronabilanz schön“ geredet hätten. „Unkritisch, unvollständig und mit ausgesprochen viel Selbstlob“, urteilt der „Spiegel“.

Auch nach Ansicht von „table.media“-Autor Christian Füller besteht der aktuelle KSK-Abschlussbericht vor allem aus viel Eigenlob. Man könne darin lesen, dass „das Ziel, Hilfe zu leisten und Unterstützung zu geben, […] in den knapp drei Jahren der Pandemie ‚in eindrücklicher Weise‘ erreicht worden“ sei. „Schnell, unbürokratisch und wirksam“ seien die Maßnahmen erfolgt, hieße es in dem Dokument. Es werde der Eindruck erweckt, dass die „Folgen der 183 Tage Schulschließungen in Deutschland weitgehend aufgefangen worden“ seien. Damit hätten sich die 16 Kultusminister zufrieden gezeigt.

„Eigene Beamte“ mit Fazit beauftragt

Eine externe Evaluation, die die Werthaltigkeit solch positiver Aussagen bestätigen könnte, habe es aber nie gegeben, stellte Füller klar. Stattdessen habe die KMK „eigene Beamte“ damit betraut, eine Rückschau auszuarbeiten.

Die Weisungsnehmer hätten „247 Ansätze in den Ländern gefunden, um die sozialen, psychischen und kognitiven Folgen der – wie man heute weiß – zu langen Schulschließungen zu mindern“. Die KMK selbst habe „in Rücksprache mit einschlägigen Wissenschaftlern bewusst“ auf „eine einheitliche flächendeckende Lernstandserhebung und die Entwicklung eines bundesweiten wissenschaftlichen Monitorings […] verzichtet“, schreibt der „Spiegel“ unter Verweis auf die „table.media“-Berichterstattung.

Förderprogramm aus der Ära Merkel

Immerhin zwei Milliarden Euro Steuergeld waren nach Angaben des Bundes für das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ mit Beschluss vom Juni 2021 locker gemacht worden (PDF). Eine Milliarde Euro sollte „zum Abbau von Lernrückständen“ dienen, eine weitere Milliarde für die „Förderung frühkindlicher Bildung, für Freizeit-, Ferien- und Sportaktivitäten sowie für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen im Alltag und in der Schule“.

Der Plan dazu war laut „ZEIT“ noch unter der Regie von Anja Karliczek (CDU) geschmiedet worden, der früheren Bundesministerin für Bildung und Forschung im Kabinett Merkel IV.

Eine im Juli 2021 veröffentlichte Umfrage der „Deutschen Telekom Stiftung“ hatte nach Informationen des Statistischen Bundesamts festgestellt, dass „27 Prozent aller befragten Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen […] einen deutlichen Lernrückstand aufgrund der coronabedingten Schulschließungen“ aufgezeigt hatten. Beinahe jeder zweite Schüler hatte einen „moderaten Rückstand“ gesehen.

Bildungsforscher sah Ziele bereits im Herbst 2022 „verfehlt“

Der „Spiegel“ erinnert zudem daran, dass der Berliner Bildungsforscher Prof. Dr. Marcel Helbig das „Aufholen nach Corona“-Programm bereits im Herbst 2022 einer eigenen Untersuchung unterzogen hatte. Seiner Analyse nach sei das Hauptziel „weitgehend verfehlt“ worden, nämlich „Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund“ verstärkt zu fördern. Gerade ihnen hätten „Schulschließungen und Distanzlernen besonders zugesetzt“.

Helbigs Resumée findet sich in einer Pressemitteilung vom 6. September 2022 auf der Webseite des „Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung“ (WZB). Der Bildungsforscher meinte schon damals:

  • „Die selbstgesteckten Ziele des Programms wurden nur sehr bedingt erreicht.“
  • „Eine systematische Datenerhebung ist nicht erfolgt. Lernstandserhebungen fanden weit überwiegend dezentral an den Schulen statt, häufig nicht in standardisierter Form, und wurden später nicht systematisch zusammengeführt. Auch die Teilnahme an den neu geschaffenen Angeboten wurde unzureichend dokumentiert.“
  • „Die Mehrheit der Länder hat ihre Mittel vorwiegend nach dem Gießkannenprinzip verteilt.“

Es habe aber auch „wichtige Impulse für die längerfristige Schulentwicklung“ gegeben, lobte Helbig. „Durch das Aktionsprogramm [seien] lokale Kooperationen aufgebaut oder vertieft und neue pädagogische Angebote geschaffen“ worden. Besonders der Stadtstaat Hamburg habe die „individuelle Förderung zum Abbau von Lernrückständen“ ganz gut hinbekommen, weil die nötigen Strukturen bereits vorhanden gewesen seien.

Thüringen verlängert und will überschüssiges Geld behalten

Weniger positiv blickt „table.media“ ins Bundesland Thüringen: Dort habe Bodo Ramelows Parteikollege und Bildungsminister Helmut Holter (Linke) einen „Großteil“ der Mittel aus dem „Aufholen nach Corona“-Fördertopf des Bundes dazu genutzt, „seinen Haushalt zu sanieren“.

Ursprünglich habe Thüringen 53 Millionen im Rahmen des Förderprogramms ausgeben wollen – 31,8 Millionen vom Bund, der Rest in Höhe von etwa 21,2 Millionen aus eigenen Landesmitteln. Bis zum Abschluss des Schulförderprogramms Ende 2022 seien aber nur „rund ein Viertel davon“ zweckgemäß verwendet worden, also etwa 13 Millionen. „Die restlichen knapp 40 Millionen Euro stehen im Landeshaushalt nun zur freien Verfügung“, schreibt „table.media“-Autorin Vera Kraft. Das Geld sei nämlich nicht „an den Schulbereich gebunden“.

Das hatte eine Sprecherin des Finanzministeriums in Erfurt nach Informationen der „ZEIT“ bereits bestätigt: Nicht verwendete Bundesmittel aus dem Corona-Aufhol-Topf könnten auch nach Jahresende 2023 im Gesamthaushalt des Landes verbleiben. Es handele sich „nicht um Fördermittel, sondern um zusätzliche Umsatzsteuereinnahmen, die den Ländern zustünden“, zitiert die Zeitung die Sprecherin.

Wie die „ZEIT“ weiter berichtet, will die Thüringer Landesregierung das Corona-Aufholprogramm nun bis zum Jahresende 2023 verlängern. Die Entscheidung sei bereits getroffen worden. Das habe „ein Sprecher des Thüringer Bildungsministeriums der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt“ mitgeteilt. Dass die Regierung Ramelow bisher erst 13 von 53 Millionen in das Förderprogramm gesteckt habe, hätte das Landesbildungsministerium schon vor längerer Zeit mit einer „zu geringe[n] Laufzeit des Programms“ begründet.

Nach Informationen des „Mitteldeutschen Rundfunks“ (MDR) hatte Felix Knothe, ein Sprecher des Thüringer Bildungsministeriums, darauf verwiesen, dass „viele Schulen“ Corona-bedingt „nicht in der Lage“ gewesen seien, „so schnell und kurzfristig das Programm umzusetzen“. Manche Projekte seien mangels Ressourcen und „wegen der Kontaktbeschränkungen teilweise schwierig zu realisieren gewesen“.

Nach Informationen des MDR führt Thüringen seine Schulförderprojekte unter dem eigenen Landesprogramm „Stärken-Unterstützen-Abholen“ durch. Stand 6. Juni 2023 hätten überhaupt erst die Hälfte aller Schulen das Förderangebot in Anspruch genommen. Damit seien „Klassenfahrten, Sportangebote, Lern-Schecks und Schwimmkurse“ bezahlt worden, aber auch „solche Projekte, die der individuellen Lernstoffdiagnose dienen“.

KMK will nie mehr Schulen schließen – der Folgen wegen

Geht es nach der Kultusministerkonferenz, so soll sich das Szenario geschlossener Schulen in Deutschland nie mehr wiederholen. Bereits am 23. Juni 2022 hatte die KSK sich dazu bekannt, dass „erneute flächendeckende Schulschließungen […] auch zukünftig ausgeschlossen bleiben“ müssten (PDF). Denn „die Schulschließungen der vergangenen Jahre“ hätten „nachgewiesenermaßen zu gravierenden negativen Auswirkungen auf die psychische wie physische Gesundheit und den Lernerfolg von Kindern und Jugendlichen geführt“.

Die KSK begrüße von daher „das im Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern am 02.06.2022 enthaltene Bekenntnis zum Offenhalten von Schulen und Kindertageseinrichtungen“.



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