Schicksalstage für Björn Höcke – Schweigen zum Prozessauftakt

Seit dem Vormittag des 18. April muss sich der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke vor Gericht verantworten. Er soll während einer Wahlkampfrede eine SA-Losung verwendet haben. Bis zur voraussichtlichen Urteilsverkündung am 14. Mai soll es vier Verhandlungstage geben.
Titelbild
Björn Höcke inmitten seines Anwaltsteams beim Prozessauftakt im Landgericht Halle an der Saale: Er muss sich wegen der Verwendung des Ausspruchs „Alles für Deutschland“ strafrechtlich verantworten.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 18. April 2024

Die Gerichtsverhandlung gegen Björn Höcke, den Landes- und Fraktionsvorsitzenden des AfD-Landesverbands Thüringen, hat am Vormittag des 18. April 2024 in Halle (Sachsen-Anhalt) unter strengen Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Höcke selbst hat sich mehreren Medienberichten zufolge noch nicht persönlich zur Anklage geäußert. Das werde der 52-Jährige seinen Anwälten zufolge aber während der kommenden Prozesstage tun, wie die „Welt“ berichtete.

AFP-Angaben zufolge wurden bislang vier Verhandlungstage festgesetzt (Az: 5 KLs 6/23). Der nächste Termin wurde nach Angaben der „Welt“ auf Dienstag, 23. April, festgelegt. Der letzte Prozesstag inklusive Urteilsverkündung soll laut „Welt“ wahrscheinlich am 14. Mai stattfinden.

Nach Informationen der „Tagesschau“ beantragten Höckes Anwälte gleich zu Beginn, täglich Tonaufnahmen anzufertigen und sie per Transkript beiden Seiten zur Verfügung zu stellen. Das hätten die Richter abgelehnt. Laut „Welt“ hätten Höckes Rechtsbeistände auch beantragt, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) feststellen zu lassen, ob tatsächlich das Landgericht oder doch das Amtsgericht Merseburg zuständig sei. Danach sei die Verhandlung ohne richterlichen Beschluss unterbrochen worden. Erst am Mittag sei es zur Verlesung der Anklageschrift gekommen.

Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich am Morgen Höcke-Anhänger und mehrere Hundert -Gegner eingefunden. Letztere demonstrierten „gegen rechts“. Nach „Welt“-Angaben war es friedlich geblieben.

Aktives und passives Wahlrecht Höckes steht auf dem Spiel

Höcke muss sich vor der fünften großen Strafkammer des Landgerichts Halle (Sachsen-Anhalt) wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen die Paragrafen 86 und 86a des Strafgesetzbuches (StGB) verantworten. Diese Paragrafen betreffen das „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ beziehungsweise die öffentliche Verwendung von „Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation“.

Im Fall einer Verurteilung käme eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft auf Höcke zu. Sollte Höcke zu mehr als sechs Monaten Haft verurteilt werden, könnte er nach Einschätzung der Gerichtssprecherin Adina Kessler-Jensch sein aktives und passives Wahlrecht für „maximal fünf Jahre“ verlieren, wie die „Welt“ schreibt. Auch „öffentliche Ämter“ dürfte Höcke bei einem entsprechenden Gerichtsbeschluss nicht mehr bekleiden. All das liege im Ermessen des Richters. Sollte Höcke tatsächlich Wählbarkeit oder Wahlrecht einbüßen, dürfte er gemäß Parteiengesetz auch nicht mehr Mitglied der AfD sein, wie die „Welt“ schreibt.

Höcke beruft sich auf Unkenntnis

Der Tatvorwurf bezieht sich auf eine Wahlkampfrede, die Höcke am 29. Mai 2021 in Merseburg gehalten hatte. Er soll seinen Vortrag mit den Worten „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ beendet haben. Der Ausspruch „Alles für Deutschland“ entspricht einer verbotenen Losung der „Sturmabteilung“ (SA), der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Nach Agenturinformationen ist die Wortkombination in Deutschland ebenso verboten wie etwa „Deutschland erwache“, „Blut und Ehre“ oder „Sieg Heil“.

Höcke, von Haus aus Geschichtslehrer, hatte vor einer Woche in seinem TV-Duell mit dem thüringischen Landesparteichef Mario Voigt erklärt, dass er zum Zeitpunkt der Äußerung nicht gewusst habe, dass der Slogan verboten sei. Er sei davon ausgegangen, dass es sich um einen „Allerweltsspruch“ handele, zumal schon Ludwig II. von Bayern, Franz Beckenbauer und die Telekom die Worte verwendet hätten. Im Anschluss an die Sendung stellte sich heraus, dass die Telekom mit einem anderen NS-Spruch geworben hatte, nämlich „Jedem das Seine“.

Genügt auch „Alles für“ nebst Kontext zur Verurteilung?

Wenige Tage vor Prozessbeginn hatte das Landgericht entschieden, ein zweites anhängiges Verfahren „zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung“ zu verbinden. Auch dabei sollte es im Kern um die Parole „Alles für…“ gehen. Doch nach Informationen der „Tagesschau“ trennte das Gericht die Anklagepunkte jenes zweiten Verfahrens kurzfristig doch wieder ab: Gerichtssprecherin Kessler-Jensch habe das damit begründet, dass es zu einem Wechsel im Verteidigerteam Höckes gekommen sei.

Der Tatvorwurf zu jenem zweiten nun doch abgetrennten Verfahren rührt von einem Vorfall vom 12. Dezember 2023 in Gera her. Inzwischen über die mutmaßliche Strafbarkeit der SA-Parole in Kenntnis gesetzt, hatte Höcke dieses Mal nicht das vollendete Zitat verwendet, sondern nur noch die beiden Worte „Alles für“, worauf das Publikum mit dem Wort „Deutschland“ antwortete.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts Halle genügte auch das, um ein Verfahren einzuleiten. Denn Höcke habe seine Zuhörer gestenreich „animiert“, den Satz zu vollenden (Video auf YouTube). Auf Unkenntnis der Sachlage könne er sich in diesem Fall nicht berufen, wie die Pressestelle des Landgerichts klargestellt hatte.

Weiteres Verfahren vor Landgericht Mühlhausen anhängig – Auftakttermin unklar

Der AfD-Spitzenkandidat der thüringischen Landtagswahl wird sich wohl noch im Lauf des ersten Halbjahres 2024 einem weiteren Verfahren stellen müssen – dann vor dem Landgericht Mühlhausen.

Stein des Anstoßes sind dabei einige Sätze, die der Politiker im Jahr 2022 auf seinem Telegram-Kanal gepostet hatte. Damals hatte er sich zu einem Messerangriff in Ludwigshafen geäußert, bei dem ein Somalier zwei Handwerker auf offener Straße getötet hatte. Gegen Höcke steht deswegen der Vorwurf der Volksverhetzung im Raum. Ein Termin für den Auftakt dieser Verhandlung steht bisher nicht fest.

Höcke sieht „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ und zweierlei Maß

Während seines Schlagabtauschs mit Mario Voigt hatte Höcke seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass man sich in Deutschland vor Gericht wiederfinden könne, „wenn man als Patriot in einer bedrängten Lage, in der dieses Land ist, fordert, alles für dieses Land zu geben – analog ‚America First‘“. Für ihn bedeute das eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Und ohne Meinungsfreiheit sei für ihn „die Demokratie nichts“.

Anderseits, so Höcke, sei es nicht strafbewehrt, „alles mögliche Böse und Schäbige und Ehrverletzende“ über das eigene Land zu sagen – wie etwa „Deutschland verrecke“ oder „Deutschland, du mieses Stück Sch[…]“. Es sei nach einem Gerichtsurteil auch erlaubt, die Deutschen als „Köterrasse“ zu bezeichnen. Nach Informationen der „Welt“ hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg im Februar 2017 tatsächlich das Strafverfahren gegen den türkischen Elternbund der Hansestadt eingestellt, obwohl eins der Vorstandsmitglieder die Deutschen – je nach Übersetzung – als „Hundeclan“ oder „Köterrasse“ tituliert hatte.

Druck auf AfD wächst

Spätestens seitdem die Alternative für Deutschland 2023 in Umfragen zur mittlerweile zweitstärksten politischen Kraft in Deutschland aufgestiegen war, hatte der Druck von Politik und Medien auf die Partei stark zugenommen. Viel Raum nehmen dabei immer wieder Äußerungen Höckes ein, die er verbal oder in seinen Büchern getätigt hatte. Wie die „Zeit“ berichtete, hatte der Justizausschuss des Thüringer Landtags im März 2024 Höckes Immunität als Abgeordneter erneut aufgehoben – mittlerweile zum achten Mal. Zu einer Verurteilung war es bisher nicht gekommen: Sechs Verfahren waren nach Angaben der „Tagesschau“ ohne Gerichtsprozess eingestellt worden. Die übrigen – darunter der aktuelle Fall in Halle – sind noch anhängig.

Nicht nur Höcke selbst, sondern auch sein gesamter AfD-Landesverband wurde laut „Zeit“ vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft – wie auch die Landesverbände in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zudem sprachen sich bislang 1,7 Millionen Menschen in einer Onlinepetition dafür aus, Höcke gewisse Grundrechte zu entziehen. Ginge es nach seinen Gegnern, dürfte der Politiker weder zur Wahl antreten noch selbst wählen. Ob die Petition je beim Bundestagsausschuss eingereicht wird, ist unklar. Seit Anfang des Jahres diskutieren die übrigen Parteien auch über ein Verbot der AfD.

Landtagswahl am 1. September

In Thüringen wird am 1. September 2024 ein neuer Landtag gewählt. Mit Abstand führt Björn Höckes Partei das Rennen in Thüringen an: Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap stellte trotz jüngster Verluste von fünf Prozent vor einem knappen Monat noch immer 29,0 Prozent fest. INSA maß einen konstanten Wert von 31,0 Prozent. Rang zwei im Parteienspektrum ging an die CDU: Bei Infratest stand Mario Voigts Landesverband bei 20,0 Prozent, laut INSA lag ihr Wert bei 21,0 Prozent.

Der Thüringer Landesverband der Linken, die Partei des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, kam Mitte März bei der Sonntagsfrage auf Werte zwischen 16,0 (Infratest) und 18,0 Prozent (INSA). Der aktuelle Koalitionspartner SPD rangierte laut Infratest bei 9,0 Prozent, gemäß INSA-Befragung sogar nur noch bei 6,0 Prozent. Die Grünen sahen beide Institute bei 5,0 Prozent: Sie müssen damit um den Einzug in den Erfurter Landtag bangen.

Nennenswerte Stimmanteile könnte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreichen. Wäre am 24. März Wahl gewesen, hätte das BSW wohl irgendwo zwischen 13 (INSA) und 15 Prozent (Infratest) gelegen. Die FDP spielt mit 2,0 Prozent (INSA) keine Rolle mehr in Thüringen. Bei Infratest dimap wird die Partei des kurzzeitigen Ex-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich inzwischen unter den „Sonstigen“ geführt.

Da auch in Thüringen keine Partei mit der AfD koalieren will und es fraglich ist, ob Mario Voigt sich auf eine gemeinsame Partnerschaft mit den linken Kräften BSW und SPD einlassen würde, steht die Lösung für eine tragfähige Regierung bis auf Weiteres in den Sternen.

Umfragen wie jene von Infratest dimap oder INSA weisen immer eine gewisse Fehleranfälligkeit von bis zu plus/minus drei Prozent aus.



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