Sollte Björn Höcke seine Grundrechte verlieren? 1,2 Millionen stimmen mit „Ja“

Mehr als 1,2 Millionen Menschen haben online für eine Petition gestimmt, die fordert, dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke die Grundrechte abzuerkennen. Er könnte dann womöglich weder zur Wahl antreten noch selbst wählen. Doch bis zum Entscheid könnte es Jahre dauern.
Björn Höcke muss vor Gericht.
Der thüringische AfD-Landesvorsitzende und Landtagswahlspitzenkandidat Björn Höcke soll nach dem Willen seiner Gegner zumindest einen Teil seiner Grundrechte verlieren – eine entsprechende Onlinepetition soll den Weg dafür frei machen.Foto: Sebastian Willnow/dpa
Von 17. Januar 2024

Während die Alternative für Deutschland (AfD) seit Monaten von Umfragehoch zu Umfragehoch eilt, bemühen sich die übrigen Parteien, verlorenen Boden wiedergutzumachen. Mit dem mittlerweile bundesweit bekannt gewordenen Artikel des Recherchenetzwerks „Correctiv“ über ein „Geheimtreffen“ in Potsdam wurde vor einigen Tagen der Ruf nach einem AfD-Parteiverbot wieder laut, es gab Demonstrationen in Potsdam und Berlin.

Neuerdings steht auch der thüringische AfD-Landesvorsitzende und Landtagswahlspitzenkandidat Björn Höcke, dessen Landesverband vom Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft und beobachtet wird, wieder vermehrt im Fokus: Eine Onlinepetition der „WeAct“-Plattform, die von der Bürgerbewegung „Campact“ betrieben wird, fordert, dem als „Rechtsaußen“ geltenden Ex-Sport- und Geschichtslehrer gewisse Grundrechte zu entziehen.

Grundlage: Artikel 18 GG

Innerhalb von zwei Monaten unterschrieben bislang mehr als 1,2 Millionen Höcke-Gegner den Aufruf des Düsseldorfer Physikers Indra Ghosh. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Fraktionen von SPD, Union, Grünen und der FDP sowie die Gruppe Die Linke sollen dafür sorgen, „dass die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht [BVerfG] einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 GG stellt“. So steht es in Ghoshs Begleittext. Einen offiziellen Antrag habe Ghosh wohl bisher nicht eingereicht, heißt es im „Spiegel“.

Nach Angaben des „Deutschlandfunks“ (DLF) wäre solch ein BVerfG-Entscheid zwar möglich, aber „unklar“. Entscheidend sei Artikel 18 des Grundgesetzes:

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“

Aktives und passives Wahlrecht in Gefahr

Sollte das BVerfG die Ansicht des DLF teilen, nach der es sich bei Höcke um einen „prominenten Verfassungsfeind“ handele, könne der AfD-Landeschef einzelne Grundrechte zumindest vorübergehend verlieren, damit er „seine verfassungsfeindlichen Tätigkeiten nicht mehr ausüben“ könne, schreibt das DLF. Sprich: Höcke müsste sich gemäß Paragraf 39 (2) des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) bis auf Weiteres wohl von einer weiteren parteipolitischen Karriere verabschieden:

Das Bundesverfassungsgericht kann dem Antragsgegner auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen und bei juristischen Personen ihre Auflösung anordnen.“

Bevor es so weit komme, müsse das BVerfG allerdings zunächst „mittels einer ‚Gefahrenprognose‘ feststellen, ob von dem Betroffenen wirklich eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie“ ausgehe, gab der DLF zu bedenken. Auch Höcke selbst sei anzuhören. Im Fall eines entsprechenden BVerfG-Entscheids handele es sich „in erster Linie“ auch nicht um eine Strafe. Neben der Bundesregierung könne im Übrigen auch der Bundestag oder eine Landesregierung Höckes „Grundrechtsverwirkung“ beantragen.

Schnelle Entscheidung nicht zu erwarten

Bislang habe es in den Sechziger und Siebzigerjahren vier ähnliche Versuche in der BRD gegeben, einem Menschen seine Grundrechte zu entziehen, berichtet der DLF. Alle seien eingestellt worden.

Weil Höckes Name aber „ständig“ im thüringischen Verfassungsschutzbericht auftauche, könne die Sache diesmal anders ausgehen: „Höckes Äußerungen sind die Grundlage dafür, dass der AfD-Landesverband in Thüringen als verfassungsfeindlich angesehen wird“, so der DLF. Nach Ansicht der früheren Verfassungsrechtlerin Prof. Gertrude Lübbe-Wolff genügten die Verfassungsschutzberichte allein auch nicht aus: Das BVerfG müsse „den Fall eigenständig prüfen“. Karlsruhe habe „die Hürden beim Grundrechtsentzug“ nämlich grundsätzlich hoch angesetzt. Ein Verfahren könne womöglich Jahre dauern.

Neben dem Thüringer AfD-Landesverband hatte der Verfassungsschutz auch die Landesverbände von Sachsen und Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Die Junge Alternative werde ebenfalls als „rechtsextrem“ betrachtet.

Höcke selbst kommentiert das Geschehen auf seinem X-Kanal mit gedämpftem Optimismus:

Die orchestrierte Skandalspirale dreht sich immer schneller. Vom Aktivismus bekannter Kunstterroristen, über die Geheimdiensttätigkeiten vermeintlicher Journalisten, bis zu Petitionen mit absurden Absichten. Das Ziel ist der Oppositionelle als Un- bzw. Nichtmensch, dem logischerweise auch keine #Grundrechte mehr zustehen. Der Rechtsstaat geht, ein neuer Ideologiestaat droht. Aber: Der Wähler durchschaut das Spiel des polit-medialen Komplexes.

„Höcke ist ein Nazi“ von Meinungsfreiheit gedeckt

Björn Höcke persönlich als „Nazi“ zu bezeichnen, ist nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main übrigens keine „strafbare Beleidigung“ gemäß Paragraf 188 StGB, sondern ein „an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“, wie die „Tagesschau“ im Juli 2023 klarstellte. Ein entsprechendes Verfahren gegen einen Plakatträger mit der Parole „Björn Höcke ist ein Nazi“ sei am 12. Juni 2023 eingestellt worden, weil der Satz von der „Meinungsfreiheit“ gedeckt sei.

Zur Begründung habe die Staatsanwaltschaft auf frühere „Formulierungen“ Höckes verwiesen, „die zum Standardvokabular der Vertreter des Nationalsozialismus vor Mai 1945 gehörten“. Ein „grundsätzliches Urteil über Höckes politische Ansichten“ habe die Staatsanwaltschaft damit aber nicht ausgesprochen, betonte die „Tagesschau“. Ähnliches gelte für die Bezeichnung Höckes als „Faschist“.

Höcke muss 2024 vor Gericht

Seit Jahren muss sich Höcke immer wieder gegen juristische Angriffe wehren: Seine Immunität wird immer wieder aufgehoben. Im September 2023 beispielsweise hatte es viel Wirbel um eine Wahlkampfrede gegeben, in der der vierfache Familienvater am 29. Mai 2021 in Merseburg zum Abschluss die Worte „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ gewählt hatte. Bei dem letzten Teil des Spruchs handelt es sich nach Informationen der „Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus“ um eine Losung der NSDAP-Sturmabteilung (SA). Ihre Verwendung kann mit einer Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft werden. Höcke schrieb damals auf X von einer „Justizkeule gegen Dissidenten“.

Nach einigem Hin und Her um die Zuständigkeit entschied das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg Anfang Dezember 2023, dass die Verhandlung am Landgericht (LG) Halle stattfinden müsse. Laut „Legal Tribune Online“ wird nach Einschätzung des Juristen Prof. Dr. Thomas Fischer entscheidend sein, ob das Gericht Höckes Behauptung Glauben schenkt, nach der er „die Bedeutung der von ihm verwendeten Parole nicht gekannt“ habe. Der erste Verhandlungstag wird nach Angaben eines Sprechers des LG Halle wohl „frühestens im April“ 2024 stattfinden.

AfD in Thüringen bei 36 Prozent

Höckes Beliebtheit bei seinen Anhängern tut all das offensichtlich keinen Abbruch: Der jüngsten Forsa-Umfrage vom 11. Januar zufolge führt die AfD knapp neun Monate vor der Landtagswahl das Bewerberfeld mit 36 Prozent an – 16 Punkte vor der zweitplatzierten CDU. Bundesweit konnte die Partei im Jahr 2023 fast 11.000 neue Parteibücher ausstellen – ein Zuwachs von rund 37 Prozent.

Höcke selbst hatte Mitte November 2023 für den Fall einer Landesregierungsübernahme im Herbst ein Ende der Medienstaatsverträge angekündigt. Kurz zuvor war er zum Spitzenkandidaten der Thüringer AfD gewählt worden.

Petent Ghosh: Idee von Heribert Prantl aufgegriffen

„WeAct“-Petent Ghosh (56) untermauert seine Petition namens „Wehrhafte Demokratie: Höcke stoppen!“ mit Reden und Interviews des AfD-Politikers und mit dem Thüringer Verfassungsschutzbericht 2022 (PDF-Datei). Außerdem verweist sein Aufruf auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ (Bezahlschranke) vom 2. November 2023, in dem der Publizist und Jurist Heribert Prantl bereits den Grundrechte-Entzug für Höcke vorgeschlagen hatte. Einen Monat zuvor hatte die „Zeit“ die Frage aufgeworfen, ob man die AfD als Ganzes verbieten könne oder solle. Auch ein Link zu diesem Text findet sich am Ende der Petition.

Im Interview mit der „Rheinischen Post“ hatte Ghosh seinen Vorstoß mit seiner Sorge begründet, „dass die Demokratie, wie wir sie kennen und schätzen, zunehmend in Bedrängnis“ gerate. Der Vater zweier Töchter sehe es mit Blick auf die „Vergangenheit“ als „eine Verpflichtung nachfolgenden Generationen gegenüber“, aktiv zu werden.

Prantls Artikel in der „Süddeutschen“ über Artikel 18 des Grundgesetzes habe ihn inspiriert: „Mir gefiel die Idee sehr gut, weil sie in meinen Augen deutlich niederschwelliger ist als ein Parteiverbotsverfahren“. Das Petitionsportal Campact habe ihn „relativ schnell“ unterstützt: „Als Privatperson wäre ich dafür gar nicht ausreichend vernetzt gewesen.“ Er selbst werde im „Auftrag“ des Grundgesetzes „alles dafür tun“, damit ein Verfahren nach Artikel 18 angestoßen werde.

Auch AfD-Parteiverbot wird diskutiert

Die Diskussion um ein Verbot der AfD hatte mit der Veröffentlichung eines „Correctiv“-Artikels vom 10. Januar 2024 über ein privates Treffen von AfD-Politikern und anderer Parteimitglieder in einem Landhaus bei Potsdam wieder frischen Wind bekommen. Dabei war es um das Thema „Remigration“ gegangen. Als Redner zu Gast war auch Martin Sellner, einer der Vordenker der aus Sicht des Verfassungsschutzes rechtsextremistischen Identitären Bewegung (ID).

Campact engagiert sich nun auch für ein Verbot der AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen.



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