Anleihenblase geplatzt, Zentralbanken in der Sackgasse

Die EZB greift aktiv in den Anleihemarkt ein, schaltet wichtige marktwirtschaftliche Funktionen aus und hält so ein eigentlich dysfunktionales System auf Basis einer geldplanwirtschaftlichen Struktur künstlich „am Leben“. Eine Analyse.
EZB: Anleihenblase geplatzt, Zentralbanken in der Sackgasse
Die EZB in Frankfurt am Main.Foto: iStock
Von 2. November 2022

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Die westlichen Staaten haben eine große Gemeinsamkeit. Die Staatsverschuldung wächst in Relation zur Wirtschaftsleistung stetig, und durch die neu entstandenen Staatsschulden wird per Buchungssatz neues Geld geschaffen.

Die Geldmenge in der Eurozone wurde so von 1999 bis Ende 2021 mehr als verdreifacht. Diese Aufblähung (von lateinisch inflare) der Geldmenge ist auch das, was die Ökonomen der österreichischen Schule der Nationalökonomie als Inflation bezeichnen. Mit jedem neu geschaffenen Euro sinkt der Tauschwert beziehungsweise die Kaufkraft eines jeden einzelnen Euro.

Man könnte auch sagen, dass der Euro an Tauschwert gegen relativ knapp gebliebene Güter eingebüßt hat und der Grenznutzen sinkt. Die Aufblähung der Geldmenge ist folglich die Ursache und die Kaufkraftminderungen in Form von Preissteigerungen sind das Symptom. 

Es wäre transparenter, die Menschen über das Wachstum der Geldmenge zu informieren, anstatt eine Preissteigerungsrate in Form eines beliebig veränderbaren statistischen Maßes zu veröffentlichen.

Politiker wollen wiedergewählt werden

Die meisten Leser werden sich noch an das Kleinreden und Kleinrechnen des Inflationsproblems erinnern. Der Anreiz liegt auf der Hand, denn mit der Veröffentlichung des Wachstums der Geldmenge, also dessen, was Inflation tatsächlich ist, hätte man die lockere Geldpolitik und damit die ausufernde Staatsverschuldung nicht begründen können. Es liegt an der Stelle ganz offensichtlich ein Interessenskonflikt vor.

Die durch die Ausweitung der Staatsverschuldung generierte finanzielle Beinfreiheit ist für Regierungen von enormer Bedeutung.

Die Auswirkungen der restriktiven Corona-Lockdown-Politik und die damit verbundenen Umsatzausfälle wurden vornehmlich durch neue Staatsschulden finanziert. Auch die unter großem Einfluss der Finanzindustrie stehende Eurorettungspolitik und die Rettungsaktionen rund um die Finanzkrise nach 2007/08 wurden auf diese Weise finanziert.

Ebenso der mittlerweile überbordende Sozialstaat. Der Hauptanreiz der Politiker ist die Wiederwahl. Insofern liegt die Maximierung der Stimmenanzahl im Zentrum sämtlicher Überlegungen.

Das Zulassen von Krisen führt möglicherweise zum Verlust von Arbeitsplätzen und das wiederum kostet Wählerstimmen. Im Umkehrschluss erhöhen kostspielige politische Entscheidungen, wie zum Beispiel das Bürgergeld oder eine Anhebung der Pensionen und Renten den Stimmanteil. Auf Basis dieser systeminhärenten Anreizstruktur ist es erklärbar, dass die Staatsverschuldung sowohl durch Wahlgeschenke als auch durch Maßnahmen zur Krisenabmilderung immer weiter ansteigt.

Ungleichgewichte der Finanz- und Eurokrise

In Folge der Finanzkrise und der darauf folgenden Eurokrise kam es zu Fehlentwicklungen und Ungleichgewichten, die zum Beispiel im Rahmen der Immobilienspekulationsblase aufgebaut wurden.

Um die Ungleichgewichte abzubauen, hätte sich der Staat raushalten sollen und das Scheitern zulassen sollen. So hätte sich die Fehlentwicklung korrigieren und Ungleichgewichte abbauen lassen.

Man wählte den Weg des Interventionismus und kaufte beispielsweise die Commerzbank im Rahmen der Teilverstaatlichung heraus. Noch kostspieliger waren die Maßnahmen zum Erhalt des Euro. Die EZB kaufte die Staatsanleihen der in Not geratenen südlichen Euroländer aus den Bilanzen der Banken, Kapitalsammelstellen und Investmenthäusern heraus.

Staatspleiten ließ man nicht zu und so konnten auch in diesem Fall die entstandenen Ungleichgewichte nicht abgebaut werden. Abermals zog man es vor, geldplanwirtschaftlich zu agieren, um eine größere Krise abzuwenden. Durch diese Interventionspolitik wurden die Geldmenge erhöht und die Zinsen gesenkt. Idealer Nährboden für Spekulationsblasen!

Pensionskassen: Englische Notenbank interveniert

Die kontinuierliche Absenkung der Zinsen ließ die Barwerte sämtlicher Vermögenswerte und somit auch die Kurse für Staatsanleihen steigen. Pensionskassen sind übrigens gesetzlich verpflichtet, Staatsanleihen zu kaufen. In Großbritannien beliehen Pensionskassen die Staatsanleihen, um mit diesem Fremdkapital wiederum Staatsanleihen zu erwerben. Auch das wirkte kurstreibend und eine Spekulationsblase bildete sich. 

Das Spiel geht naturgemäß so lange gut, bis die Anleihenkurse zu fallen beginnen, denn dann müssen die Halter der Papiere die Rückgänge abschreiben.

Mit dem Anheben der Leitzinsen kehrte sich der Trend um und die Kurse fielen. Erst langsam, dann sehr dynamisch. Die Dynamik ergab sich aus der Tatsache, dass einige Pensionskassen in England aufgrund des Kursverfalls durch ihre Kreditgeber sogenannte Margin Calls erhielten.

Die Anleihen waren durch den Abverkauf am Markt weniger wert und näherten sich dem Kreditlimit. Die Pensionskassen – und auch andere Marktteilnehmer – mussten ihre Positionen zwangsweise liquidieren, um die Kredite zurückzuzahlen.

Im Zuge der Steuersenkungsprogramme der Truss-Regierung schwand das Vertrauen in die Bonität Großbritanniens und so stießen immer mehr Marktteilnehmer die Papiere ab. Das Angebot an britischen Staatsanleihen überstieg die Nachfrage und die Preise fielen ab August 2022 ins Bodenlose.

Die Anleihenblase auf der Insel war geplatzt. Um den Bankrott der Pensionskassen abzuwenden, intervenierte die Bank of England, kaufte massiv Staatsanleihen und stoppte vorerst den Abwärtstrend.

Der Eingriff der Zentralbank ist im Chartbild der 10-jährigen UK-Anleihe gut ersichtlich. Vom Hochpunkt haben die Papiere rund ein Drittel an Wert verloren. Ein ähnlicher Preisverfall ist auch bei US-Staatsanleihen und deutschen Staatsanleihen zu beobachten.

Besitzer der Anleihen bekommen – bedingt durch den Abschreibungsbedarf – enorme bilanzielle Probleme. Da auch Banken signifikante Anleihenbestände halten, droht eine Bankenkrise.

Technische Pleite der EZB?

Das Zusammenspiel von Zins und Wert beziehungsweise Kurs einer Anleihe läuft entgegengesetzt. Steigt der Zins, fällt der Kurs der Anleihe und vice versa: Eine Anleihe wird zu nominal 100 ausgegeben und nach der Laufzeit wieder zu 100 zurückgenommen. Während der Laufzeit wird die Nominalverzinsung zumeist ausgeschüttet und in einigen Fällen auch angesammelt. Je nach Zinsentwicklung schwankt der Kurs.

Der ehemalige Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Prof. Dr. Thomas Mayer, attestierte der Europäischen Zentralbank kürzlich eine drohende technische Pleite. Die EZB hält bei einer Gesamtgeldmenge von etwas über 16.000 Milliarden Euro mittlerweile Staatsanleihen mit einem Gegenwert von rund 5.000 Milliarden Euro. 

Durch die Erhöhung des Leitzinses um 1 Prozent haben diese Bestände 400 Milliarden Euro (acht Jahre durchschnittliche Restlaufzeit mal 1 Prozent vom ursprünglichen Gesamtwert) an Wert eingebüßt. Bei weiteren Zinserhöhungen wäre das Eigenkapital der EZB schnell aufgezehrt und auch Banken und andere Besitzer von Staatsanleihen würden in existenzbedrohende Lagen manövriert.

Laut Mayer erlebt die Welt derzeit den größten Bond-Crash des Jahrhunderts. Die Zentralbanker hätten agiert wie Hedgefonds und ihr Urvertrauen in ihre eigenen mathematischen Modelle würde nun das Eigenkapital gefährden. In seiner jetzigen Form, so Mayer weiter, hätte der Euro keine Chance zu überleben.

EZB schaltet Marktwirtschaft aus

Bezogen auf das erste Halbjahr 2021 wurden 115 Prozent der neuen Staatsschulden der Eurozone auf der Vermögensseite (Aktiva) der Bilanz der EZB platziert. Mehr als 100 Prozent heißt nichts anderes, als dass auch ältere Anleihen aus den Portfolios von Banken, Kapitalsammelstellen oder Ähnlichem herausgekauft wurden.

Ganz offensichtlich sind den Marktteilnehmern die Risiken der Euroländer in Bezug auf Zahlungsausfälle zu hoch und sie stoßen die Papiere ab.

Würde die EZB nicht kaufen, würde das Angebot an Staatsanleihen die Nachfrage massiv übersteigen. In der Folge würden die Anleihen im Kurs abstürzen, die Zinsen würden für die Staaten ins Untragbare ansteigen.

Die Haushalte der Euroländer würden unter Druck geraten. Die daraus resultierenden Liquiditätslücken könnten in Staatspleiten münden. Eine Marktwirtschaft sieht derartige Entwicklungen und auch zwingend das wirtschaftliche Scheitern von Wirtschaftssubjekten vor.

Fallende Kurse und steigende Zinsen wären eine Warnung und deuteten deutlich auf erhöhte Risiken hin. Die Vergütung für das Risiko eines Gläubigers wäre dann eine entsprechend höhere und es gäbe marktgerechte Zinsen.

Die EZB greift aktiv in den Anleihemarkt ein, schaltet wichtige marktwirtschaftliche Funktionen aus und hält so ein eigentlich dysfunktionales System auf Basis einer geldplanwirtschaftlichen Struktur künstlich „am Leben“. Die Anleihekäufe werden nicht mit durch Konsumverzicht ersparten liquiden Mitteln getätigt, sondern durch die Schaffung neuen Geldes.

Gab die EZB in ihrer Eröffnungsbilanz zu Beginn des Eurosystems im Jahre 1999 etwas über 690 Milliarden Euro als Saldo aus, so erreicht sie in Kürze die 9.000 Milliarden Euro Marke.

Wir sprechen von dem Faktor 13! Mit jedem Euro, der für die Staatenfinanzierung neu geschaffen wird, setzt die EZB den Tauschwert des Geldes herab und unterminiert ihr Mandat der Geldwertstabilität. Die EZB ist mittlerweile nahezu in Gänze auf die Staatenfinanzierung ausgerichtet – in Fachkreisen spricht man von fiskalorientierter Zentralbankpolitik.

Zum Autor

Benjamin Mudlack ist Bankkaufmann und diplomierter Wirtschaftsinformatiker, Buchautor, Unternehmer und Vorstandsmitglied der Atlas Initiative. Seine Schwerpunkte sind das Geldsystem, die österreichische Schule der Nationalökonomie und der Mittelstand. Er plädiert für dezentrale Strukturen, dynamische Prozesse statt zentralistischen, statischen Konzepten.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 68, vom 29. Oktober 2022.



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