Notfallplan Gas: Kommt die Plan- und Mangelwirtschaft?

Die Lage um russisches Erdgas ist angespannt. Der Energiekonzern Uniper warnt, dass ein „Gasembargo zur schwersten Notfallstufe führen würde“. Ein Blick in die „Gasmangellage-Übung“ LÜKEX 18 und den Notfallplan Gas.
Die Nord Stream-Pipeline zwischen Deutschland und Russland ist vorerst gestoppt.
Die Nord Stream-Pipeline zwischen Deutschland und Russland.Foto: Dmitry Lovetsky/AP/dpa
Von 30. März 2022


Für die Sicherstellung der Gasversorgung ist in Deutschland das Bundeswirtschaftsministerium zuständig. Zur Vorsorge und im Rahmen des Krisen- und Notfallmanagements gemäß SoS-VO besitzt Deutschland auch einen Notfallplan Gas. Er wurde im September 2019 letztmalig aktualisiert und angepasst und steht nun wieder im Rampenlicht.

In die frühere Überarbeitung flossen die Ergebnisse einer 2018 durchgeführten „Länderübergreifenden Krisenmanagementübung“, kurz LÜKEX 18, ein. In dieser simulierten Bund und Bundesländer eine Gasmangellage in Süddeutschland. Bei der groß angelegten Übung wurde angenommen, dass nicht mehr alle Verbraucher versorgt werden können. Neben der Bevölkerung beträfe das auch Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. 

International spitzt sich die Lage seit dem 23. März zu, der Notfallplan Gas wurde längst wieder aus der Schublade geholt. Russland verlangt eine Bezahlung in Rubel, wohl wissend, dass Deutschland die finanziellen Sanktionen unterlaufen müsste – oder auf russisches Erdgas verzichten. Doch was würde dann geschehen?

Wer wäre alles betroffen?

In ihrer Übung gingen die Behörden von einer besonders kalten und länger andauernden Winterperiode mit bis zu minus 25 Grad aus, die zu einem besonders niedrigen Füllstand der Gasspeicher und später zu einem Gasengpass führen würde.

Was wären die Folgen? Klar ist: Alles, was mit Gas beheizt wird, bliebe kalt. Obwohl der Wetterdienst im März 2022 lediglich Nachtfröste verspricht, können Raumtemperaturen von unter 18 Grad vor allem in Krankenhäusern, Seniorenheimen oder auch in Gefängnissen zu Problemen führen. Nahezu jede zweite Wohnung wird mit Erdgas beheizt.

Einige andere Folgen: Über die Hälfte der Lebensmittelproduktion ist von der Gasproduktion abhängig. Das betrifft nicht nur Backöfen in (Groß-)Bäckereien, sondern auch Molkereien, Ställe mit Hühnern, Gewächshäuser, die Tierfutterindustrie und gegebenenfalls Schlachthöfe. Brot- und Milchprodukte würden knapp.

In der Chemiebranche würde fehlendes Erdgas über kurz oder lang zum Totalstillstand der Produktion führen, Milliardenschäden inbegriffen. In fast jedem Produkt, das wir nutzen, steckt ein Vorprodukt aus der chemischen Industrie. Fehlen die Chemieparks, bricht neben der Verpackungsindustrie auch die Düngemittelproduktion zusammen. Die Pharmabranche, die Basisstoffe aus der chemischen Industrie bezieht, wird leiden.

Jegliche Unternehmen, die in irgendeiner Art und Weise von Erdgas abhängig sind, würden in Schwierigkeiten geraten. Darunter sind metallverarbeitende Betriebe und Glashütten, Kupferschmelzen, Papier- und Porzellanindustrie, Autoindustrie und auch Zementwerke.

Anders gesagt: Alle wären betroffen und die Kosten unüberschaubar. Vielen Industrieunternehmen mit Schmelzen (Gießereien, Kupferhütten, Glas, Verzinkereien, etc.) droht dann ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Ergebnis der Übung: Deutschland ist „gut vorbereitet“

LÜKEX 18 wurde vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) vorbereitet, geplant, durchgeführt und ausgewertet. In der Auswertung kamen die Behörden zu dem Ergebnis, dass Deutschland gut auf eine Gasmangelsituation vorbereitet sei. „Der Notfallplan Gas und die Zusammenarbeit im nationalen Krisenteam Gas haben sich in der Übung grundlegend bewährt.“

Gleichzeitig empfahl das Bundesamt die Anpassung verschiedener Gesetze, beispielsweise der Haftungsregelungen, falls Industrieunternehmen nicht mehr ausreichend Gas erhalten könnten. Zudem fehle es oftmals an der Datengrundlage, um die Auswirkungen präzise abschätzen zu können.

Energiekonzern: „Gasembargo würde zur schwersten Notfallstufe führen“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der für die Gasversorgung zuständig ist, warnte kürzlich, dass es bei einem Importstopp für russisches Erdgas nicht mehr um „individuelle Komforteinschränkungen“, sondern um „gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Schäden“ ginge. 

Andere, wie der frühere Bundespräsident Joachim Gauck halten es für möglich, dass Deutschland ein Energieembargo aushalten würde. Gauck erklärte: „Wir können auch mal frieren für die Freiheit.“

Mit ein bisschen frieren wäre es kaum getan. Klaus-Dieter Maubach, Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns Uniper, erwartet, dass durch ein Gasembargo nicht nur wichtige Mechanismen des Gasmarktes außer Kraft gesetzt würden. Er sagt: „Nach meiner Einschätzung würde ein kurzfristiges Gasembargo unmittelbar den Notfallplan Gas der Bundesrepublik Deutschland auslösen, und zwar gleich auf seiner schwersten Stufe, der Notfallstufe.“

Der Notfallplan Gas und die Planwirtschaft

Der Notfallplan Gas unterscheidet drei Eskalationsstufen. In den ersten beiden, der „Frühwarnstufe“ sowie der „Alarmstufe“, wird eine Störung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage mit Marktmaßnahmen angegangen.

Auf der dritten Stufe, der „Notfallstufe“, erhält der Staat hoheitliche Eingriffsmöglichkeiten und geht zur (sozialistischen) Plan- und Mangelwirtschaft über. Die Bundesnetzagentur übernimmt die Verteilung von Gas. Angeordnet werden können unter anderem die Einschränkung der Stromproduktion in Gaskraftwerken, die Abschaltung von Industriekunden, die Beheizung öffentlicher Gebäude. Rationierungen sind ausdrücklich vorgesehen, Abnehmer können zwangsweise abgeklemmt werden. Zugriffsmöglichkeiten gibt es über Smart Meter (intelligente Stromzähler), zurzeit ist deren Einbaupflicht ausgesetzt.

Der Notfallplan wird aktuell in Hinsicht auf systemrelevante Unternehmen überarbeitet. Ein Ranking, welche Firmen im Ernstfall zuerst kein Gas mehr erhalten sollen, gibt es laut Bundesnetzagentur noch nicht.

Für die Erstellung eines entsprechenden Plans haben sich bereits die Bundesnetzagentur, das Wirtschaftsministerium, der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft getroffen. Auch einzelne energieintensive Unternehmen seien mit eingebunden, berichtet das „Handelsblatt“.

Ob die staatliche Steuerungskompetenz für diese komplexe Aufgabe ausreicht, sei dahingestellt. Die jeweilige Krisenstufe wird per Verordnung der Bundesregierung festgestellt. Versorgungspflicht besteht bisher grundsätzlich nur für drei Gruppen: Haushaltskunden und Letztverbraucher, zweitens Unternehmen der Gesundheitsversorgung, der grundlegenden sozialen Versorgung, der Sicherheit, Bildung oder öffentlichen Verwaltung sowie drittens Fernwärmeanlagen, sofern sie Wärme an die zuvor genannten Kunden liefern.

Krisenexperte: Die Komplexität wird unterschätzt

Auch in der LÜKEX 18 wurden die Verbraucher in „schützenswerte“ und „weniger schützenswerte“ eingeteilt. Herbert Saurugg, der als international anerkannter Krisenexperte zu der Übung eingeladen war, erklärt auf Anfrage der Epoch Times, dass entsprechend dem Plan private Haushalte zunächst nicht auf Heizgas verzichten, Unternehmen jedoch ihre Produktion drosseln müssten. Er bilanziert: „Klingt gut, ist es aber nicht. Man unterschätzt die Komplexität und die vielen wechselseitigen Abhängigkeiten. Produktion und Logistik, also die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen, drohen zusammenzubrechen.“ 

Es käme zu weitreichenden Versorgungsengpässen. Herbert Saurugg zeigte die Übungsentwicklung, dass „staatliche Stellen dazu neigen, tatsächliche Probleme möglichst lange nicht anzusprechen“. Die Folge davon sei, dass fundamentale Entscheidungen aufgrund „von noch fehlenden Informationen“ nicht rechtzeitig oder gar nicht getroffen werden, was den Handlungsspielraum für Unternehmen und die Bevölkerung massiv reduziert und das Problem verschlimmert.

„Es fehlen dann die notwendigen Vorbereitungen, um eine rasche Umsetzung sicherstellen und auch die Folgen abschätzen zu können. Leider glaubt man in der Verwaltung noch immer, dass man mit einfachen Anordnungen und generischen Krisenplänen ein komplexes System, wie es die Wirtschaft und Gesellschaft ist, steuern zu können. Das Gegenteil ist der Fall“, so Saurugg weiter. In unserer hoch optimierten „Just-in-Time“-Logistik würden kaum mehr Puffer vorgehalten, um mit größeren Störungen umgehen zu können.

Unsere bisherige sehr hohe Versorgungssicherheit in allen Lebensbereichen, egal ob bei der Strom-, Wasser-, Lebensmittel-, Gesundheits- oder generell Energieversorgung habe uns leichtsinnig gemacht. „Nun bekommen wir die Rechnung präsentiert“, so die Einschätzung von Saurugg. „Wir sollten uns daher so rasch als möglich auf turbulente Zeiten einstellen und wo immer es möglich ist, Vorsorge betreiben und auch wieder mehr Wert auf eine regionale Grundversorgung legen, um mit erwartbaren Versorgungskrisen besser umgehen zu können“, mahnt der Krisenvorsorgeexperte.

Könnte Deutschland mittels Flüssiggastankern versorgt werden?

Nord Stream 1 und 2 haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes eine Kapazität von jeweils 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas und stellen etwa die Hälfte der Pipeline-Kapazitäten in die EU. Damit könnte der gesamte deutsche Jahresbedarf von knapp 90 Mrd. m³ Erdgas allein durch die Ostsee-Pipelines gedeckt werden. Könnte das durch Schiffe ersetzt werden?

Ja, denn die Erdgasnetze werden mit gasförmigem Gas betrieben, während Flüssiggastanker – wie der Name sagt – Liquefied Natural Gas (LNG), also verflüssigtes Erdgas, tanken. Durch die Verflüssigung steckt deutlich mehr Gas in einem Schiff, als die Tankkapazität vermuten lässt.

Es gibt derzeit 14 sogenannte „Q-Max“-Tanker weltweit, die jeweils 266.000 m³ Flüssiggas fassen. Von 31 geplanten „Q-Flex“-Tankern mit bis zu 216.000 m³ sind 16 bereits in Fahrt. Insgesamt gibt es aktuell 659 LNG-Tanker, 33 weitere sind derzeit im Bau. Hinzu kommt eine Flotte von weltweit 1.971 (kleineren) LPG- (Liquefied Petroleum Gas) Tankern.

Eine Lieferung eines Q-Max-Tankers entspricht nach der Regasifizierung (bei der das flüssige Erdgas wieder zu gasförmigem gemacht wird) etwa 162 Mio. m³ „gasförmigen Gases“. Um eine Pipeline mit 55 Mrd. m³ „gas-Gas“ zu ersetzten, braucht man daher etwa 340 Fahrten pro Jahr. Das bedeutet: In einem großen Hafen jeden Tag ein Schiff – inklusive 20 Tage Jahresurlaub für alle. Die Deutsche Gasversorgung wäre mit etwa 550 Fahrten gesichert. Mit den kleineren „Q-Flex“-Schiffen würden knapp 1.000 Ladungen, oder drei Schiffe pro Tag, reichen.

Der Gesamtbedarf der EU liegt bei jährlich etwa 380 Mrd. m³ Erdgas. Das entspricht 2.350 „Q-Max“- oder 4.250 „Q-Flex“-Ladungen. Bei 29 Terminals in Europa würde die vorhandene Hafeninfrastruktur 7.000 „Q-Max“-Fahrten verkraften. Mit kleineren LNG- und LPG-Schiffen wären 10.600 Entladungen möglich.

Kurz gesagt: Es wäre denkbar, obwohl noch hinzukommt, dass der Großteil der verfügbaren Kapazitäten durch langfristige Lieferverträge an andere Abnehmer gebunden ist. Deutschland hat keine eigenen LNG-Terminals, Brunsbüttel und Wilhelmshaven sind im Gespräch, das Betriebsdatum ungewiss. Ob die dahinterliegende Infrastruktur das Gas zum Verbraucher leiten kann, steht ebenfalls auf einem anderen Blatt Papier.

Der Artikel erschien zuerst in unserer Wochenzeitung, Ausgabe 36, am 25. März 2022.



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