Ostdeutsche IHK schlagen Alarm: Warnung vor Flächenbrand in der Wirtschaft

Sie sind die Vertreter von rund 700.000 Unternehmern. Mit heftiger Kritik haben sich die Präsidenten der ostdeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK) an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt. Sie sehen den Wirtschaftsstandort in Gefahr. Die Ampelregierung gebe ein desolates Bild ab und trage mit fehlerhaftem Handeln zu einer aufgeheizten Stimmung im Land bei.
Kanzler Olaf Scholz (M) spricht mit Finanzminister Christian Lindner (r) und Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Kanzler Olaf Scholz (M.) spricht mit Finanzminister Christian Lindner (r.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Archivbild.Foto: Michael Kappeler/dpa/Archiv
Von 31. Januar 2024


Mit einem offenen Brief haben sich die 14 ostdeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK), die sich im sogenannten Heringsdorfer Kreis zusammengeschlossen haben, an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt. Im Brief, der der Redaktion vorliegt, adressieren die ostdeutschen Präsidenten der Wirtschaftsverbände schwere Fehler im Regierungshandeln an den Bundeskanzler.

„Zu Beginn des Wahljahres 2024 sind wir in großer Beunruhigung mit Blick auf die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Kultur“, schreiben die Präsidenten. Die Bundesregierung habe einen „erheblichen Anteil“ daran.

Wirtschaft steckt im Dauerkrisenmodus

Die ostdeutsche Wirtschaft stecke in einem sich zuspitzenden Dauerkrisenmodus, heißt es im Brief weiter. Das führen die Verbandsvertreter vor allem darauf zurück, dass die „aktive Einbindung verschiedener Interessen in den politischen Prozess“ mehr und mehr verloren gehe. Diese Einbindung hätte in der Vergangenheit maßgeblich zur Transparenz und damit letztlich zum Erfolg politischer Prozesse beigetragen.

Heute mache sich immer mehr eine Kultur des „Entscheidens ohne Einbindung“ und ein „eklatanter Unterschied zwischen Worten und Taten“ der Bundesregierung breit. Als Beispiel dafür nennen die IHK-Präsidenten den Haushaltseklat vom Ende letzten Jahres. Der Umgang mit dem Urteil aus Karlsruhe durch die Bundesregierung habe „erhebliche Eruptionen in Wirtschaft und Gesellschaft“ verursacht. „Aus vielen Brandherden, die bereits vorher bestanden, kann durch den Umgang der Bundesregierung mit dem Karlsruher Urteil ein Flächenbrand werden“, warnen die Kammerpräsidenten.

Landwirte und Teile des Mittelstands würden gegen die kurzfristig beschlossenen Belastungen der Bundesregierung rebellieren. Der Bundesregierung wirft der Brief vor, dass diese bei wichtigen Schlüsselvorhaben der Wirtschaft kürzten. Weiter sei bei Kostenentwicklungen im Energie- und Baubereich keine Planungssicherheit gegeben, weder für Verbraucher noch für Unternehmen.

Hinzu komme, dass die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verschärfte „Unbeständigkeit in den Fragen von Versorgung und Kostenbewältigung für Energie“ bis heute nicht überwunden werden konnte.

Fehlende Technologieoffenheit hemmt Investitionen

„In einer Situation, in der wesentliche Engpässe und damit verbundene Planungsunsicherheiten zu bewältigen sind, verabschieden wir uns in Deutschland von grundlastfähigen Technologien und schaffen es nicht, die Voraussetzungen für einen schnellen und unkomplizierten Ausbau der erneuerbaren Energien im unternehmerischen Umfeld sicherzustellen“, heißt es weiter im Brandbrief an den Bundeskanzler.

Das fehlende Bekenntnis der Bundesregierung zur Technologieoffenheit im Energiebereich hemme Innovationen und Investitionen und damit die gesamte, für die Wirtschaft zwingend notwendige Transformation.

Die IHK-Vertreter werfen der Bundesregierung weiter vor, dass diese mit ihrem Kurs die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Kauf nehme. Ein innovatives und aussichtsreiches Vorhaben petrothermaler Tiefengeothermie kann beispielsweise in Erfurt nicht umgesetzt werden, weil eine Förderung dieser Technologie ausgeschlossen wird. Das kostet Vertrauen und schafft neuen Unmut und Unsicherheiten.

Statt weniger immer mehr Bürokratie

Weiterhin sei der Abbau bürokratischer Belastungen aufseiten der Unternehmen eine beständige Forderung der Wirtschaft, auf die stets mit Verständnis und Aufgeschlossenheit, aber nie mit konkreten Umsetzungen und Initiativen reagiert werde. „Anstatt Regulierungen herunterzuschrauben, erwarten wir in der nächsten Zeit massiv steigende regulatorische Anforderungen an Unternehmen, die immer mehr Kosten und Verdruss verursachen“, wird im Brief an den Kanzler kritisiert.

Auch wiederholt angekündigte Entlastungen der Unternehmen bei „Steuern, Abgaben und Arbeitskosten […] enden stets in einem überwiegend politisch motivierten Strudel von Steigerungen und regulatorischer Ausreizung“.

Staat setzt falsche Anreize

Demgegenüber blähe der Staat Sozialleistungen auf und setze Anreize für Nichtarbeit, was von Unternehmerseite finanziert werden müsse und damit einen „Malus für notwendige Investitionen“ darstelle. Offenkundig gehe die Maxime verloren, dass vor dem Verteilen das Erwirtschaften komme. Damit gerieten sämtliche Überzeugungen und Mechanismen in Schieflage, die Deutschland zu einem starken Wirtschaftsstandort gemacht hätten. All das führe dazu, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erodiere, schreiben die ostdeutschen IHK-Präsidenten dem Bundeskanzler.

Während führende Industrienationen enorme Investitionsaufwendungen, Anreizsysteme und Regulierungserleichterungen manifestieren, um Transformationsprozesse zu flankieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, scheitert es hierzulande an fehlendem politischem Willen. Die IHK-Präsidenten kritisieren in diesem Zusammenhang die aus ihrer Sicht zu kurzen Zeitfenster für Beteiligungen und Stellungnahmen von Wirtschaftskammern, Verbänden und Interessengruppen. Weiter werfen sie der Politik „kaum nachvollziehbare oder gar fehlende Begründungen für politische Entscheidungen“ sowie unzureichende Wertschätzung gegenüber Leistungsträgern der Gesellschaft vor.

Desolater Zustand der Bundesregierung hausgemacht

„Das desolate Bild der Bundesregierung in der Öffentlichkeit und die aufgeheizte Stimmung im ganzen Land sind hausgemacht und, nicht zuletzt mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Wasser auf die Mühlen extremer Kräfte. Das bereitet uns große Sorgen“, heißt es im Brief. Und weiter:

Wenn sich an Ihrem Handeln und Auftreten nichts grundlegend ändert, fürchten wir, dass ein ostdeutsches Bundesland nach dem nächsten zu einem Sehnsuchtsort für Rechtsextremisten und wirtschaftlich zum Transitland verkommt.“

Die internationale und innerdeutsche Attraktivität für qualifizierte Zuwanderung, Investitionen und Ansiedlungen wäre dann absehbar komplett zerstört. „Unsere wohlstandsorientierte, auf Sicherheit und Freiheit basierende Demokratie dürfen wir nicht tatenlos aufgeben“, warnen die ostdeutschen Industrie- und Handelskammern.

Von der Bundesregierung erwarten die IHK-Vertreter, dass diese ihre Entscheidungen endlich wieder vernünftig vorbereitet, abgewogen und bei Verkündung auch sachgerecht erklärt und begründet. „Dabei darf der unmittelbare Dialog zwischen Politik und Gesellschaft nicht gemieden, sondern muss proaktiv initiiert werden.“

Zurück zur sachorientierten politischen Arbeit

Zum Schluss nehmen die ostdeutschen IHK-Präsidenten Bundeskanzler Olaf Scholz noch einmal persönlich in die Verantwortung:

Herr Bundeskanzler, das beste Mittel gegen Rechtspopulismus ist eine sachorientierte und abgestimmte politische Arbeit.“

Der Unmut der Wirtschaftskammern mit der Politik der Ampel ist in dem Brief kaum zu überhören. Einer der Mitunterzeichner des Briefes ist Matthias Belke, Präsident der IHK zu Schwerin. Auf Anfrage betont er, dass sich nun schnell etwas ändern müsse.

„Der Unmut in der Wirtschaft ist in den letzten Jahren beständig gewachsen. Fehlende Fachkräfte, explodierende Energiekosten, wuchernde Bürokratie, das Aushebeln der Tarifpartner und die parteipolitisch verordnete Anhebung des Mindestlohnes, ein zusätzlicher Feiertag in MV und Lieferengpässe ersticken im ganzen Land das freie Unternehmertum“, so Belke. Der ehrenamtliche IHK-Präsident ist selbst Geschäftsführer eines Unternehmens im Bereich Einzel- und Großhandel von Autoteilen mit fünf Filialen in Mecklenburg-Vorpommern. Für ihn ist, was die Gängelung des Unternehmertums im Lande betrifft, noch kein Ende abzusehen. „Es ist deshalb aktuell wichtiger denn je, dass Sachargumente zählen und fundierte Positionen gehört werden“, sagt Belke im Hinblick auf den Brief an den Bundeskanzler.



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