ENEUNOMONIE – die innere harmonische Ordnung

Von 4. März 2013

Die Etymosophie-Kolumne von Roland R. Ropers erscheint wöchentlich exklusiv in der EPOCH TIMES Deutschland.

Solon (640 – 561 vor Chr.) war einer der sieben Weisen Athens. Von ihm stammt der Begriff Eunomie (wörtlich: die gute Ordnung). Er führte einschneidende soziale und wirtschaftliche Reformen durch. Insbesondere hob er die Schuldknechtschaft auf, milderte das Schuldrecht und setzte Höchstgrenzen von Landbesitz.

Er schuf zwar mit seinen Gesetzen die notwendigen Voraussetzungen für den Aufstieg Athens zur Handelsmacht, doch konnte er die sozialen Spannungen nicht lösen. Er brachte das Volk zu lebendiger, selbständiger Teilnahme am öffentlichen Leben, hob die geistige Bildung und sorgte für eine edle Humanität. Die solonische Verfassung von 594 vor Chr. war die erste Verfassung Athens.

Das bedeutendste Dokument, das von Solon überliefert ist, ist seine Elegie auf die Eunomie. Hier wirft er den Bürgern nicht nur mangelhafte moralische Einstellung vor, sondern auch Unverstand, Geldgier und Ungerechtigkeit bei den Führern. Er geißelte die ungerechte Gesinnung, zügellose Gier, Maßlosigkeit und Übermut der Adligen.

Als Lösung sieht er die Eunomie, die einen wohlgeordneten Zustand des Gemeinwesens schafft – und zwar durch aktives, moralisch begründetes Wirken der Menschen, nicht der Götter. Solon erkennt, dass es einen von göttlicher Einwirkung freien irdischen Kausalzusammenhang gibt zwischen menschlichem Fehlverhalten und zerstörerischen Entwicklungen in der Gemeinde, dass es aber ebenso einen Weg aus dieser Krise heraus gibt.

Dieser Weg muss von den Mitgliedern der Gemeinde selbst bestimmt und gestaltet werden, wollen sie nicht länger gegen den Willen der Götter ihre Stadt zugrunde richten. Diverse Worte sind mit dem Zusatz „nomie“ (Gesetz, Ordnung) verbunden; Ökonomie (Wirtschaft von griech.: οἶκος oikos = Haus, Haushalt), Astronomie, Autonomie, Gastronomie, Physionomie u.a..

Das neue Wort Eneunomie soll auf die innere gute Ordnung, die für eine spirituelle Erfahrung notwendig ist, hinweisen. In dem berühmten zweiminütigen C-Dur Präludium des 1. Teils von J.S. Bachs „Wohltemperierten Klavier“ BWV 846 erlebt man – ob man es selbst spielt oder nur zuhört – den bereichernden Kosmos der Weltordnung. Dieses nur 35-taktige Stück ist wie kein anderes, ganz aus der Tonart heraus empfunden, sodass hier zum ersten Mal in der Musikgeschichte der Charakter der Tonart mit aller Deutlichkeit den Charakter des Musikstücks bestimmt.

Nur fünfmal bewegt man sich in reinem C-Dur, zu Anfang und am Ende, in den Takten 4, 19 und 29, dazwischen findet eine geniale, spannungsreiche Akkordvielfalt statt, die immer die Tendenz hat, über klangvolle Umwege in das ordnende C-Dur-Licht zurückzugelangen. Im Zustand größter innerer Ordnung offenbart sich das Wesentliche.

In diesem Zusammenhang möchte ich das von mir geprägte englische Wort „unveilance“ anstelle von „revelation“ (= Offenbarung) ins Gespräch bringen. Revelation geht auf das lateinische Wort „velum“ (= der Schleier, der Umhang) zurück. Revelation bedeutet also Entschleierung, Enthüllung. Das englische Verb „to reveal“ (offenbaren) gefällt mir nicht, weil es bei genauerem Hinschauen mit „veal“ (Kalbfleisch) in Zusammenhang gebracht werden könnte. Für das englische Verb „to unveil“ (entschleiern) gibt es bis heute kein korrespondierendes Substantiv, daher von mir der Vorschlag: unveilance.

In den heiligen Schriften der Weisen wird stets auf den Schleier der Nicht-Erkenntnis hingewiesen, der im Zustand der echten und tief greifenden Erleuchtung plötzlich verschwindet. Dann gibt es kein hinderliches Transparent mehr, wo das „andere Ufer“, die vermeintliche jenseitige Welt, unscharf und ungewiss erscheint. Es öffnet sich die endgültige, gesicherte Heimat im Hier und Jetzt, im Himmel wie auf Erden, die ein Hinüberwechseln – auf welche Seite auch immer – ad absurdum führt. Der Mensch betritt die „torlose Schranke“ zum ewigen Leben hier und heute. „Carpe diem !“

Im 3. Kapitel des „Tao Te King“ von Lao Tse lesen wir:

„Wer Menschen, die Ansehen genießen, nicht ehrt,
bewirkt, dass das Volk nicht streitet.
Wer schwer zu erlangenden Gütern keinen Wert beimisst,
bewirkt, dass das Volk nicht stiehlt.
Wer Begehrenswertes nicht zur Schau stellt,
bewirkt, dass die Herzen des Volkes nicht in Verwirrung geraten.
Deshalb leert der Weise die Herzen,
wenn er das Volk regiert.
Doch er füllt die Bäuche.
Er schwächt den Willen.
Doch er stärkt die Knochen.
Er bewirkt, dass das Volk
ohne Wissen und ohne Wünsche bleibt,
und sorgt dafür, dass die Besserwisser
sich nicht einzumischen wagen.
Verweile bei allem, was du tust, im Nicht-Tun,
und es wird Ordnung herrschen.“

 

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Der Religionsphilosoph Roland R. Ropers ist Autor und Herausgeber etlicher Bücher:

Was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Hans-Peter Dürr im Gespräch mit bedeutenden Vordenkern, Philosophen und Wissenschaftlern von Roland R. Ropers und Thomas Arzt; 2012 im Scorpio Verlag

Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Gott, Mensch und Welt. Die Drei-Einheit der Wirklichkeit von Raimon Panikkar und Roland R. Ropers

Die Hochzeit von Ost und West: Hoffnung für die Menschheit von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Geburtsstunde des neuen Menschen. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zum 100. Geburtstag von Roland R. Ropers

 

 



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