Glauben Sie nicht alles, was Sie fühlen

Bringt langsames Internet Sie auf die Palme? Ja? Lädt die Seite dadurch, dass Sie sich ärgern schneller? Wohl kaum. Lesen Sie hier, warum es keinen Sinn macht, jedem Gefühl nachzugeben und wie Gefühle den Geist versklaven können.
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Es gibt also die Wahl, wie man durchs Leben geht: schreiend und tretend oder als jemand, der freudig bereit ist zu lernen.Foto: iStock
Von 1. September 2019

„Vertraue auf dein Gefühl“ ist wohl ein Satz, den jeder schon einmal gehört hat. Authentisch zu sein und Gefühle zu zeigen wird als Schlüssel zum Erfolg verkauft, vor allem an junge Menschen. Gefühle werden an Hochschulen und Universitäten nahezu als unantastbar behandelt.

Gillian McCann, Professor für Religionswissenschaften an der Nipssing University in Kanada, erzählt, dass ihr damaliger Betreuer ihrer Doktorarbeit geraten habe „auf ihr Gefühl zu hören“. Als sie das einem Freund erzählte, sagte dieser:

 „Das ist der Ratschlag, der eine ganze Generation ruiniert hat.“

McCann beschäft sich gemeinsam mit Co-Autorin Gitte Bechsgaard mit den immer größer werdenden Problemen der emotionalen Entgleisungen und Abhängigkeiten.

Nicht jedem aufkommenden Gefühl soll man Vertrauen schenken. Foto: iStock

„Wir leben in einer Kultur, in der es befürwortet wird, in allen Lebenslagen authentisch zu sein und unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen – ungeachtet der Zusammenhänge oder der Konsequenzen“, erklären McCann und Bechsgaard.

Sie fügen hinzu, dass ein unterentwickelter Geist zum eigenen größten Feind werden kann.

Gedanken lösen Gefühle aus – nicht umgekehrt

Barry Brownstein, Professor für Wirtschaft und Unternehmensführung und Autor des Buches „The Inner-Work of Leadership“ erzählt von einem Morgen, der ihm eine wichtige Erkenntnis gebracht hat:

„Als ich gerade mein Frühstück in meinen Instant Pot gegeben hatte und während der Wartezeit mit meiner Arbeit beginnen wollte, bemerkte ich, dass ich mit dem falschen Fuß aufgestanden war. Ich bemerkte innere Traurigkeit und war genervt.“

Als Brownstein gerade mit seinen Meditationsübungen beginnen wollte, hörte er, wie starker Dampf aus dem Instant Pot entwich, weil er nicht richtig verschlossen war. Er erzählt:

„Außer mir rannte ich in die Küche und schrie frustriert.“

Allerdings war er kurze Zeit später erschrocken, dass er solche Emotionen in seinem Inneren trug.

„Der entweichende Dampf hat offengelegt, was in meinem Innersten herumgeistert.“, stellte er fest.

Brownstein begriff in diesem Moment, dass er entweder den Instant Pot für seinen Ärger verantwortlich machen könnte oder sich seinen inneren Gedanken stellen konnte.

Im Außen suchen

Oft werden die äußeren Umstände oder andere Menschen für die persönlichen Gefühle verantwortlich gemacht.

Wenn man Groll empfindet, wird dem Partner vorgeworfen, dass er nicht genügend Unterstützung entgegenbringt. Kommt man gestresst und nervös in die Arbeit, gibt man dem dichten Morgenverkehr die Schuld. Wenn man traurig ist, liegt es an der Gesamtsituation der Welt.

„Wir haben Ursache und Wirkung vertauscht“, sagt der amerikanische Autor und Regisseur Michael Crichton.

„So wie nasse Straßen keinen Regen verursachen, können Gefühle auch keine Gedanken auslösen.“

Es ist also zum Beispiel unmöglich, Ärger zu empfinden, ohne zuerst an eine ärgerliche Situation zu denken.

Der Instant Pot war nicht der Grund für den Frust von Brownstein, vielmehr brachte er den Frust im Inneren ans Licht. Der Stau im Pendlerverkehr verursacht auch keine Wut, er offenbart die innere Wut. Beziehungen erzeugen keinen Groll, sie bringen den Groll, den man in sich trägt, an die Oberfläche.

„Die Gedanken von den Gefühlen zu trennen und etwas im Außen für die eigenen Emotionen verantwortlich zu machen, ist der Beginn der emotionalen Versklavung.“, ist Brownstein überzeugt.

Verdrehte Wahrnehmung

Menschen neigen oft dazu, Gefühle als Antwort auf die äußeren Umstände zu betrachten. Angst, Nervosität, Depression, Sorge, Groll und andere Gefühle werden als Konsequenz auf die Taten anderer Menschen, vergangener Ereignisse, mögliche zukünftige Ereignisse oder auf andere unliebsame Situationen angesehen.

Zudem wird negativen Gefühlen besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dies spiegelt sich in der steigenden Anzahl an verschriebenen Beruhigungsmittel und  Anxiolytika wider.

Allerdings zeugt dies von einer verdrehten Wahrnehmung und ein Missverständnis darüber, wie der menschliche Geist funktioniert. Marcus Aurelius schrieb im zweiten Jahrhundert nach Christus in „Meditationen“:

Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht.“

Im Inneren suchen

Im Inneren und nicht im Außen zu suchen, ist der erste Schritt, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Als Metapher für diese Situation wird immer wieder eine Legende im Zusammenhang mit einem im Jahre 1895 ausgesendeten Kurzfilm in Paris verwendet.

In diesem Stummfilm wird ein Zug gezeigt, der durch einen Bahnhof fährt. Es gibt die urbane Legende, dass damals Menschen in Panik aufgesprungen seien, als sie den Zug am Bildschirm auf sich zufahren sahen.

Es ist ungeklärt, ob diese Geschichte wahr ist oder nicht. Als definitiv wahr hat sich aber herausgestellt, dass die Gefühle in bestimmten Situationen durch die eigenen Gedanken bestimmt werden und nicht von der Situation selbst.

Der amerikanische Bestseller-Autor Stephen Covey brachte es in seinem Buch „7 Eigenschaften erfolgreicher Menschen“ auf den Punkt, indem er sagte:

Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist. Wir sehen sie so, wie wir sind.“

Im Inneren zu suchen ist der erste Schritt Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Foto: istock

Verantwortung übernehmen lernen

In jedem Moment und jeder Situation kann man die Verantwortung übernehmen, wie man die Welt wahrnimmt.

Während ein Suchen im Außen bei Schwierigkeiten nur zu Vorwürfen führt, kann die Suche im Inneren Probleme lösen.

Es gibt also die Wahl, wie man durchs Leben geht: schreiend und tretend oder als jemand, der freudig bereit ist, zu lernen.

„Um jemand zu sein, der freudig lernt, muss man sich erinnern, dass die eigene Interpretation einer Situation im Außen ein großer Hinweis auf den eigenen geistigen Zustand ist“, sagt Brownstein.

Er ermahnt zum Beispiel, darüber nachzudenken, wenn man sich beim Autofahren ärgert, was der wahre Grund für den Ärger ist. Ist es eventuell, weil man ungeduldig ist? Oder man denkt, dass man selbst ein viel besserer Autofahrer ist und deshalb auf andere herabblickt?

Wenn ich jemanden verantwortlich mache, bin ich es wohl, der schuld ist“,

ist laut Brownstein etwas, das man sich in Erinnerung rufen muss, wenn man Verantwortung übernehmen und im Inneren suchen will.

Steckt hinter dem Ärger beim Autofahren die eigene Ungeduld oder Überlegenheitsgefühl? Foto: istock

Epictet, ein stoischer Philosoph, der als Sklave geboren wurde, schrieb: „Menschen werden nicht von Ereignissen und Tatsachen gestört, sondern davon, wie sie diese wahrnehmen. Wenn wir also eingeschränkt, gestört oder verletzt sind, müssen wir das uns selbst zuschreiben und nicht den anderen.“

Jemand, der keinen entwickelten Geist hat, wird immer andere für die eigenen schlechten Gedanken und Situationen verantwortlich machen.“

Dies scheint zwar schwer erreichbar zu sein, aber wenn man bereit ist hinzuschauen, gibt einem das Leben immer Möglichkeiten zu lernen. So wie im Falle von Brownstein in Form eines nicht verschlossenen Deckels und entweichenden Dampfes.

 



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