Bürgergeld als Fehlanreiz? 700.000 Ukrainer im Bürgergeld – Erwerbsquote bleibt weiter gering

Die Frage betrifft zunächst jeden Bürgergeld-Empfänger: Wird das Existenzminimum zu hoch berechnet und damit die Arbeitsbereitschaft verhindert? Neuesten Umfragen der Arbeitsagentur zufolge steht jeder fünfte ukrainische Flüchtling in Arbeit. Erfolg oder Misserfolg? Eine Analyse.
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Jobmesse für Migranten und Flüchtlinge in Berlin, 4. Oktober 2023.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 20. Dezember 2023

Müssen, dürfen oder wollen — eine Recherche danach, ob Asylbewerber arbeiten müssen, wird von Google mit einer Reihe von Vorschlägen beantwortet, die stattdessen alle der Frage nachgehen, ob sie arbeiten dürfen. Aber wollen sie überhaupt? Schon befindet man sich mitten in der aktuellen Diskussion um ein zu hohes Bürgergeld und damit einhergehende fehlende Anreize, arbeiten zu gehen.

Die Debatte losgetreten hatte unter anderem der mittlerweile parteilose Tübinger ehemalige grüne Oberbürgermeister Boris Palmer. Der hatte seine und die Daten seiner Familie in den Bürgergeldrechner eingegeben und war entsetzt darüber, welch hohe monatliche Zahlung am Ende dabei herauskam.

Die „Welt“ spekulierte bereits am Donnerstag mit folgender Schlagzeile: „Fehlanreiz Bürgergeld? Warum die Erwerbsquote von Ukraine-Flüchtlingen wirklich so gering ist.“ Der Fokus der Zeitung auf ukrainische Leistungsempfänger ist deshalb so interessant, weil Ukrainer innerhalb der großen Zahl sonstiger Zuwanderer in Deutschland mit Sonderaufenthaltsrechten ausgestattet sind.

ProAsyl schrieb dazu schon kurz nach Kriegsbeginn im März 2022 (Updates im Text wurden Ende 2023 vorgenommen):

„In aller Regel empfiehlt sich weder für Menschen mit ukrainischem Pass noch für Menschen ohne ukrainischen Pass, die aus der Ukraine geflohen sind, ein Asylantrag. Ein solcher sollte – wenn überhaupt – nur nach vorheriger individueller Beratung gestellt werden. Ukrainer*innen können unbürokratisch den vorübergehenden Schutz beantragen (siehe unten) und sollten das in der Regel auch tun.“

Für Ukrainer hat ein Asylantrag Nachteile

Übersetzt heißt das, jeder Ukrainer erhält automatisch eine Aufenthaltsgenehmigung samt Bürgergeld-Unterstützung. Diese Genehmigung wurde jüngst erneuert beziehungsweise verlängert. Der Asylantrag habe für Ukrainer laut ProAsyl sogar Nachteile, weil er die Bewegungsfreiheit innerhalb Deutschlands einschränke:

„Ein Asylantrag bedeutet nämlich die Unterbringung in einer Asylunterkunft sowie die Zuweisung in ein bestimmtes Bundesland und eventuell später in einen bestimmten Landkreis.“

Die „Welt“ hat jetzt festgestellt, dass nur jeder Fünfte der etwas mehr als eine Million ukrainischer Flüchtlinge einer Arbeit nachgehen. Das sei umso erstaunlicher, so die Zeitung weiter, weil die zu uns gekommenen Ukrainer einen überdurchschnittlich hohen Bildungsgrad haben. So sei die Akademikerdichte sogar höher als unter Deutschen. Die Eckdaten dazu liefert das Statistische Bundesamt. Dort heißt es in der Pressemitteilung Nr. 476 vom 13. Dezember 2023:

„Trotz des hohen Qualifikationsniveaus war die Erwerbsbeteiligung der seit Anfang 2022 aus der Ukraine Eingewanderten deutlich geringer als in der Gesamtbevölkerung: In der Haupterwerbsphase von 25 bis 59 Jahren waren lediglich 19 % der Eingewanderten aus der Ukraine erwerbstätig.“

Hierzu muss man wissen, dass sechs von zehn (61 Prozent) nach Deutschland geflüchteter Ukrainer weiblich und vier von zehn (39 Prozent) männlich sind. Bei den Erwachsenen überwog der Frauenanteil noch deutlicher: Hier waren sieben von zehn (69 Prozent) Frauen und lediglich drei von zehn (31 Prozent) Männer.

Bei den ukrainischen Frauen sieht es noch ungünstiger aus als bei den Männern. Nur 14 Prozent sind erwerbstätig, während es bei den Männern immerhin noch 30 Prozent sind.

Die besonderen Schwierigkeiten für weibliche Ukrainer, eine Arbeit zu finden, stellte zuletzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit fest. Da heißt es unter anderem:

„Bei Frauen und vor allem bei Müttern mit Kleinkindern gestaltet sich die Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter schwieriger als bei den Männern.“

Kinderbetreuung für ukrainische Mütter organisieren

Der Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ sieht in der Kinderbetreuung „ein strukturelles Problem“. Eine frühzeitige und umfassende Kinderbetreuung erhöhe nicht nur unmittelbar die Arbeitsmarktchancen für geflüchtete Frauen. Sie führe auch zu mehr sozialen Kontakten mit deutschen Familien, fördere die soziale Teilhabe und erleichtere damit indirekt den Arbeitsmarktzugang.

Auch hier erhöht laut Einschätzung des Institutes der Arbeitsagentur ein erfolgreicher Deutschkurs – idealerweise auf fortgeschrittenem Niveau – die Arbeitsmarktchancen.

Aber werden diese Deutschkurse überhaupt hinreichend angenommen? Auch darauf gibt das Institut Antworten: Angesichts der hohen Teilnehmerquote von mehr als 60 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge an Sprach- und Integrationsmaßnahmen und ausgeprägter Erwerbstätigkeitswünsche sei nach Abschluss der Kurse eine beschleunigte Integration zu erwarten. Nun gelte es, so das Institut weiter, die Potenziale voll auszuschöpfen:

„Wir müssen in Sprachkursen auf fortgeschrittenem Niveau, sonstige Qualifizierungs- und Arbeitsmarktberatungsmaßnahmen investieren und soziale Teilhabe fördern.“

Diese positiven Prognosen stehen im Gegensatz zu jenen für Zuwanderer, etwa aus Afghanistan und Syrien. Hier fällt der Bildungsgrad als auch die Bereitschaft und Fähigkeit, die deutsche Sprache zu erlernen, gegenüber den Ukrainern ab. So wurde bereits Mitte 2019 deutlich, dass die nach 2015 Zugewanderten ihre Sprachkurse nur zu einem verschwindend geringen Teil abschließen und 50 Prozent der Teilnehmer schon vor Ende der Kurse sogar ganz ausgestiegen sind.

Bei ukrainischen Flüchtlingen hingegen ist die Quote deutlich höher, das gilt auch für die Teilnahmebereitschaft. Die dazugehörige Studie des IAB beruht auf einer repräsentativen Befragung von rund 6.000 ukrainischen Geflüchteten.

Deutlich weniger Geld für die gleiche Arbeit

Die Studie selbst will auch herausgefunden haben, dass eine überwiegende Zahl der Ukrainer in Arbeit für dieselbe Tätigkeit deutlich schlechter bezahlt wird als Deutsche in vergleichbaren Tätigkeiten. Die mittleren Bruttomonatsverdienste der vollzeitbeschäftigten ukrainischen Geflüchteten liegen bei 2.550 Euro und damit unter dem Durchschnittsverdienst aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland.

Es bleibt hier allerdings gleich bei einer ganzen Reihe von Unbekannten in der Beurteilung der Arbeitsmarktchancen und der Arbeitsbereitschaft von ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland.

So schrieb Ende August eine Pressesprecherin von FlixBus auf Anfrage von Epoch Times, dass man zwar keine Passagierzahlen kommunizieren wolle, die Verbindungen zwischen Deutschland und der Ukraine seien aber „bereits seit Frühjahr 2022 sehr hoch“. Man biete aus vielen deutschen Städten Fahrten in die Ukraine an. Das bedeutet, es herrscht ein reger Busverkehr aus Deutschland in Richtung Ukraine.

Hier ist zudem von Bedeutung, dass Ukrainer beginnend mit dem ersten Tag ihres Aufenthaltes in Deutschland keiner Residenzpflicht unterliegen, wie sie sonst Asylbewerbern abverlangt wird. Sie sind demnach nicht an einen Ort beziehungsweise eine Unterkunft gebunden. Aber wie sieht es da mit einer Beschäftigungspflicht aus?

Epoch Times spricht zunächst mit der Pressestelle einer Landesaufnahmebehörde, die für solche Fragen allerdings an die Arbeitsagentur verweist.

Für Ukrainer gelten die gleichen Pflichten

Hier betont eine Sprecherin gegenüber Epoch Times, dass für Ukrainer die gleichen Pflichten gelten wie für alle anderen Bürgergeldempfänger. Insbesondere auch, was die Mitwirkungspflicht angehe. Hier verweist die Arbeitsagentur auf den von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angekündigten „Jobturbo für Flüchtlinge“.

Eine Sprecherin der Agentur erwähnt in dem Zusammenhang eine angestrebte neue Kontaktdichte zum Bürgergeldempfänger. Was speziell ukrainische Flüchtlinge angehe, werde man jetzt verstärkt Termine für Sprachkurse anbieten und auf Mitwirkungspflichten hinweisen. Wer dem nicht nachkommt, muss – etwa bei Meldeversäumnissen – so wie jeder Bürgergeldempfänger – mit Sanktionen bis zu 30 Prozent seines Bürgergeldes rechnen.

Aber was dann? Was passiert, wenn Ukrainer die verbleibenden 70 Prozent Bürgergeld nehmen, ohne der Mitwirkungspflicht nachzukommen? Dazu fehlt die Datenlage, es gebe bei der Agentur bisher keine Daten, so eine Sprecherin dazu, wie viele Sanktionen bisher ausgesprochen wurden oder in welcher Quantität die Mitwirkungspflicht tatsächlich wahrgenommen werde.

Allerdings gebe es bisher, so die Sprecherin weiter, keine Indizien für einen auffälligen Sozialleistungsmissbrauch. Eine Nachforschung in den Fachabteilungen soll aber für Epoch Times noch explizit erfolgen und werde nachgereicht.

Eine umgehende Betreuung durch die Jobcenter

Der hier eingangs erwähnte Artikel in der „Welt“ geht der Frage nach, ob weniger Bürgergeld zu einer höheren Erwerbsquote bei Ukrainern führe. Die CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag möchte das Bürgergeld für Ukrainer in Deutschland gleich ganz streichen. Sie will die Leistungen denen von Asylbewerbern anpassen, die geringer ausfallen.

Vertreter der Ampelparteien setzen demgegenüber weiterhin auf die individuelle Beratung und „eine umgehende Betreuung durch die Jobcenter.“

Inwieweit diese Betreuung tatsächlich angenommen wird, können die Jobcenter berichten. Auch darüber, inwieweit sanktioniert werden muss und in welcher Größenordnung die Mitwirkungspflicht verweigert wird. Die so gewonnen Daten müssten dann allerdings entsprechend zusammentragen und auch ausgewertet werden.

Mit Blick auf die Bereitschaft der Ukrainer, eine Beschäftigung anzunehmen, sagt die genannte IAB-Studie auch, dass mittlerweile über die Hälfte dieser Flüchtlinge länger in Deutschland bleiben wollen. Unerwähnt bleibt hier die nicht ganz unerhebliche Frage, ob es überhaupt mit dem Flüchtlingsstatus vereinbar ist, der seinem Wesen nach temporär angelegt wurde. Generell gilt hier: Ist der Krieg zu Ende, ist damit auch der Aufenthalt beendet.



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